glänzend auf dessen Oberfläche.
Auf dem weiterführenden Weg stieß Julie auf ein Hinweisschild, welches ihr verriet, dass sie sich auf dem ›Millennium Trail‹ befand. Von dort aus, dem Weg folgend, tauchte sie ein in ein mit Fichten, Kiefern, Espen und Birken bewaldetes Gebiet. Feiner, ätherischer Geruch von den Blättern und der Rinde der Bäume stieg in ihre Nase. Der weiche hellbraune Waldboden wurde an manchen Stellen, durch die einfallenden Sonnenstrahlen, hell erleuchtet. Hier und da sah sie, wie kleine freche Streifenhörnchen ihren Weg kreuzten, um auf der gegenüberliegenden Seite ihr lustiges, pfeifendes Treiben fortzusetzen. Vergnügt durch die Gegebenheiten spazierte Julie in fröhlicher Gelassenheit durch den Wald, bis sie gewaltig rauschende Wassermassen, die in der Ferne zu hören waren, aufhorchen ließen. Es dauerte nicht allzu lange und sie erreichte eine himmelblau lackierte Eisenbrücke. ›Rotary Centennial Bridge‹ war mit gelber Schrift auf einem Holzschild über deren Eingang geschrieben. Sie betrat die knarzenden dunkelbraunen Holzdielen und überquerte den Yukon. Von der Brücke aus konnte sie nun auf ein Wehr blicken, dessen donnernder Wasserfall eine meterhohe Gischt verursachte. Das von dort aus im Anschluss fließende Wasser des Yukon schoss mit enormer Geschwindigkeit seinem Verlauf entlang und sprudelnde weiße Wellen ebbten erst kurz vor der Brücke wieder ab. Die aufgewühlten türkis- und smaragdgrünen Wassermassen brachten ein lautes Tosen mit sich, das sämtliche Geräusche der Umgebung überlagerte.
Als Julie auf der anderen Seite der Brücke ankam, schmückten wieder Weidenröschen, Rosenbüsche und eine Vielzahl an feinen Gräsern den Wegesrand. Immer wenn es der Sonne gelang zum Vorschein zu treten, kamen die leuchtenden Farben des Waldes in ihrer vollkommenen Schönheit zur Geltung. Allmählich verflüchtigten sich die Geräusche des aufgebrachten Wassers hinter Julie und ihr Gehör schien umso mehr aufzuatmen, je weiter sie nun in den vor ihr liegenden Wald hineinlief. Noch klarer als zuvor drangen nun die feinen vereinzelten Rufe der Grauwasseramseln aus den hohen Wipfeln der Bäume an ihr Ohr. Beflügelt von den Eindrücken der Umgebung bemerkte Julie, als sie sich plötzlich wieder an der Hauptstraße befand, wie eng verbunden doch Zivilisation und Wildnis hier im hohen Norden waren. Kurz hielt sie an, holte tief Luft und ließ die Eindrücke auf sich wirken.
Bei strahlendem Sonnenschein erreichte Julie schließlich am Nachmittag wieder die Innenstadt. Es war mittlerweile so warm geworden, dass sie sich unterwegs mancher ihrer längeren Kleidungsstücke entledigte, um die wohltuenden Sonnenstrahlen an ihre Haut gelangen zu lassen. Auf einem Spielplatz sprangen Kinder mit wildem Getöse und Gelächter durch ein Wasserspiel und auf einer angrenzenden Wiese lagen die Menschen auf ihren mitgebrachten Decken und genossen das herrliche Wetter. In den Straßencafés war beinahe kein freier Platz mehr zu finden und auf den Straßen stauten sich stellenweise die Autos. Julie stellte fest, dass, obwohl Whitehorse die Hauptstadt des Yukon war und hier der Hauptteil der Gesamtbevölkerung des Yukon lebte, die Stadt dennoch nicht überfüllt schien. In Deutschland käme dies eher einer Stadt auf dem Lande gleich und genau das war es, was Julie auf Anhieb an Whitehorse gefiel. Sie schlenderte durch die Straßen, sah sich in den Läden um und gönnte sich zwischendurch in der Sonne eine Tasse Tee, ehe sie am frühen Abend noch einmal das Ufer des Flusses aufsuchte. Erst der Hunger, der begann unnachgiebig zu werden, zwang Julie dem Wasser den Rücken zu kehren und in die Stadt zurückzugehen.
Nach einem reichhaltigen Essen im ›Ribbs & Salmon‹ gesättigt und durch die Zeitverschiebung etwas mitgenommen, steuerte Julie ihr Hotelzimmer an und warf sich erschöpft, aber glücklich aufs Bett. Sie dachte daran, wie wohl der morgige Tag werden würde und wie gespannt sie auf alles war. Nachdem, was sie an nur einem Tag erlebt hatte, war sie nun noch gespannter, auf das, was sie erst in den wilden Weiten des Yukon zu Gesicht bekommen und erleben würde. Bevor sie sich jedoch bewusst genauer mit ihren Gedanken auseinandersetzten konnte, hörte sie in der Ferne ihrer Gedanken erneut den Ruf des Adlers aufleben und im nächsten Moment war sie auch schon eingeschlafen.
»SKY HIGH« – DIE RANCH
»Hallo! Wartest du auf jemanden von der ›Sky High‹?«
Lächelnd kam Julie eine schlanke Frau mit lockigen blonden Haaren entgegen. Das schulterlange Haar verlieh ihr etwas Engelhaftes.
»Ja, das bin ich. Ich bin Julie«, antwortete sie ihr freudig.
Die beiden schüttelten sich herzlich die Hände.
»Ich bin Trudy und bringe dich zur Ranch. Wir haben ja bereits miteinander telefoniert. Es freut mich, dich endlich persönlich kennenzulernen!«
Trudy war bei den vorangegangenen Organisationen Julies Ansprechpartnerin gewesen. Sie ermöglichte, nach Rücksprache mit den anderen Teilhabern der Ranch, sozusagen ihren etwas aus der Reihe fallenden Aufenthalt.
Julie war sehr erleichtert, dass sie sich auf Anhieb zu verstehen schienen. »Freut mich auch, dich nun endlich persönlich kennenzulernen!«
Nach der Begrüßung glitt Trudys Blick hinüber zu dem Rucksack, der etwas entfernt von Julie stand. »Ist das dein ganzes Gepäck, das du dabei hast?«, fragte sie etwas erstaunt, als sie Julie wieder ansah.
»Ja, das ist alles. Ich weiß, ich werde mir noch das eine oder andere zulegen müssen zu gegebener Zeit, aber vorerst sollte es genügen.«
»Wow, nicht schlecht! Na dann schnapp mal dein Gepäck und los geht’s.« Trudy ging los, um Julie die Türe aufzuhalten.
Julie folgte ihr zum Wagen und legte ihr Gepäck in den Kofferraum. Anschließend setzte sie sich neben Trudy in den Van.
»Okay«, sagte Trudy, während sie den Wagen startete und zu Julie hinübersah. »Du wirst ja erst mal für ungefähr eine Woche auf der Ranch bleiben, bevor dich die Hütte ruft, richtig?«
»Jep, das ist richtig«, antwortete Julie und strahlte dabei über das ganze Gesicht.
»Wenn du also im Moment keine Besorgungen erledigen möchtest, können wir ja direkt zur Ranch fahren. Die Lebensmittel, die du anschließend brauchst, wenn du alleine in der Hütte wohnst, gehen wir dann nächste Woche einkaufen.«
»Ja, wegen mir können wir sehr gerne gleich zur Ranch fahren. Ich bin schon so gespannt!«, sprudelte es förmlich aus Julie heraus.
Trudy setzte lächelnd den Wagen in Gang. Dem Highway folgend verließen sie Whitehorse in westlicher Richtung.
Bereits nach wenigen Minuten bog Trudy außerhalb der Stadt nach links ab und sie gelangten auf einen breiten Schotterweg, der beidseits des Wegrandes mit hohen graugrünen Kiefern und Fichten gesäumt war. Ihre Kronen neigten sich sanft im säuselnden Wind und treibende Nebelschwaden verschleierten ihre Wipfel. Der Weg schlängelte sich weiter durch eine hügelige Wald- und Buschlandschaft. Kleine Täler erlaubten einen Einblick in die Weiten der Landschaft. Obwohl ein nebelig verhangener Wolkenteppich die Sicht behinderte, beeindruckte die Schönheit der Landschaft Julie tief.
Plötzlich kreuzte ein Hase mit großen Sprüngen ihren Weg und Trudy musste scharf abbremsen. »Ah, sieh, das erste Wildtier, das du hier oben zu Gesicht bekommst! Das wird aber weiß Gott nicht das einzige Tier bleiben, das dir bei deinem Aufenthalt hier bei uns vor die Augen kommen wird, denke ich.« Sie sah mit einem leichten Lächeln kurz zu Julie hinüber.
»Jep, das hoffe ich!« Julie erwiderte Trudys Lächeln und Aufregung lag in ihrem Blick.
»Allerdings kommen dennoch immer wieder Besucher, die für eine Weile bei uns bleiben, denen es nicht vergönnt ist, die wirklich wilden Tiere unseres Landes zu sehen. Manche, die keine Tiere zu Gesicht bekommen, reisen enttäuscht wieder ab. Für einige unter ihnen ist das Beobachten der Tiere ein Hauptgrund in diese abgeschiedene Gegend zu reisen. Ich sage immer, man sollte nicht so verkrampft darauf hoffen, einen Bären, Elche oder dergleichen zu sehen, sonst wird man eben womöglich enttäuscht.« Erneut wendete Trudy ihre Augen einen Moment von der Straße ab und sah wieder zu Julie hinüber. Ein breites Lächeln begleitete ihre Worte: »Wenn man sie sehen soll, dann sieht man sie auch!«
Julie nahm sich einen Moment Zeit und überdachte Trudys letzte Worte. »Nun, dann bin ich schon sehr gespannt, ob und was für ein Glück