Hans-Joachim Löwer

Die Stunde der Kurden


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worden sind“, verkündet er. „Und alle Minen, die ich entschärft habe, sollen eines Tages einmal hier lagern. Zurzeit sind sie noch in einer einsamen Berggegend vergraben, ein kleiner Teil liegt in meinem Haus herum.“ Ich stapfe durch einen Rohbau, der noch nicht so richtig ahnen lässt, wie das einmal aussehen soll. „Keine Sorge, auch das kriege ich hin“, erklärt Hoschiar. „Ich tue das für künftige Generationen. Die werden nämlich gar nicht glauben, was in Kurdistan einmal los war – wenn sie es nicht mit ihren eigenen Augen sehen können.“

      Von hier oben aus hat man einen schönen Blick hinaus ins Land. Hoschiar behauptet, er kenne jede Scholle, und ich erwidere, das wundere mich nun wahrlich nicht mehr.

      „Ich bin wohl auch der Einzige, der zu seinen Lebzeiten schon sieben Gräber hat“, äußert er und genießt, dass ich ihn schon wieder ganz lange ansehe.

      „Sieben Gräber, sagten Sie?“

      „Ja, meine amputierten Gliedmaßen sind auf sieben Stellen verteilt. Die Leute glauben, so eine Reliquie bringt ihnen Glück. Ein Stück liegt im Iran, eines in Japan, eines in Russland. Auf kurdischem Boden sind vier Teile bestattet, sie liegen in Pindschar und Sulaimania, am Berg Bamo, wo ich mein erstes Bein verlor, und hier in meiner Heimatstadt Halabdscha. Wenn du willst, fahren wir mal hin zu dem hiesigen Grab.“

      Zehn Minuten später stehen wir an diesem Ort. Ein kleines, unscheinbares Rechteck, ein wenig aufgeschüttete Erde, und wieder ein weiter Blick hinaus in die Täler. Viele Menschen pilgern im Lauf des Jahres hierher, denn das hier ist ja nun wirklich kurdische Geschichte in Fleisch und Blut.

      Wir fahren zurück zu Hoschiars Haus. Dort sitzt der eineinhalbjährige Beneat, sein jüngster Sohn, im Wohnzimmer und spielt mit all den gehorteten Minen – darunter ist auch diejenige, die einst ein Bein des Vaters wegriss. Er kennt sich offenbar schon ziemlich gut mit den Dingern aus, rupft und zupft unaufhörlich an ihnen herum. Mein Dolmetscher bekommt schreckgeweitete Augen, springt auf und zerrt mich aus dem Raum. „Du, das ist nicht mehr sicher hier“, raunt er mir zu. „Bitte lass uns gehen!“ Hoschiar lächelt nachsichtig, das hat er anscheinend nicht zum ersten Mal erlebt.

      In seinem Vorgarten steht ein Schild mit einem Totenkopf und zwei gekreuzten Knochen. Er hat den Boden abgesteckt wie ein Minenfeld, das gesäubert werden soll. Auf dem Hausdach weht eine Nippon-Flagge, die ihm angeblich ein japanischer Journalist gekauft hat. Sein Auto ziert ein Aufkleber, mit dem sich Hoschiar direkt an die Minen wendet: „Gott und meinem Land zuliebe – ich bin bereit, euch zu zerstören, wo immer ihr auch seid.“

      „Solange ich noch meine Hände habe, werde ich mit dieser Arbeit nicht aufhören“, sagt er, „glaub mir, nicht für einen Moment.“ Er reicht mir zum Abschied die Hand. Wir gehen hinaus auf die Straße, und er humpelt mit seinen Krücken hinter uns her.

      „Die Freiheit hat eben ihren Preis“, ruft er uns nach, als wir in unser Auto einsteigen.

      Noch einmal strahlt er übers ganze Gesicht. Und winkt uns mit seinen Krücken nach.

      ERBIL

       Ich brauche nur „Almanya“ zu sagen – schon strahlt mein Taxifahrer und reckt den Daumen nach oben. „Very good people“, kommt dann aus seinem Mund. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Es ist fast schon erdrückend, wie die Kurden die Deutschen lieben. Seit Berlin auch noch Waffen liefert, ist die Liebe ins Unermessliche gestiegen.

       Die Taxifahrer graben im Gedächtnis nach großen Deutschen. „Schumacher“ ist ein Topfavorit, „Schweinsteiger“ ebenso. Aber einer macht mit Riesenabstand das Rennen. Ich zucke jedes Mal zusammen, wenn der Name fällt. „Hitler“, sagen sie und ballen bewundernd die Faust. Toller Kerl, hat es mit der ganzen Welt aufgenommen. Genauso tapfer wie die Peschmerga, die von einer Übermacht an Soldaten und Waffen nicht zu besiegen waren.

       Bei Arabern ist der Hitler-Hype weit verbreitet, dort liebt man ihn wegen seines Hasses auf die Juden. Aber zu den sanftmütigen Kurden passt das irgendwie nicht. Sie haben auch überhaupt nichts gegen Juden. Ich frage kurdische Freunde, wie sie sich das Phänomen erklären. „Das rührt noch aus Saddams Zeiten“, antworten sie. „In unseren Schulbüchern war Hitler einfach ein großer Feldherr. Wir haben so gut wie nichts davon gehört, dass er Verbrechen begangen hat.“

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