entgegen und die Luft war durch den Regen am Vorabend klar und erfrischend. Sie schob die Bettdecke zur Seite und sprang aus dem Bett. Rasch zog sie sich an und war im nächsten Moment, mit der Katze als Vor- und der Hündin als Nachhut, aus der Türe getreten.
»Was für ein herrlicher Morgen!«, dachte Julie, als sie von der Terrasse des Hauses Ausschau nach den weidenden Pferden hielt. Sie klatschte ein paarmal in die Hände. »Windus, Yotimo, auf geht’s, es gibt Frühstück!«
Sie ließen nicht lange auf sich warten. Mit erhobenem Schweif und aufgeblähten Nüstern brachen die beiden schwarzbraunen Wallache aus den Nebelschwaden der Senke mit einem freudigen Wiehern im gestreckten Galopp den Hügel hinauf. War es doch genau diese graziöse Anmut, die ein Pferd aus Liebe und Freude zu seiner Freiheit präsentieren konnte, die Julie immer wieder aufs Neue in einen faszinierenden Bann zog.
Im Stall warteten die beiden Pferde bereits ungeduldig auf ihr Futter, als Julie hereinspazierte. »Guten Morgen Jungs, alles klar bei euch?«, rief sie freudig. Sie gab ihnen Kraftfutter in den Trog und begann den Stall auszumisten. Als sie sich währenddessen an den Augenblick ihrer ersten Begegnung mit den beiden Pferden erinnerte, umspielte ein Lächeln ihre Lippen. Sie hatte sich auf Anhieb in die beiden verliebt. Für einen Moment unterbrach sie ihre Tätigkeit, stützte sich auf dem Knauf der Mistgabel ab und betrachtete die zwei, wie sie genüsslich ihr Futter fraßen.
Julie wusste bereits damals, dass jeder der beiden sie eine lange Strecke ihres Lebens begleiten würde, und sie versprach sich und den Pferden, sie für nichts auf der Welt wieder herzugeben. Windus, der Ältere der beiden, begleitete sie nun schon mehr als ihr halbes Leben.
»Wie die Zeit doch gelegentlich zu fliegen scheint«, überlegte Julie. Dabei bemerkte sie, dass sie sich nun selbst etwas beeilen sollte. Sie leerte die volle Schubkarre, sah nach dem Wasser und streichelte den beiden Pferden zum Abschied liebevoll den Hals. »Ich werde später wieder zu euch kommen, dann reiten wir aus. Erst mal gehe ich aber mit Tipsy spazieren.« Daraufhin wandte sie sich von ihnen ab und ging Richtung Stalltüre. Dort stand die kleine Hündin schon erwartungsvoll parat. Sie hechelte freudig und wedelte aufgeregt mit ihrer Rute. »Ja, jetzt geht es los!« Julie drehte sich noch einmal nach den Pferden um und verließ anschließend mit ihrer Hündin den Stall.
Beim Spaziergang stellte sich Julie vor, wie sie nach einem Ausritt am Vormittag später am Mittag zum Essen bei ihren Eltern sein wollte. Sie empfand ein starkes Bedürfnis noch eine Weile mit ihnen zu verbringen und sich intensiv zu verabschieden. Ein Fuchs schlich währenddessen zu ihrer Linken geduckt durch das Gras. Plötzlich hielt Julie an und blickte auf. Der laue Sommerwind strich ihr dabei einige Haarsträhnen über die Stirn und ihr zu einem Pferdeschwanz zusammengebundenes kastanienbraunschimmerndes Haar wiegte sich rhythmisch in der Brise. Sie sah, wie das satte Rotorange der aufsteigenden Sonne allmählich die zuvor einheitlich graublaue Tönung des Himmels verdrängte. Gefesselt vom Anblick des Sonnenaufgangs stand sie mit ihrer Hündin an ihrer Seite für eine Weile einfach nur da und betrachtete das Farbenspiel. Nachdem die Sonne zu einem Drittel aufgestiegen war, ging sie weiter. Sie dachte darüber nach, dass morgen der große Aufbruch bevorstand. Hoffentlich musste sie nicht allzu sehr mit den Tränen kämpfen. »Wird schon alles gehen …«, beruhigte sie selbst ihre Gedanken.
Als Julie die Türe zur Wohnung ihrer Eltern öffnete und den Flur entlangging, drang der Duft der Köstlichkeiten bereits an ihre Nase. Sie atmete tief ein, um den Geruch von Röstzwiebeln und gebratenen Pilzen noch intensiver wahrnehmen zu können. Jetzt erst fiel ihr auf, wie hungrig sie war, hatte sie doch im Eifer des Gefechtes ganz vergessen, etwas zu frühstücken. Ihr wurde nun auch klar, woher das flaue Gefühl in ihrer Magengegend kam. Ihr Vater stand mit zubereitetem Knödelteig an den Fingern in der Küche und ihre Mutter deckte im Esszimmer den Tisch. »Hallo Julie!«, ertönte es von beiden Seiten.
»Hallo zusammen! Ich habe einen ganz schönen Hunger mitgebracht!« Während Julie ihrem Vater über die Schulter linste, drückte sie ihm einen dicken Kuss auf die Wange.
»Du kommst genau richtig!«, sagte ihre Mutter, die nun aus dem Nebenzimmer in die Küche gelaufen kam. Auch sie bekam einen Kuss auf die Wange. »Es ist fast alles fertig, nur dein Vater braucht mal wieder etwas länger. Du kennst ihn ja, wie er sich an seinen Knödeln immer verkünsteln kann.« Lächelnd schüttelte sie den Kopf.
Ihr Vater holte tief Luft. »Ah, ich arbeite doch schon an der zweiten Portion. Ich bin schon längst fertig. Wegen mir können wir loslegen, bevor die ersten Knödel wieder kalt werden«, konterte er. Dabei schnitt er die fertigen Knödel in Scheiben, legte sie auf einen Teller und trug sie ins Esszimmer. »Sofern deine Mutter den Salat und die Pilze fertig hat«, ließ er sich nicht nehmen nachzusetzten.
Ein selbstzufriedenes Schmunzeln lag auf seinen Lippen und Julie amüsierte sich sichtlich über deren Neckereien.
Nachdem sich alle gesetzt hatten, bediente sich jeder nach Herzenslust und genoss zunächst schweigend ein paar Bissen des leckeren Essens.
»Hast du alles fertig gepackt?«, unterbrach Julies Mutter schließlich die Stille.
»Ja, hab alles fertig und alles in meinen beiden Taschen unterbekommen.«
»Meinst du nicht, dass das zu wenig ist, was du mitnimmst? Ich meine, du wirst ja eine ganze Weile dort leben.«
»Ich denke schon, dass mir das genügt. Ich werde mir in Whitehorse etwas kaufen, falls mir etwas fehlen sollte«, erklärte Julie.
Ihr Vater legte seine Gabel an den Rand des Tellers, lehnte sich zurück und schluckte den letzten Bissen hinunter. Ohne den Kopf in Julies Richtung zu wenden, bewegten sich seine Augen nun hinter entspannten Augenliedern zu ihr. »Du bist verrückt!«
Als habe sie damit gerechnet, lehnte auch sie sich nun gelassen nach hinten. »Ach was, ich kann meine Wäsche doch waschen, da braucht man doch nicht zig Klamotten mitzunehmen.«
Julie wusste genau, dass die Aussage ihres Vaters sich nicht auf die geringe Anzahl ihrer Kleidungsstücke bezog, als vielmehr auf die Tatsache ihres Vorhabens an sich. Diesen Scherz konnte sie sich jedoch nicht verkneifen.
Breit lächelnd sah sie ihren Vater an. Es war ihm nicht gelungen, ernst zu bleiben, denn auf seinen Lippen fand sie dieses verschmitzte, ihm eigene Lächeln, das sich bis hin zu seinen Augen zog. Es verriet, dass er ihre Entscheidung zwar nicht so recht nachvollziehen konnte und er Angst um sie hatte, aber auch, wie sehr er sich für sie freute. Womöglich beneidete er sie sogar für ihren Mut.
»Also, ich finde das klasse!«, warf Julies Mutter zeitgleich ein. »Manche Dinge sollte man einfach tun, solange man jung ist. Sie hat doch recht, sich diesen Traum zu erfüllen, finde ich!« Dabei sah sie Julie ermutigend an.
Zunächst aßen alle weiter, aber man konnte eine leichte Spannung im Raum spüren.
Dieses Gefühl der Spannung ließ nach, als Julies Vater das Schweigen unterbrach. »Was will denn eine junge Frau mit gerade mal zweiunddreißig Jahren in der Wildnis? Du kennst dich doch überhaupt nicht aus mit den ganzen Herausforderungen, die dort auf dich zukommen können. Und die Menschen kennst du ja auch noch nicht. Du hättest das Buch doch auch hier schreiben können. Weißt du denn mittlerweile, worüber du scheiben möchtest und hast du dir schon einen Titel ausgesucht?«
Endlich machte ihr Vater eine Pause, so dass Julie sich zu all dem äußern konnte. »Na so jung bin ich auch nicht mehr, aber danke für das Kompliment!«, begann sie, während sie ihrem Vater zuzwinkerte. »Das ist richtig, ich kenne mich überhaupt nicht aus, aber genau deshalb möchte ich dort hin, um das Wesentliche zu lernen. Und ja, auch werde ich die Menschen erst kennenlernen, wenn ich dort bin. Du weißt doch, dass ich keine Hemmungen habe, mit anderen in Kontakt zu treten. Ich stelle mir das alles nicht so schwierig vor.«
In der Tat war Julie eine sehr offene und herzliche Person ihren Mitmenschen gegenüber, denen sie unvoreingenommen begegnete. Allerdings ließ sie die Vorsicht zu fremden Menschen manchmal etwas zaghaft und scheu wirken.
»Nun, ich weiß noch nicht so genau, was ich schreiben werde. Ich denke, ich werde auch hier mein Herz entscheiden lassen. Geschweige denn, dass ich weiß, wie ich das Buch nennen werde! Das werde ich zu gegebener