Erwin Steinhauer

Einfach. Gut.


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verlief. Wie überall, wo Zoll, Handel und die damit verbundenen zeitraubenden Aktivitäten eine große Rolle spielen, gab es hier diesseits und jenseits Unmengen von Gasthäusern beziehungsweise Osterie und Herbergen. Einige existieren noch; die meisten davon stehen leer und verfallen.

      Der Schauspieler und der Poet haben den kulinarischen Rubikon überschritten und laben sich zur Belohnung für die Entbehrungen der Reise, die sie in Kauf genommen haben, um hierherzugelangen. Die undisziplinierten Verkehrsteilnehmer, die Warteschlange an der Maut und der Nebel auf der Pack sind vergessen. Deshalb schmeckt es ihnen. Sie lachen, sie haben andere Augen. Wahrscheinlich auch einen anderen Gaumen. Das zweite Glas schmeckt noch besser. Ist es die Ahnung vom nahen Meer? Ist es die Seele, die sich plötzlich in eine paradiesische Ebene öffnet wie das Tal? Ganz sicher ist: alles riecht plötzlich intensiver. Das liegt an der milden Luft, aber auch daran, daß es von einem Kilometer zum anderen plötzlich um fünf Grad wärmer ist.

      Die Wirtin sieht die beiden Freunde zum ersten Mal in ihrem Leben, versteht kein Wort von dem Unfug, den sie strahlend von sich geben. Aber auch sie lächelt. Und plötzlich steht sie vor ihnen mit einem Teller hauchdünn geschnittener „Ricotta affumicata“ aus dem Raccolana-Tal, frischem Brot und einer Flasche Olivenöl aus dem Triestiner Karst namens „Olio Celo“, dem die beiden Freunde auf ihren Reisen schon öfters begegnet sind und das so schmeckt, wie es heißt: es ist himmlisch. Das ist eine unmißverständliche Liebeserklärung seitens der „padrona“. Um diese zu erwidern, bestellt der Schauspieler Rotwein. Die Wirtin bringt eine Flasche Pignolo von Moschioni aus der Gegend von Cividale, aus den Colli Orientali. Pignolo! Eine uralte, autochthone Rebsorte, die so selten angebaut wird, daß sie nicht einmal in den Statistiken des Winzerverbands aufscheint. Ein trocken ausgebauter, fruchtiger, tief blauroter Wein, der lächerliche fünfzehn Prozent Volumen hat. Dennoch oder deshalb ein göttliches Getränk. Dazu reicht die gute Frau einen Teller mit der Hirschsalame ihres Schwagers, dem es ebenfalls ein Denkmal zu setzen gilt. Die Wurst hat allerdings einen Defekt: man kann sie nicht kaufen.

      Der Schauspieler und der Poet gehen fröhlich zum Auto. Wohin? Ans Meer? Ans Meer! Aber an eine längere Fahrt ist nicht mehr zu denken. Also auf ins nahe Tolmezzo, wo es bequeme Hotelzimmer gibt.

       Gekochtes im Zementmantel

      Ist in Gourmetkreisen von Tolmezzo die Rede, echot es nur: „Roma!“ Ja, das Roma ist gut. Es war auch einmal einfach. Heute ist es so etwas wie das Steirereck des Friaul, gehört in die Kategorie „Nur vom Feinsten“, wird in sämtlichen Guides hoch dekoriert und genügt den hohen Ansprüchen seines illustren Publikums.

      Dem Schauspieler und dem Poeten gelüstete es aber nach einem basisdemokratischen Abendmahl. So checkten sie im Hotel Cimenti ein, das nicht nur so heißt, sondern auch so aussieht: ein scheußlicher postmoderner Betonkasten aus den sechziger Jahren. Aber vom Bett aus sieht man das nicht. Nach einer gebührenden Ruhepause begaben sie sich ins Restaurant im Erdgeschoß, das ebenso wie das Gebäude vor internationalen Architekturpreisen sicher ist.

      Hier wird vom Wagen serviert. Die beiden Freunde einigten sich auf ein Degustationsmenù und lieferten sich aus. Zuerst kam – als Aufmerksamkeit des Hauses – eine „Frittata con le ortiche“, ein saftiger Eierkuchen mit Brennesseln. Das „tris“ begann mit „Gnocchi di zucca e ricotta“, setzte sich fort mit „Cjalsòns“, den Friulaner Tortellini, die mit Käse und Kräutern gefüllt waren, bevor mit feingehacktem Prosciutto gefüllte „Gnocchi ripieni“ auf den Tisch kamen. Doch nicht genug damit. Wieder kam der Kellner, wechselte die Teller und servierte neuerlich Gnocchi. Diese, etwas größer als die anderen, waren mit Zwetschgen gefüllt und mit Butterbröseln garniert. Die beiden Freunde protestierten: sie hätten noch kein Dessert bestellt. Milde lächelnd belehrte sie der Maître, daß es sich bei Zwetschgenknödeln in Erdäpfelteig um eine typische Vorspeise in Carnia handle. Also aßen sie widerspruchslos und freuten sich über den köstlichen Geschmack.

      Eigentlich waren sie satt und glücklich wie Säuglinge. Eine Flasche Terre Alte von Livio Felluga hatte sie bis hierhin begleitet. Nun kamen aber noch ein Collio Rosso von Roberto Picèch – ein Cuvée von Cabernet Franc und Cabernet Sauvignon, trocken und rund – und hintennach der Karren mit dem „Bollito misto“: Huhn, Zunge, Cotecchino, Zampone und Fleisch, Fleisch, Fleisch. Dazu gab es jede Menge Beilagen, auch durchaus unübliche: zum Beispiel „Fagioli in tecia“, ein Bohnenpüree, das sich sowohl mit den zu genießenden als auch den genießenden Zungen bestens vermählte. Vor allem aber gab es bunte Saucen: eine Art Apfelkren, „Mostarda di zucca“, sowie hausgemachtes Ajvar. Äußerst fein aber ist die „Salsa verde“, eine Art Pesto aus Petersilie, deren Rezept – das in hundert Varianten existiert – hier verraten sei:

       PESTO DI PREZZEMOLO – SALSA VERDE

       Man nimmt reichlich Petersilie, schneidet sie grob mit der Schere und tut sie in einen Mörser. Hinzu fügt man kleingehackte Silberzwiebeln und Cornichons, Knoblauch, Sardellenfilets, etwas eingeweichtes Weißbrot, einen Schuß besten Weißweinessig und püriert das Ganze mit dem Stößel, während man Olivenöl in einem feinen Faden dazuträufelt.

      Sobald die Sauce sämig geworden ist, kann man sie in Gläser füllen. Bedeckt mit Olivenöl hält sie sich tagelang im Kühlschrank. Sie eignet sich nicht nur als Beilage zu gekochtem Fleisch, sondern ebenfalls zu gegrilltem Fisch oder Scampi. Auch für zwischendurch, als Aufstrich auf einer „Bruschetta“, ist dieses Pesto köstlich.

      Während der Maître das Rezept erklärte, fuhr der Garçon mit den Nachspeisen vor. Berge von Semifreddo, Profiteroles und Cremeschnitten, die hier „Millefoglie“ heißen, türmten sich darauf. Der junge Mann war nervös, vielleicht schon müde, und nahm die letzte Kurve mit überhöhter Geschwindigkeit, was damit endete, daß der „carello“ seitwärts kippte und die süßen Herrlichkeiten auf dem Teppich landeten. Niemand brüllte mit dem Garçon, der nun mit hochrotem Kopf vor dem Desaster kniete und die Cremes und Teigstücke mit den Händen auf die Tabletts schaufelte. Alle lachten, der Maître hob lächelnd und gottergeben die Hände. Auch die beiden Freunde waren nicht böse ob dieser Ungeschicklichkeit. Sie hätten sowieso nichts mehr zu essen vermocht. Dies hinderte sie aber nicht daran, sich kurz unter dem Vorwand der Hilfeleistung zu bücken, ein Profiterol zu mopsen und sich die Finger abzuschlecken.

       Jenseits der Welten: Sauris

      Anderntags stieß der Photograph zu ihnen. Sie hatten sich verabredet, hinauf in die Alpe Carniche zu fahren. Da ereilte den Poeten ein dringender Anruf, der ihn nach Duino zitierte. So brachten ihn also die beiden anderen zum Busbahnhof, wo er den Corriere nach Udine bestieg, nicht ohne Neid, der landschaftlichen und kulinarischen Reize, die er von früher kannte, diesmal nicht anteilig zu werden.

      Sauris: das ist nicht Friaul, nicht Altösterreich, auch nicht Bestandteil der slawischen Alpenregionen. Es ist eine eigene Welt. Irgendwann – Historiker vermuten im 13. Jahrhundert – hat sich eine kleine Gruppe von Menschen hier angesiedelt. Sie kamen – darauf läßt ihre Sprache schließen – aus dem süddeutschen Siedlungsraum, der damals eine deutliche slawische Präsenz aufwies. Man vergesse nicht, daß die Slawen damals in friedlicher Koexistenz mit den Resten der keltischen und romanischen Ureinwohner und den später zugezogenen Bajuwaren und anderen Volksgruppen die Lande südlich der Tauern bewohnten. Es wird für immer ein Rätsel bleiben, was ausgerechnet diese Menschen dazu bewog, die fruchtbaren und verkehrsgünstigen Täler zu verlassen. Religiöse Motive sind in diesem Fall auszuschließen. Waren es Kriegswirren oder Seuchen, die sie veranlaßten, den beschwerlichen Weg ins Gebirge anzutreten? Oder wollten sie sich einem ungnädigen Herrscher oder der Steuerfron entziehen? Niemand weiß das, es gibt keine Quellen.

      Sicher ist, daß sie sich durch unzugängliches Gebiet kämpften, um fern von der restlichen Welt auf 1200 bis 1400 Meter Seehöhe Wälder zu roden, Almen anzulegen und Häuser zu bauen. In den Kirchen von Sauris di Sotto und Sauris di Sopra finden sich architektonische Hinweise, daß diese im Kern aus der Gotik stammen. Ab dieser Zeit bis Ende des 19. Jahrhunderts lebte man in „splendid isolation“,