geschaffenen Hierarchien. Aber ich frage mich, ob die These Wallersteins in dieser Form der Vielfalt der sozialen Konflikte (und insbesondere der Klassenkämpfe) nicht eine formale oder zumindest einseitige Uniformität und Globalität überstülpt. Mir scheint, dass diese Konflikte nicht nur durch ihren transnationalen Charakter gekennzeichnet sind, sondern durch die entscheidende Rolle, die mehr als je zuvor lokale gesellschaftliche Verhältnisse oder lokale Formen des gesellschaftlichen Konflikts spielen (seien sie ökonomischer, religiöser oder politisch-kultureller Natur), aus denen sich nicht unmittelbar eine »Summe« bilden lässt. Mit anderen Worten, indem ich nicht die äußerste Grenze als Kriterium nehme, innerhalb derer die Regulierung eines Systems stattfindet, sondern die Spezifik der sozialen Bewegungen und der in ihr angelegten sozialen Konflikte (oder, wenn man so will, die spezifische Form, in der sich die globalen Widersprüche widerspiegeln), frage ich mich, ob die sozialen Einheiten der heutigen Welt nicht von ihrer ökonomischen Einheit zu unterscheiden sind. Warum sollten sie eigentlich zusammenfallen? Außerdem meine ich, dass die Gesamtbewegung der Weltwirtschaft eher das zufällige Ergebnis der Bewegung dieser sozialen Einheiten als ihre Ursache ist. Aber ich gebe zu, dass es schwierig ist, diese sozialen Einheiten ohne weiteres zu identifizieren, da sie sich nicht einfach mit den nationalen Einheiten decken und sich teilweise mit ihnen überschneiden können (warum sollte eine soziale Einheit geschlossen und vor allem »autark« sein?).3
Damit wäre ich bei einer dritten Frage. Die Stärke von Wallersteins Modell, das die Ausführungen von Marx über das aus der endlosen Akkumulation des Kapitals resultierende »Bevölkerungsgesetz« zugleich generalisiert und konkretisiert, besteht darin: es zeigt, dass diese Akkumulation stets (mit Gewalt und mit Hilfe des Rechts) eine Umverteilung der Bevölkerung gemäß den sozialen und beruflichen Erfordernissen ihrer »Arbeitsteilung« erzwungen hat, indem sie ihrem Widerstand entweder nachgab oder ihn zerbrach, indem sie sogar ihre Überlebensstrategien für sich ausnutzte und ihre Interessen gegeneinander ausspielte. Die Grundlage der kapitalistischen Gesellschaftsformationen ist die Arbeitsteilung (im weiten Sinn, der auch die verschiedenen »Funktionen« einschließt, die für die Produktion von Kapital notwendig sind), bzw. die Grundlage der sozialen Veränderungen ist die Veränderung der Arbeitsteilung» Aber ist es nicht vorschnell, die Arbeitsteilung zur Grundlage all dessen zu machen, was Althusser einst den Vergesellschaftungseffekt nannte? Anders ausgedrückt, können wir (wie Marx es in manchen »philosophischen« Texten getan hat) davon ausgehen, dass die Gesellschaften oder die Gesellschaftsformationen nur dadurch »am Leben« gehalten werden und relativ dauerhafte Einheiten bilden, dass sie die Produktion und den Austausch unter bestimmten historischen Verhältnissen organisieren?
Man verstehe mich richtig: es geht nicht um eine Neuauflage des Konfliktes Materialismus-Idealismus und um den Vorschlag, die ökonomische Einheit der Gesellschaften durch eine symbolische Einheit zu vervollständigen oder zu ersetzen, die durch das Recht, die Religion, das Inzestverbot usw. definiert wird. Es geht vielmehr um die Frage, ob die Marxisten nicht Opfer einer gigantischen Illusion über die Bedeutung ihrer eigenen Analysen gewesen sind, die zu einem guten Teil die liberale Wirtschaftsideologie (und deren implizite Anthropologie) beerbt haben. Die kapitalistische Arbeitsteilung hat nichts mit einer Komplementarität der Aufgaben, der Individuen und der sozialen Gruppen zu tun: sie führt vielmehr, wie Wallerstein selbst noch einmal sehr nachdrücklich sagt, zur Polarisierung der Gesellschaftsformationen in antagonistische Klassen, die immer weniger »gemeinsame« Interessen besitzen. Wie kann sich die (zumal konflikthafte) Einheit einer Gesellschaft auf eine solche Teilung gründen? Vielleicht müssten wir unsere Interpretation der marxistischen These umkehren. Anstatt uns die kapitalistische Arbeitsteilung als etwas vorzustellen, was die menschlichen Gesellschaften zu relativ stabilen »Kollektiven« macht, müssten wir sie vielleicht als etwas denken, was sie zerstört. Oder vielmehr als etwas, was sie zerstören würde (indem sie ihren inneren Ungleichheiten die Form unversöhnlicher Antagonismen gibt), wenn es nicht andere soziale Praktiken gäbe, die ebenso materiell, aber nicht auf das Verhalten des homo oeconomicus reduzierbar sind: z. B. die Praktiken der sprachlichen Kommunikation und der Sexualität, die Technik oder das Wissen, die dem Imperialismus des Produktionsverhältnisses Grenzen setzen und ihn von innen heraus transformieren.
Dann wäre die Geschichte der Gesellschaftsformationen nicht so sehr die des Übergangs von Nicht-Warengesellschaften zu Gesellschaften des Marktes oder des allgemeinen Austausches (einschließlich des Austausches der menschlichen Arbeitskraft) – die liberale oder soziologische Vorstellung, die der Marxismus bewahrt hat – als vielmehr die der Reaktionen des Komplexes der »nicht-ökonomischen« Gesellschaftsverhältnisse, die ein historisches Gemeinwesen zusammenhalten und es vor der Entstrukturierung schützen, von der es durch die Expansion der Wertform bedroht ist. Es sind diese Reaktionen, die der Sozialgeschichte einen Charakter verleihen, der sich nicht auf die einfache »Logik« der erweiterten Reproduktion des Kapitals oder selbst auf ein »strategisches Spiel« der Akteure reduzieren lässt, so wie sie durch die Arbeitsteilung und das Staatensystem definiert werden. Sie liegen auch den in sich ambivalenten ideologischen und institutionellen Produkten zugrunde, die der wirkliche Stoff sind, aus dem die Politik gemacht ist (z. B. die Ideologie der Menschenrechte, aber auch der Rassismus, der Nationalismus, der Sexismus und ihre revolutionären Antithesen). Sie erklären schließlich auch die ambivalenten Auswirkungen der Klassenkämpfe; und zwar in dem Maße, wie sie in dem Bestreben, die »Negation der Negation« zur Geltung zu bringen, d. h. den Mechanismus zu zerstören, der tendenziell die Bedingungen der sozialen Existenz zerstört, auch utopisch darauf abzielen, eine verlorene Einheit wiederherzustellen und sich dadurch der »Vereinnahmung« durch verschiedene Herrschaftsmächte anbieten.
Anstatt eine Diskussion auf diesem Abstraktionsniveau zu führen, erschien es uns von Anfang an sinnvoller, erneut das theoretische Instrumentarium zu besetzen, das wir bei der – gemeinsamen – Analyse einer sehr wichtigen aktuellen Frage verwendet haben; einer Frage, die so schwierig ist, dass sie eher die Meinungsverschiedenheiten fördert. Dieses Projekt wurde in einem dreijährigen Seminar im Humanwissenschaftlichen Institut in Paris realisiert (1985–1986–1987), das sich nacheinander mit den Themen »Rassismus und Ethnizität«, »Nation und Nationalismus«, »Klassen« befasste. Die hier zusammengestellten Texte geben unsere Beiträge nicht wortwörtlich wieder, sondern fassen ihren wesentlichen Inhalt zusammen, der noch durch einige Punkte ergänzt wird. Einige Texte sind in anderen Veröffentlichungen erschienen, auf die wir verweisen. Wir haben sie so angeordnet, dass deutlich wird, wo die Divergenzen und die Konvergenzen liegen. Die Folge der Texte erhebt weder Anspruch auf absolute Kohärenz noch auf Vollständigkeit, sondern will einen Einstieg in die Frage bieten, einige Wege zu ihrer Erforschung erkunden. Für Schlussfolgerungen ist es noch viel zu früh. Wir hoffen indes, dass der Leser reichlich Stoff zur Reflexion und zur Kritik findet.
In einem ersten Teil mit dem Titel »Der universelle Rassismus« wollten wir eine Problematik skizzieren, die der »Fortschritts«-Ideologie entgegensteht, welche sich dem Liberalismus verdankt und von der marxistischen Geschichtsphilosophie weitgehend aufgegriffen wurde. Wir stellen fest, dass der Rassismus in traditionellen oder neuen Formen (die allerdings miteinander verquickt sind) in der heutigen Welt nicht auf dem Rückzug, sondern auf dem Vormarsch ist. Dieses Phänomen beinhaltet Ungleichmäßigkeiten und kritische Phasen, deren Erscheinungsformen nicht vermengt werden dürfen, aber letztlich kann es nur durch strukturelle Ursachen erklärt werden. In dem Maße, wie die hier anstehende Problematik – ob es sich um wissenschaftliche Theorien, um den institutionalisierten oder den in der Bevölkerung verbreiteten Rassismus handelt – die Kategorisierung der Menschheit in künstlich voneinander isolierte Gattungen ist, muss es eine extrem konfliktreiche Spaltung auf der Ebene der gesellschaftlichen Verhältnisse selbst geben. Es handelt sich mithin nicht um ein bloßes »Vorurteil«. Überdies muss diese Spaltung unabhängig von so entscheidenden historischen Transformationen wie der Entkolonisierung in dem durch den Kapitalismus geschaffenen internationalen Rahmen reproduziert werden. Wir haben es folglich weder mit einem Relikt noch mit einem Archaismus zu tun. Aber steht dies nicht im Gegensatz zur Logik der allgemeinen Wirtschaft und des individualistischen Rechts? Mitnichten. Wir meinen beide, dass der Universalismus der bürgerlichen Ideologie (und damit auch ihr Humanismus) nicht mit dem System von Hierarchien und Ausgrenzungen unvereinbar ist, das vor allem die Form des Rassismus und Sexismus annimmt. So wie auch der Rassismus und der Sexismus ein System