David Fuller

Osteopathie und Swedenborg


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zum Thema; eine der bekanntesten davon war The Constitution of Man aus dem Jahr 1828. Phrenologie wurde mehr als bloß eine medizinische Wissenschaft. Sie wurde zu einer Gesellschaftsphilosophie und eine populäre Bewegung.185

      Die Phrenologie überquerte in den frühen 1820ern den Atlantik und schlug zunächst Wurzeln im medizinischen Berufsstand und in verschiedenen medizinischen Ausbildungsstätten, bevor sie in den gebildeten Klassen recht populär wurde. Die Werke der Combes verbreiteten sich ebenso schnell wie die ‚anspruchsvolleren’ Werke Galls und Spurzheims. Von engagierten Swedenborgianern in Boston aufs Neue publiziert, verbreitete sich insbesondere Combes The Constitution of Man sehr weit. Selbst Emerson schrieb eine wohlwollende Rezension über dieses führende phrenologische Buch.186 Obgleich sich die Phrenologie zunächst nur in den gebildeten medizinischen und wissenschaftlichen Kreisen Nordamerikas verbreitete, transformierte sie bald zu einer populären Bewegung. Das wurde auch während einer Reise Spurzheims 1832 nach Neuengland verkündet. Der mittlerweile sehr angesehene Spurzheim wurde zur Abschlussfeier nach Yale eingeladen und machte dort großen Eindruck. Er wurde rasch der Liebling vieler Professoren und bald war auch die medizinische Profession Neuenglands gleichermaßen beeindruckt von seinen Gehirnsektionen und den entsprechenden Konzepten. Spurzheim reiste weiter nach Boston, wo er wiederum engagiert dozierte. Im großen Freimaurertempel des Harvard College in Cambridge hielt er insgesamt 18 öffentliche Vorträge, worauf eine Vortragsreihe über Gehirnanatomie bei der Bostoner Medizinischen Gesellschaft folgen sollte. Unglücklicherweise forderte diese Arbeit ihren Tribut. Während seines letzten Vortrags fiel Spurzheim einem Fieber zum Opfer und starb im November des gleichen Jahres, keine drei Monate nach seiner Ankunft in Nordamerika. Sein Begräbnis wurde zu einem großen öffentlichen Ereignis, bei dem die Glocken der Stadt läuteten. 3.000 Bürger marschierten zum Old South Meeting House, darunter die gesamte Medizinische Gesellschaft Bostons. Spurzheims Persönlichkeit, die Vorträge und sein dramatischer Tod entfachten umso stärker das amerikanische Interesses für die Phrenologie, die sich weiter als populäre Bewegung verbreiten sollte.187

      In den folgenden zwölf Jahren wurde George Combe als der bedeutendste Phrenologe der Welt bekannt. 1838 begab er sich auf eine 18-monatige Vortragstour durch Nordamerika und sprach vor großen Auditorien in den meisten Städten an der Ostküste. Combe wurde als legitimer Träger der Mission Spurzheims anerkannt. Er war ein ausgezeichneter öffentlicher Redner und „[…] bewegte sich [ebenso] mit Leichtigkeit und Anmut in der besten Gesellschaft.” So war er schon bald mit politischen und intellektuellen Führungspersönlichkeiten, Philosophen und Schriftstellern sowie mit dem medizinischen Establishment freundschaftlich bekannt. Seine große Zuhörerschaft war gebildet, zu ihr gehörte die intellektuelle Elite des Landes. Seine Reden umfassten 16 zweistündige Erörterungen zu Psychologie und Anatomie, wozu vieles in Zeitungen und Zeitschriften gedruckt wurde. Combe wurde auf seiner Vortragstour freundlich empfangen und so blühte die Phrenologie während dieser Zeit in Nordamerika auf und phrenologische Gesellschaften schossen im ganzen Land aus dem Boden.188

      Die Phrenologie blieb aber nicht lange eine elitäre intellektuelle Bewegung. Ein Mann spielte bei ihrer Popularisierung eine bedeutendste Rolle: Orson Fowler. Fowler war 1833 Student der Lane Theological School in Massachusetts, als er sein Interesse an der Phrenologie entwickelte. Er begann über das Thema vorzutragen und bot seinen Studienkollegen Charakterbeurteilungen gegen Honorar. Er hielt weitere Reden in nahe gelegenen Städten und führte viele weitere Charakterbeurteilungen durch. Nach kurzer Überlegung entschloss sich Fowler, einen Wechsel des Berufsfeldes zu vollziehen, vom Geistlichen hin zum Phrenologen, und er überredete seinen Bruder Lorenzo Niles Fowler kurzerhand bei einer Vortragsreise im Nordosten mitzumachen. Damit brach er nicht nur mit der intellektuellen medizinischen Tradition von Gall, Spurzheim und Combe; es begann auch eine lebenslange Berufslaufbahn der Brüder Fowler, die sich durch Schreiben, Vorträge und honorierte Untersuchungen auszeichnete. Viele andere folgten ihrem Weg. Einige darunter waren gut ausgebildet, andere nicht und alle wurden sie Teil der Vortragsreisen –es war ein blühendes Geschäft. Der Historiker Davies beschreibt die Situation:189

       „Während der 1830 er und 1840 er gab es wahrscheinlich kein Dorf im Land, das nicht mindestens einen Besuch eines wandernden praktischen Phrenologen erlebte. Es war eine ungewöhnliche Profession, die oft sehr lukrativ war. Sie war in Neuengland initiiert worden und wurde zuerst von Neuengländern dominiert. Mit anderen Worten: Es handelte sich um eine Kombination aus Yankee-Missionar und Yankee-Hausierer. Jedem, der es hören wollte, wurde anspornender Eifer präsentiert und ebenso nützliche Waren für alle, die kaufen wollten.” 190

      Die populäre Bewegung der Phrenologie verlor viel von ihrer früheren wissenschaftlichen Konzentration und entwickelte sich bald zu einer erheblich schlichteren und unterhaltsamen Form populärer Vorträge über Phrenologie, mit Angeboten, die Köpfe von Freiwilligen aus dem Publikum einzuschätzen und ihren Charakter vorauszusagen und zu analysieren. Danach folgten einige Tage lang private Konsultationen gegen Honorar. Diese entwickelten sich bald zu einer Art von wissenschaftlichem Schicksalsgespräch.

      Die Phrenologie-Vorträge der 1840 er durch die Brüder Fowler und die große Zahl derjenigen, die sich ihnen anschlossen, zogen ebenso große Zuhörerzahlen an, wie dies zuvor bei Spurzheim und Combe in den 1830ern der Fall gewesen war. Die spätere populäre Phrenologie-Bewegung erfasste Städte ebenso wie ländliche Gebiete und dehnte sich westwärts über das gesamte Land aus. Gleichwohl hatte sich der Charakter, wie bereits erwähnt, deutlich verändert: Sie war nun stark populistisch und unterhaltungsorientiert. Menschen aus allen Bildungs- und Gesellschaftsschichten nahmen daran teil, vom einfachen Landmann bis hin zum Städter, vom Professor bis zum Arbeiter, und so wurde die Phrenologie zu einem gängigen Verfahren in der amerikanischen Gesellschaft der 1840er. In jenen Zeiten war es en vogue, phrenologisch beurteilt zu werden.191

      Zu jener Zeit spaltete sich die Phrenologie in zwei Richtungen: in die Wissenschaft und Philosophie von Gall und Spurzheim und in ihre praktische Anwendung bei den Charakterbeurteilungen Fowlers und anderer amerikanischer Phrenologen. Spurzheim hingegen hatte es abgelehnt, sich mit individueller Charakteranalyse zu befassen, ebenso Combe, der bestritt, etwas mit Fowler zu tun zu haben. Dennoch blühte der Fowler’sche Ansatz und wurde populärer als jener von Gall und Spurzheim. Um aber fair zu sein: Fowler schien wirklich zu glauben, dass sein praktischer Zugang die Popularität der Phrenologie befördere. Und diese wiederum würde das Fundament für eine dringend nötige Sozialreform legen, die ebenso nützlich wie lang andauernd sein würde. Unglücklicherweise – insofern die Bewegung ihren populistischen Weg für lange Zeit weiterging – nahmen die Differenzen unter den Praktikern zu. Deren mehr und mehr sinkende Qualität führte schließlich dazu, dass die Phrenologie als durchsetzt von Betrug und Täuschung wahrgenommen wurde.192

      Orson und Lorenzo Fowler eröffneten 1835 ein Büro in New York City. Das Geschäft wuchs so schnell, dass sie ihre Schwester Charlotte hinzuholten, die später aus eigener Kraft ebenfalls zu einer sehr bekannten Phrenologin wurde. 1843 schloss sich ein Medizinstudent namens Samuel R. Wells dem Geschäft an, er heiratete im darauf folgenden Jahr Charlotte und wurde Geschäftspartner; der Geschäftsname wurde in Fowler & Wells geändert. Die Fowlers waren die ersten und blieben die führenden praktischen Phrenologen in Nordamerika. Ihr Geschäft blühte in den nächsten Jahrzehnten auf und avancierte zu einem Zentrum, was die Verbreitung und den Verkauf phrenologischer Materialien in den Vereinigten Staaten betraf: Bücher, Broschüren, Tabellen zur Aufzeichnung von Charakterbeurteilungen, Gipsköpfe berühmter Menschen, Skelette, Lehrhilfen aller Art – eigentlich alles, was ein Phrenologe zum Studium und zum Praktizieren seines Berufes gebrauchen konnte. Das Hauptbüro beheimatete ebenso ein berühmtes phrenologisches Kabinett, ein phrenologisches Museum, das Zehntausende von Besuchern aus New York und von anderswo anzog.193

      1837 etablierten die Fowlers eine monatlich erscheinende Zeitschrift, das American Phrenological Journal. Obgleich die Veröffentlichung zunächst dem Modell der phrenologischen Zeitschriften in Edinburgh folgte, änderte sie bald ihre Richtung und konzentrierte sich auf Artikel, welche die Bedürfnisse der praktischen Phrenologen berücksichtigte. Wissenschaftliche Themen rückten gegenüber praktischen Untersuchungsmethoden in den Hintergrund. Das American Phrenological Journal wurde sehr erfolgreich und hatte 1847 eine Auflage von 20.000 Exemplaren, es war damit im Lande