bin. Versprochen!« Ein liebevolles Lächeln lag dabei auf ihrem Gesicht und ein Augenblick des Schweigens folgte. »Dann mach ich mich jetzt auf den Weg. Komm gut wieder nach Hause, Mami!«
Julies Mutter hob noch einmal ihre Hand zum Abschied, bevor sie sich in den Wagen setzte und losfuhr.
Die immense automatische Drehtür quietschte, als Julie die riesige Abflughalle betrat. Nach ein paar Metern hielt sie an, um sich zwischen der umherlaufenden Menschenmenge zu orientieren. Schon von weitem sah sie nun die große, leuchtende Tafel hoch oben in der Mitte der Halle, an der die Abflugzeiten, die Check-in-Schalter und die Abflugterminals bekannt gegeben wurden. Sie ging los in deren Richtung und blieb davor stehen, um nachzusehen, an welchem Schalter sie sich für ihren Flug einchecken musste. Andere taten es ihr gleich und es herrschte reges Gemurmel um sie herum. Nachdem sie daraufhin eingecheckt und ihr Gepäck aufgegeben hatte, passierte sie die Zollkontrolle. Sie stellte fest, dass sie noch genügend Zeit hatte, bevor das Flugzeug starten würde und so entschloss sie sich zu einer Tasse Kaffee und einem kleinen Frühstück. Sie musste nicht weit gehen und entdeckte ein Café.
Aromatischer Kaffeeduft drang an ihre Nase und im Hintergrund lief entspannende Klaviermusik aus kleinen dunklen Lautsprechern. Wie sie so dasaß, die Beine übereinandergeschlagen, die Ellbogen auf den Tisch stützend und ihre Tasse zum Mund führend, bemerkte Julie, wie sie anfing, die vorbeiströmende Menschenmenge zu betrachten. Ihr fiel ein Pärchen auf, das sich beim Vorübergehen zankte, ein Vater, der mit seiner Tochter lauthals diskutierte, ein Geschäftsmann, der sich vor Eile beinahe überschlug, und eine Familie, die scheinbar völlig entnervt schweigend nebeneinander herging. Ihr fielen durchaus auch fröhliche Menschen auf. Dennoch waren es die Gehetzten und Gestressten, die Julies Blicke auf sich zogen. Sie dachte darüber nach, warum es ihr manchmal so vorkam, dass hierzulande die Menschen so unzufrieden schienen. War es das Bestreben nach immer mehr, oder der auferlegte Zwang, in der Gesellschaft mithalten zu müssen? »Vermutlich beides«, gab sie sich in Gedanken selbst zur Antwort. Julie stellte ihre Tasse ab und lehnte sich mit einem innerlichen Seufzen zurück. »Im Gesamten betrachtet, ist es doch wohl eher eine Misere des Systems!«, überlegte sie und in ihrem Gesichtsausdruck spiegelten sich Verständnis und Mitgefühl.
Dies war einer der Gründe, warum sich Julie schon früh für ein zurückgezogenes Leben entschieden hatte. Die Abgelegenheit und Einfachheit ihres kleinen Hauses, die Nähe zur Natur und das harmonische Miteinander ihrer Familie, mitsamt den Tieren, gaben ihr die innere Ruhe und Zufriedenheit, der es bedurfte, um dem Einfluss der hektischen und auf psychische Manipulation angelegten Gesellschaft zu entkommen. Nicht immer stieß sie jedoch auf Verständnis, was ihre Lebensweise betraf, und es machte auch bei Weitem nicht alles einfacher. Allerdings war dies der Weg, den Julie für sich ausgesucht hatte und sie war glücklich dabei. War es nicht genau das, worauf es im Leben ankommen sollte?
Julie richtete nun ihre Aufmerksamkeit auf das Brötchen, das vor ihr lag, und biss mit Genuss hinein. Nachdem sie aufgegessen und ihren Kaffee getrunken hatte, schlenderte sie noch ein wenig durch die Flughafengeschäfte, ehe sie sich zum Abflugterminal begab. Die verbleibende Zeit, bevor das Flugzeug starten würde, wollte sie mit Lesen verbringen. Sie setzte sich in die Wartehalle und packte ihr Buch aus. Erst eine Frauenstimme, die nach einer Weile über große Lautsprecher an ihr Ohr drang, ließ sie aufhorchen.
»Meine sehr verehrten Damen und Herren. Das Flugzeug mit der Flugnummer 8484 nach Vancouver steht nun an Terminal 147 zum Einsteigen bereit. Bitte halten Sie Flugticket und Ausweis bereit. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.«
Julie lächelte voller Vorfreude, während sie das Buch verstaute und ihren Pass und ihr Ticket aus der Tasche zog. Als sie aufsah, hatten sich bereits einige Leute in eine Warteschlange eingereiht. Sie packte ihre Sachen zusammen, stand auf und stellte sich in die Reihe. Schließlich übergab sie der wartenden Stewardess ihr Ticket, das diese entwertete, und folgte daraufhin einem langen Gang, der am Bug des Flugzeuges endete. Beim Betreten der Maschine wurde sie freundlich von der Crew begrüßt. Nach einem kurzen Blick auf ihr Ticket zeigte ihr die Stewardess den richtigen Gang zu ihrem Sitzplatz. Julie verstaute zunächst die Jacke und die Tasche in der Ablage über ihrem Sitz, ehe sie sich setzte. Sie atmete tief ein und langsam wieder aus und bemerkte, wie sich jeder Muskel in ihr zu lockern begann.
Flugangst war für Julie nie ein Thema gewesen. Ganz im Gegenteil. Sie fühlte sich immer sehr wohl, hoch oben über den Wolken. Beim Start der großen Maschinen war sie schon immer von der gewaltigen Kraft fasziniert, die dahinterstecken musste, um solch einen Kollos in die Lüfte zu heben.
Während das Flugzeug nun zur Startbahn rollte, schloss Julie die Augen. Sie ließ sich voll und ganz auf den Moment ein, in dem sie durch die zunehmende Geschwindigkeit der Maschine zunächst sanft und dann aber mit stetig steigender Vehemenz in die Tiefe ihres Sitzes gezogen wurde.
AN DEN UFERN DES YUKON
Julie öffnete die Augen. Durch einen Spalt zwischen den Vorhängen, der der anbrechenden Helligkeit Einlass gewährte, sah sie, dass draußen allmählich der neue Tag erwachte. Sie streckte und räkelte sich gähnend, wobei ihre Muskeln teilweise leicht erzitterten.
Nach ihrer Ankunft am späten Vorabend am Flughafen von Whitehorse war sie, nachdem sie mit einem Shuttle-Bus zum ›Best Western‹ gefahren war und ihrer Familie über ihre sichere Ankunft berichtet hatte, so übermüdet, dass sie nur noch ins Bett gefallen war. Nun hatten der Schlaf, Tatendrang und freudige Erwartung sie mit neuer Energie aufgeladen.
Ohne Eile und dennoch zügig stand sie auf, zog sich an und verließ das Hotelzimmer. Bereits bei ihrer Ankunft hatte Julie bemerkt, wie sorgfältig das Hotel gestaltet war. Aber nun, als sie aus dem Aufzug trat und in Richtung Restaurant ging, fühlte sie sich in eine andere Zeit versetzt. Das gedrechselte nussbraune Geländer, das die Treppe und die Abgrenzung der ersten Etage zierte, der Fußboden, der beim Betreten knarzte, und selbst die Rezeption, die an eine alte Poststelle erinnerte, alles war aus einfachem Holz gezimmert und voller Harmonie. Ein riesiger ausgestopfter Elchkopf mit weit ausladenden elfenbeinfarbenen Schaufeln schmückte den Holzbalken direkt neben dem Wartebereich und ließ den Betrachter die unmittelbare Nähe zur Wildnis spüren. Die Uhr war stehen geblieben und die Zeiten des Goldrausches am Yukon wurden lebendig.
Julie hatte sich entschlossen einen Tag in Whitehorse zu verbringen, um die Hauptstadt des Yukon Territoriums zu erkunden, bevor es weiter zur Ranch gehen sollte. Daher verließ sie nach dem Frühstück das Hotel. Es war noch früher Morgen und düsteres, ja beinahe bedrohliches, graues Tageslicht umgab sie. Vor dem Eingang blieb sie stehen. Ihr Blick richtete sich gen Himmel. Dicke schwere Wolken, die ein Durchdringen der Sonnenstrahlen unmöglich machten, bedeckten ihn. Julie schloss die Augen. Die frische klare Morgenluft durchströmte ihre Lungen nach einem tiefen Atemzug. Ein herb holziger Geruch drang an ihre Nase. Ganz in der Nähe musste sich ein Wald befinden. Langsam öffnete sie ihre Augen wieder und nach kurzer Orientierung ging sie los. Auf Höhe des Hougen Centers, vierer aneinandergereihter verschiedenfarbiger Kaufhäuser, die in einem liebevoll gestalteten, beinahe nostalgischem Baustil gehalten waren, überquerte Julie die Straße. Sie hielt erneut an und sah sich um. Es irritierte sie ein wenig, dass sie nach wie vor die einzige Person war, die weit und breit zu sehen war. Kein einziges Auto bewegte sich auf den Straßen und es herrschte absolute Stille. Nur der feine Wind, der ihr ein paar Haarsträhnen ins Gesicht blies, säuselte in ihren Ohren. Die Stadt schien wie ausgestorben. »Das muss wohl an der frühen Morgenstunde liegen«, überlegte sie. Wohl gerade deshalb genoss Julie diesen Moment, scheinbar alleine inmitten der Hauptstadt des Yukon zu stehen.
Als sie weiterging, sah sie, wie hoch oben der Wind immer stärker wurde. Heftige Windböen türmten verschieden graugefärbte Wolkenschichten übereinander. An anderer Stelle rissen sie die Wolkendecke auseinander. Ein türkisfarbenes Himmelszelt kam zum Vorschein. Grelle Sonnenstrahlen blitzten durch die sich öffnenden Wolken. Weiß- und pastellgelb leuchtende Lichtstrahlen fielen auf die Fassaden der Gebäude. Häuser wechselten im Sekundentakt ihre Farbe. Schatten tanzten ein Ballett über den Dächern. Letzte Lichtstrahlen kämpften an den Wolkenrändern, bevor schwarze Wolken die Helligkeit wieder löschten. »Meine Güte, was für ein Anblick!«, waren ihre Gedanken, als sie dieses Vorgehen voller Ehrfurcht