>
Einfach. Gut.
Eine kulinarisch-kulturelle Reise ins Friaul und nach Triest
von
Günther Schatzdorfer
mit
Erwin Steinhauer
Mit Fotos von Ferdinand Neumüller
Wien/Duino
2005
VerlagCarinthia
ISBN: 978-3-99040-140-8
© 2006 und 2014 by Styria regional
in der Verlagsgruppe Styria
GmbH & CO KG
Wien · Graz · Klagenfurt
Alle Rechte vorbehalten
Bücher aus der Verlagsgruppe Styria
gibt es in jeder Buchandlung
und im Onlineshop
Hinweis: Die Autoren bevorzugen die Beibehaltung der alten Rechtschreibung.
Fotos: © Ferdinand Neumüller, Klagenfurt
Lektorat: Gerhard Maierhofer
Umschlaggestaltung: Bruno Wegscheider
Gestaltung: Pliessnig/TextDesign
Satz & Repro: TextDesign GesmbH, Klagenfurt
1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2014
„Das Essen läutet den Tag ein wie die Liebe ihn aus.“
Jean Paul
„Mai si manja sul stomigo svodo!“
(„Man ißt nicht auf leeren Magen!“)
Altes Triestiner Sprichwort
An Stelle eines Vorworts
Dieses Buch ist kein Reiseführer, sondern ein Reiseführer für Menschen, die es bevorzugen, ohne Reiseführer zu verreisen. Es ist geschrieben von zwei Menschen, die von dem schlichten Motiv beseelt sind, dort, wo sie sind, einfach dazusein. Man mag das für Ignoranz halten. Dem Argument steht entgegen, daß jene, die mit dem Finger im Baedeker verreisen, nur das sehen werden, was im Baedeker steht, also wenig von Land und Leuten, auch kaum etwas von den Menschen. Vor allem werden sie nichts über sich selbst erfahren. Wer essen will, wie’s im Kochbuch steht, soll zuhause bleiben und selber kochen. Für den, der sich wegen einem guten Tropfen die Schuhe nicht im Lehm eines Weinbergs schmutzig machen will, für den gibt es den gut sortierten Versandhandel. Wem es schlicht um die Betrachtung feudaler Baudenkmäler geht, der kann auf prächtige Bildbände zurückgreifen und bleibt so vom Wetter unabhängig.
Geschichte und Geschichten sind ätherische Angelegenheiten, deren man nur durch Neugier und Staunen teilhaftig werden kann. Wenn man unbekannte gute Winzer sucht, muß man zum Friseur gehen. Dort kennt man sie. Über die historischen Zusammenhänge sollte man die Pensionisten in der Bar Sport befragen, deren Wirtin auch weiß, wo man einfach gut essen kann.
Je ahnungsloser man verreist, umso mehr erfährt man von Land und Leuten. Wer nichts erwartet, bekommt viel.
Günther Schatzdorfer
Erwin Steinhauer
Am Ende fängt alles an
Die zwei Freunde waren die einzigen Gäste in der Gaststube und warteten auf Prosciutto und Käse; Wasser und Wein stand auf dem Tisch. Sie schwiegen. Eine Uhr tickte laut. Zuerst sah sich der eine um, dann der andere. Es gab keine Uhr im Raum. Da wurde ihnen bewußt, wie still es im Karst sein kann.
Sie begannen zu reden: übers Essen, übers Trinken, über verlorene und ersehnte Lieben, über die Frauen ihres Lebens, mit denen sie in die Provinzen von Triest, Görz und Karnien gereist waren, von unvergleichlichen Sonnenuntergängen, durchwachten Nächten, von der Bora und den großartigen Menschen, denen sie hier begegnet waren; von den schönen Dingen und von der Angst, diese wieder zu verlieren. Sie redeten in die Stille hinein, gegen die Stille. Unter alten Freunden redet es sich friedlich und ernst, auch mit einem Lächeln, selbst wenn beide hungrig sind.
Langsam wie der Schatten einer Sonnenuhr schälte sich die alte Wirtin aus dem Dunkel der Küche; gebeugt und fast lautlos näherte sie sich dem Tisch, in der einen von Arthritis gekrümmten Hand einen Korb mit Brot, in der anderen einen Teller. Auf diesem lagen Scheiben vom Prosciutto, dessen Fett weiß war wie der Schnee auf dem Triglav und dessen Fleisch tiefrot wie der Karst im Herbst leuchtete. Darauf lagen ein paar Stücke Käse: „Tabor“, das slowenische Pendant zum „Montasio“, also Bergkäse. Dieser war frisch und fast cremig weich. Er stammte vom Nachbarn, der gut zwei Dutzend Kühe sein eigen nennt und außer dem Käse sowie Milch und Butter für die umliegenden Dörfer nichts weiter produziert. Der Schinken wird vom Schwiegersohn der Wirtin geliefert, der eigentlich Baumeister ist, aber nebenbei für sie, für sich und für wenige Freunde Prosciutto produziert, welcher im Karst wesentlich würziger wird als etwa in San Daniele oder gar in Parma. Das liegt an der Luft, aber auch daran, daß die Schweine hier unter anderem mit Eicheln, Pinienkernen und Trester gefüttert werden.
Ebenso lautlos, wie die Wirtin erschienen war, zog sie sich wieder in ihr Schattenreich zurück. Die zwei Freunde aßen mit der Mischung aus Andacht und Gier, ließen den nicht filtrierten Malvasia durch ihre Kehlen rinnen. Sie redeten mit vollem Mund, wurden lauter und lauter, lachten. Das war gut gegen die Wehmut. Denn es war die letzte Stärkung vor der Rückreise in die Heimat, den Alltag.
Mildes, kastanienfarbenes Licht fiel durch die winzigen Fenster in die niedrige Stube, in welche eben ein alter Mann eingetreten war, sich niederließ, den Hut vom Kopf nahm und einnickte.
Da sahen sich die beiden Freunde an, lächelten, erhoben die Gläser und beschlossen, ein Buch zu schreiben – über die magischen Augenblicke im Leben, die einfach gut sind. Und deren haben sie viele erlebt, zwischen den Karnischen Alpen, dem Meer, dem Karst und der Tiefebene des Friaul, dort, wohin es sie aus Neugier verschlagen hat und wohin sie aus Lebenslust immer wieder zurückkehren.
Sie traten aus der mittlerweile dämmrigen Stube ins Freie. Gegenüber der Wirtschaft breiteten sich Weingärten in der Abendsonne aus. Tiefer Friede lag über Ceroglie. Nichts erinnerte daran, daß dieses Dorf in beiden großen Kriegen des 20. Jahrhunderts zerstört worden war, außer einer Gedenktafel gegenüber dem alten, stillgelegten Dorfbrunnen. Kaum noch jemand erinnert sich daran, daß auf dem Höhenrücken Richtung Osten noch vor dreißig Jahren die Wachtürme des Kalten Krieges standen, ebenso daß der Monte Ermada, welcher das Dorf überragt, mit Kavernen durchlöchert ist wie ein Stück Emmentaler, weil sich in ihm nicht nur Batterien, sondern auch das größte Feldspital des Ersten Weltkriegs sowie die zentrale Heeresküche für die Isonzo-Front befanden. Die Eingänge in dieses Höhlensystem sind mit Gestrüpp und Dornen verwachsen; nur wenige alte Menschen und ein paar Hobbyforscher kennen die Stellen, wo man halbwegs gefahrlos über steile, glitschige Treppen in die Unterwelt gelangt, welche heute von Olmen, Käfern und Flechten bewohnt wird. Es ist ein Segen, daß niemand auf die Idee gekommen ist, hier eine militärhistorische Gedenkstätte wie in Redipuglia oder auf dem Monte San Michele zu errichten. So blieben Ceroglie und das auf der anderen Seite des Berges liegende Medeazza von fragwürdigem Schlachtfeld-Tourismus verschont. Denn die Bevölkerung dieser Dörfer hat endlich – trotz aller ethnischen und politischen Differenzen – zum langersehnten Frieden gefunden. Und als der Krieg im ehemaligen Jugoslawien ausbrach – das nur ein paar hundert Meter Luftlinie entfernt lag –, solidarisierte man sich gegen jede Form von Gewalt als politisches Mittel, half den Flüchtlingen, die hier scharenweise über die grüne Grenze kamen, egal ob es sich um Bosnier, Albaner oder Kroaten handelte.
Während