er den Scheck zurückbekommen hatte, schien ihm da irgend etwas nicht in Ordnung zu sein. Warum war sein Sohn nicht auf den Hund gekommen? Doch wer konnte wissen?
Er hatte natürlich erfahren – das heißt, er hatte sich bemüht ausfindig zu machen – daß Jo in St. Johns Wood lebte, in der Wistaria Avenue ein Häuschen mit Garten besaß, seine Frau mit in Gesellschaft nahm – eine sonderbare Art von Gesellschaft wahrscheinlich – und daß sie zwei Kinder hatten – den kleinen Jungen, den sie Jolly nannten (den Namen fand er in Anbetracht der Verhältnisse geradezu zynisch, und der alte Jolyon fürchtete und verabscheute allen Zynismus) und ein Mädchen namens Holly, das nach der Heirat geboren war. Wer weiß, in was für Verhältnissen sein Sohn eigentlich lebte. Er hatte das von seinem Großvater mütterlicherseits erhaltene Erbteil zu Geld gemacht und eine Anstellung beim Lloyd genommen; und er malte Bilder – Aquarelle sogar. Der alte Jolyon wußte das, denn er hatte sie von Zeit zu Zeit heimlich gekauft, als er zufällig einmal den Namen seines Sohnes unter einer Themseansicht im Schaufenster eines Händlers entdeckt hatte. Er fand sie schlecht und hängte sie der Unterschrift wegen nicht auf, sondern bewahrte sie verschlossen in einem Schubfach auf.
In dem großen Opernhaus überkam ihn eine heftige Sehnsucht nach seinem Sohn. Er gedachte der Tage, wo er ihn in einem braunen Leinenkittelchen zwischen den Beinen hatte hin und her schwingen lassen, der Zeiten, wo er neben dem Pony des Jungen hergelaufen war und ihn reiten gelehrt, und des Tages, an dem er ihn zum ersten Mal in die Schule gebracht. Er war ein liebevoller, liebenswürdiger kleiner Kerl! Als er nach Eton gekommen war, hatte er vielleicht ein wenig zu viel von den wünschenswerten Manieren angenommen, die, wie der alte Jolyon wohl wußte, nur an solchen Orten und mit großen Kosten zu erwerben waren; aber er war immer umgänglich geblieben. Immer ein guter Kamerad, selbst nach dem Aufenthalt in Cambridge – vielleicht ein wenig von oben herab infolge der Vorteile, die er dort gehabt. Des alten Jolyon Gefühle den öffentlichen Schulen und Universitäten gegenüber schwankten nie, und er bewahrte seine rührende Bewunderung wie sein Mißtrauen gegen ein System, das nur den Ersten des Landes zugute kam und an dem teilzunehmen ihm nie vergönnt gewesen war ... Jetzt, nachdem June fort war und ihn verlassen oder so gut wie verlassen hatte, wäre es ihm ein Trost gewesen, seinen Sohn wiederzusehen. Von diesem Verrat an seiner Familie, seinen Prinzipien, seinem Stande bedrückt, heftete der alte Jolyon seinen Blick auf die Sängerin. Ein armseliges Wesen – ein jämmerlich armseliges Wesen. Und dieser Florestan, ein wahrer Stock.
Es war aus. Die Leute waren heutzutage leicht zufrieden zu stellen.
Im Gedränge auf der Straße schnappte er einem kräftigen und viel jüngeren Manne vor der Nase eine Droschke weg, die dieser bereits als die seine betrachtet hatte. Der Kutscher wich vom gewohnten Wege ab, und der alte Jolyon öffnete die Klappe (er konnte Umwege nicht leiden), doch als sie wendeten, sah er sich plötzlich dem ›Hotch-Potch‹ gegenüber, und die geheime Sehnsucht, die ihn den ganzen Abend nicht verlassen hatte, trug den Sieg davon. Er ließ den Kutscher halten. Er wollte hinein und fragen ob Jo noch dazu gehörte.
Er ging hinein. Die Halle sah noch genau so aus wie damals, als er mit Jack Herring hier zu speisen pflegte und sie die beste Küche in London führten. Er sah sich mit dem scharfen festen Blick um, der ihm sein Leben lang dazu verholfen hatte besser bedient zu werden als die meisten Leute.
»Ist Mr. Jolyon Forsyte noch Mitglied des Klubs?«
»Jawohl, Sir, er ist augenblicklich hier. Wen darf ich melden?«
Der alte Jolyon war bestürzt.
»Seinen Vater,« sagte er.
Und nachdem er dies gesagt, stellte er sich rückwärts an den Kamin.
Im Begriff den Klub zu verlassen, hatte der junge Jolyon den Hut aufgesetzt und wollte eben die Halle kreuzen, als der Portier ihm begegnete. Er war nicht mehr jung, sein Haar fing an grau zu werden, und das Gesicht – eine genaue Kopie desjenigen seines Vaters, mit demselben herabhängenden großen Schnurrbart – war sichtlich abgezehrt. Er erbleichte. Das Zusammentreffen nach all den Jahren war furchtbar, denn nichts in der Welt war so furchtbar wie eine Szene. Sie gingen auf einander zu und reichten sich ohne ein Wort die Hände. Dann sagte der Vater mit einem Beben in der Stimme:
»Wie geht's dir, mein Junge?«
Der Sohn erwiderte:
»Und dir, Papa!«
Des alten Jolyon Hand zitterte in dem dünnen lavendelfarbenen Handschuh.
»Wenn du den gleichen Weg hast, kann ich dich ein Stück mitnehmen.«
Und als wären sie gewohnt sich gegenseitig jeden Abend nach Hause zu begleiten, gingen sie hinaus und stiegen in die Droschke.
Dem alten Jolyon kam es vor, als sei sein Sohn gewachsen. Mehr Mann geworden, dachte er im stillen. Über dem von Natur liebenswürdigen Gesicht lag es wie eine Maske von Bitterkeit, als hätten seine Lebensumstände ihn genötigt, sich zu wappnen. Die Züge freilich verrieten völlig den Forsyte, aber der Ausdruck war mehr der eines in sich gekehrten Gelehrten oder Philosophen. Er hatte im Laufe dieser fünfzehn Jahre wohl auch häufig in sich hinein schauen müssen.
Den Sohn hatte der erste Anblick des Vaters offenbar erschreckt – er sah so abgezehrt und alt aus. Aber im Wagen schien es, als habe er sich kaum verändert, denn er hatte noch den wohlbekannten ruhigscharfen Blick und hielt sich aufrecht wie ehedem.
»Du siehst gut aus, Papa.«
»Ziemlich,« erwiderte der alte Jolyon.
Ihn quälte eine Angst, die er in Worte kleiden zu müssen glaubte. Nun er seinen Sohn wieder hatte, mußte er wissen, wie seine finanzielle Lage war.
»Jo,« sagte er, »ich wüßte gern, in was für Verhältnissen du lebst. Du hast vermutlich Schulden?«
Er wählte diese Form, um seinem Sohne das Geständnis zu erleichtern.
Dieser antwortete in seiner ironischen Art:
»Nein, ich habe keine Schulden!«
Der alte Jolyon sah, daß es ihn verstimmte und ergriff seine Hand. Es war ein Wagnis gewesen. Aber es war der Mühe wert, und Jo hatte ihm nie etwas übel genommen. Ohne das Gespräch wieder aufzunehmen, fuhren sie weiter nach Stanhope Gate. Der alte Jolyon forderte ihn auf mit hinein zu kommen, aber Jo schüttelte den Kopf.
»June ist nicht hier,« sagte sein Vater hastig. »Sie reiste heute fort auf Besuch. Du weißt doch, daß sie verlobt ist?«
»Schon?« murmelte der junge Jolyon.
Sein Vater stieg aus und gab dem Kutscher beim Bezahlen zum ersten Mal in seinem Leben aus Versehen ein Goldstück anstatt eines Schillings.
Der Kutscher steckte die Münze in den Mund, trieb sein Pferd verstohlen mit der Peitsche an und jagte davon.
Der alte Jolyon drehte den Schlüssel leise im Schloß herum, stieß die Tür auf und winkte. Sein Sohn sah ihn bedächtig, mit dem Ausdruck eines Jungen, der die Absicht hat Kirschen zu stehlen, seinen Rock aufhängen.
Die Tür des Speisezimmers stand offen, das Gas war heruntergedreht; ein Spirituskessel summte auf dem Teebrett und daneben auf dem Eßtisch lag eingeschlafen eine zynisch aussehende Katze. Der alte Jolyon scheuchte sie gleich hinaus und rollte seinen Hut hinter dem Tiere her. Der kleine Zwischenfall erleichterte es ihm, seine Gefühle zu verbergen.
»Sie hat Flöhe,« sagte er und folgte ihr hinaus. Durch die Tür in der Halle, die zum Erdgeschoß führte, rief er ein paarmal »Hßt!«, wie um sich vom Verschwinden der Katze zu überzeugen, als durch einen merkwürdigen Zufall der Butler unten erschien.
»Sie können zu Bett gehen, Parfitt,« sagte der alte Jolyon, »ich werde zuschließen und das Licht ausmachen.«
Als er ins Speisezimmer zurückkehrte, kam die Katze ihm unglücklicherweise zuvor, den Schwanz steil in die Höhe gerichtet, als wolle sie damit zu verstehen geben, daß sie das Manöver, den Butler zurückzuhalten, von vornherein durchschaut habe.
Die häuslichen Kriegslisten des alten Jolyon waren von jeher vom Mißgeschick