sah er alles von der ironischen Seite; die Episode mit der Katze ebenso wie die Nachricht von der Verlobung seiner Tochter. Er hatte an dieser ja nicht mehr Anteil, als an der Mieze. Und die poetische Gerechtigkeit, die darin lag, drängte sich ihm auf.
»Wie sieht June denn jetzt aus?« fragte er.
»Sie ist ein zartes Ding,« erwiderte der alte Jolyon; »sie soll mir ähnlich sein, aber das ist ein Unsinn. Sie gleicht mehr deiner Mutter – dieselben Augen und dasselbe Haar.«
»So! und ist sie hübsch?«
Der alte Jolyon war ein zu echter Forsyte, um irgend etwas unbedingt zu loben, namentlich etwas, das er wirklich bewunderte.
»Sie sieht nicht schlecht aus – hat das echte Forsyte-Kinn. Es wird hier einsam werden, wenn sie fort ist, Jo.«
Der Ausdruck seines Gesichts erschreckte diesen wieder wie der erste Anblick des Vaters.
»Was wirst du dann anfangen, Papa? Sie ist wohl ganz vernarrt in ihn?«
»Was ich anfangen werde?« wiederholte der alte Jolyon mit ärgerlichem Ton in der Stimme. »Es wird ein elendes Leben sein, hier allein zu wohnen. Ich weiß nicht, was daraus werden soll. Ich wünschte wahrhaftig –« er hielt an sich und fügte hinzu: »Die Frage ist, was ich mit dem Hause anfangen soll?«
Der junge Jolyon sah sich im Zimmer um. Es war eigentümlich öde und leer mit seinen ungeheuren Stilleben – schlafende Hunde mit der Nase auf Möhrenbündeln und daneben Zwiebeln und Weintrauben in überraschend friedlicher Eintracht – er erinnerte sich ihrer noch aus seiner Knabenzeit. Das Haus stand zwar zwecklos da, aber er konnte sich das Leben seines Vaters in einer kleineren Wohnung nicht vorstellen; und umso größer schien ihm die Ironie, die darin lag.
In seinem großen Sessel mit dem Lesepult saß einsam wie nur je ein alter Mann in London, der alte Jolyon mit seinem weißen Haar und der hochgewölbten Stirn, der Typus seiner Familie, seines Standes und seines Glaubens, ein Repräsentant der Mäßigkeit, und Ordnung, und Liebe am Besitz.
Er saß da in der düsteren Behaglichkeit des Zimmers, ein Spielball in der Gewalt größerer Mächte, die sich nicht um Familie, Stand noch Glauben kümmerten, sondern maschinenmäßig und unerbittlich zu unerforschlichen Zielen führten. So sah es der junge Jolyon von seinem unpersönlichen Standpunkt aus.
Der arme alte Papa! Das also war das Ende, der Zweck, zu dem er mit so bewundernswerter Mäßigkeit gelebt hatte! Um einsam zu bleiben, älter und älter zu werden, voll Sehnsucht nach einer Seele, mit der er reden konnte!
Der alte Jolyon wieder sah zu seinem Sohne hin. Er hätte so gern über viele Dinge gesprochen, über die er in all diesen Jahren nicht hatte sprechen können. Es war unmöglich gewesen, June im Ernst anzuvertrauen, daß das Grundstück im Soho-Viertel seiner Überzeugung nach im Werte steigen werde, daß ihn das furchtbar lange Stillschweigen Pippins, des Leiters der New Colliery-Company, beunruhigte, dessen Vorsitzender er so lange gewesen, und daß er sich über das ständige Fallen der amerikanischen Golgotha-Papiere ärgerte, oder gar mit ihr zu beraten, wie durch eine Bestimmung irgend welcher Art die Zahlung von Abgaben zu vermeiden wäre, die seinem Hinscheiden folgen mußten. Jedoch unter dem Einfluß einer Tasse Tee, in der er ohne Ende rührte, fing er endlich an zu sprechen. Ein neuer Lebensausblick bot sich ihm, ein verheißenes Land des Sichaussprechens, wo er einen Hafen finden konnte vor den Wogen der Befürchtungen und der Sorge; wo er seine Seele mit dem Opium des Plänemachens einlullen konnte, wie sein Besitz abzurunden und das einzige, was von ihm zurückbleiben sollte, unsterblich zu machen war.
Sein Sohn war ein guter Zuhörer; es war eine seiner besten Eigenschaften. Er hielt den Blick fest auf des Vaters Gesicht gerichtet und stellte zuweilen eine Frage an ihn.
Die Uhr schlug eins, ehe der alte Jolyon geendet hatte, und beim Klang dieser Schläge stellten seine Prinzipien sich wieder ein. Mit einem überraschten Blick zog er seine Uhr hervor:
»Ich muß zu Bett, Jo,« sagte er.
Dieser erhob sich und streckte die Hand aus, um seinem Vater aufzuhelfen. Das alte Gesicht sah wieder fahl und eingefallen aus, die Augen hielt er beständig abgewandt.
»Leb wohl, mein Junge, laß dir's gut gehen!«
Einen Augenblick noch, und der junge Jolyon hatte das Zimmer eilig verlassen. Er vermochte kaum zu sehen, die lächelnden Lippen zuckten. Niemals in den fünfzehn Jahren, seitdem er zuerst dahinter gekommen war, daß das Leben nicht so einfach sei, war es ihm so seltsam kompliziert erschienen.
Drittes Kapitel
Mittagessen bei Swithin
In Swithins hellblau und orangefarbenem Speisezimmer, das nach dem Park hinaus lag, war der runde Tisch für zwölf Personen gedeckt.
Ein geschliffener Kristallkronleuchter mit angezündeten Kerzen hing wie ein riesiger Stalaktit mitten darüber und warf seine Strahlen auf große, in Gold gerahmte Spiegel, auf die Marmorplatten der Seitentische und schwere goldene Stühle mit gewirkten Sitzen. Alles verriet jenen Schönheitssinn, der so tief in jeder Familie wurzelt, die sich aus dem Herzen des einfachen Volks herauf ihren Weg in die Gesellschaft hat bahnen müssen. Swithin war alle Einfachheit wahrhaft zuwider, und seine Vorliebe für Goldzierat stempelte ihn unter seinesgleichen zu einem Manne von großem, wenn auch etwas luxuriösem Geschmack. Und in dem Bewußtsein, daß niemand diese Räume betreten konnte, ohne den wohlhabenden Mann in ihm zu erkennen, hatte er ein wahres, dauerndes Glück gefunden, wie es ihm vielleicht nichts anderes im Leben gewährt hätte.
Seitdem er seinen Beruf als Häusermakler aufgegeben hatte, der namentlich wegen der dabei vorkommenden Auktionen tief in seiner Achtung stand, hatte er sich völlig aristokratischen Neigungen hingegeben.
In dem vollkommenen Luxus seiner späteren Lebenstage lag er eingebettet wie eine Fliege im Zucker; und seine Seele, in der vom Morgen bis zum Abend sehr wenig vorging, war von zwei merkwürdig entgegengesetzten Regungen beherrscht, einer leisen und trotzigen Genugtuung darüber, seinen eigenen Weg und sein eigenes Glück gemacht zu haben, und einer Empfindung, daß ein Mann von seinen Vorzügen seine Seele niemals mit Arbeit hätte besudeln dürfen.
In einer weißen Weste mit großen Knöpfen aus Gold und Onyx stand er am Büfett und paßte auf, wie sein Diener die Hälse von drei Champagnerflaschen tiefer in die Eiskübel bohrte. Zwischen den Ecken seines Stehkragens, den er – obwohl jede Bewegung ihn schmerzte – um keinen Preis hätte ändern lassen, blieb das blasse Fleisch seines Doppelkinns unbeweglich. Seine Augen schweiften von Flasche zu Flasche. Er überlegte und kam zu folgenden Schlüssen: »Jolyon trinkt ein Glas, vielleicht zwei, er ist ja so vorsichtig; James, der kann jetzt gar keinen Wein vertragen. Nicholas und Fanny würden sicherlich Wasser in sich hineinschütten! Soames zählte nicht mit, diese jungen Neffen – Soames war achtunddreißig – konnten ja nicht trinken! Aber Bosinney?« Als er auf den Namen dieses Fremden kam, der etwas außerhalb des Bereiches seiner Philosophie lag, hielt Swithin inne. Eine Besorgnis erwachte in ihm! Man konnte nicht wissen! June war nur ein Mädchen und dazu noch verliebt! Emily, James' Frau, liebte ein gutes Glas Champagner. Für Juley, die gute alte Seele, war er viel zu trocken, sie hatte keine feine Zunge. Und Hatty Cheßman! Der Gedanke an diese alte Freundin beschwor eine Wolke von Befürchtungen herauf, die den hellen Glanz seiner Augen verdunkelte: es sollte ihn nicht wundern, wenn sie eine halbe Flasche trank!
Aber als er an seinen letzten Gast dachte – an Mrs. Soames – stahl sich ein Ausdruck über sein altes Gesicht wie der einer Katze, die eben anfängt zu schnurren. Sie trank vielleicht nicht viel, aber sie wußte zu schätzen, was sie trank, es war ein Vergnügen, ihr guten Wein vorzusetzen. Eine schöne Frau – und ihm so sympathisch!
Der Gedanke an sie war wie Champagner selbst! Ein Vergnügen, einer jungen Frau guten Wein vorzusetzen, die so gut aussah, die sich zu kleiden wußte und ein so reizendes, ganz vornehmes Wesen hatte – ein Vergnügen, sie zu bewirten. Er gestattete seinem Kopf zwischen den Ecken seines Kragens an diesem