Sarah Dreher

Stoner McTavish - Schatten


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mir, mich werde mein Schicksal in einer Gegend ereilen, die dieser verdächtig ähnlich sieht.«

      »Mach keine Witze.«

      »Doch, ich denke, das sollten wir besser.«

      Sie hatte kaum ausgeredet, als sich die Stadt prahlerisch in Szene setzte. Ein baufälliges Lebensmittel- und Spirituosengeschäft inklusive Drahtgittertür und fliegenverklebten Paralstrips vom letzten Sommer, ein Café, einladenderweise ›Die Seegurke‹ genannt, eine Bar, ein von den MGM-Filmkulissen übriggebliebener Drugstore, eine Tankstelle mit zwei Zapfsäulen, etwa 1947, und ein mit rosa Stuck verziertes Hotel vierter Klasse, das behauptete, die ›Herberge zum Ostwind‹ zu sein. Langsam fuhren sie die Straßen auf und ab, auf der Suche nach einem Zeichen menschlichen Lebens.

      »Vermutest du auch«, sagte Gwen, »dass sie bei Vollmond aus ihren Särgen steigen?«

      Ein Münztelefon unter einer Kunststoffblase stand am Straßenrand, der Hörer baumelte unbenutzt herum, die dünnen Telefonbuchseiten flatterten im Nachmittagswind. Der einzige sichtbare Hinweis auf eine moderne Zivilisation.

      »Was, glaubst du, haben die Einwohner damit gemacht?«, fragte Stoner.

      »Sie hielten es vermutlich für einen Außerirdischen und haben es erschossen.« Gwen bog mit dem Wagen in eine andere graue Straße ein. »Weißt du, was wir machen sollten?«

      »Was?«

      »Davonrennen, so schnell die Füße uns tragen.«

      Der Nebel begann sich ums Auto zu wickeln. Er stieß an die Scheiben und wulstete sich über die Motorhaube.

      Stoner räusperte sich den Hals frei. »Sollen wir Schattenhain suchen oder uns erst im Hotel anmelden?«

      »Nachdem ich das Hotel bereits gesehen habe, bin ich mir gar nicht mehr so sicher, ob ich Schattenhain überhaupt noch kennenlernen möchte.«

      »Wenn wir zu lange warten, sind die Zimmer vielleicht schon alle vergeben.«

      »An wen?«

      Gwen wendete, um zurück ins Stadtzentrum zu fahren. Nachdem sie in irgendeine Straße eingebogen war, rollten sie ein paar Blocks weit an Häusern mit grauen Mauerschindeln vorbei. Die vorgebauten Veranden hatten ziemliche Schlagseite und wirkten, als ob sie sie belauschten. Gwen versuchte es mit einer anderen Straße und noch einer anderen. Nichts.

      »Gut«, sagte sie. »Was machen wir jetzt?«

      »Das Hotel muss hier irgendwo sein. Wir haben es doch schon gesehen.«

      »Haben wir?«

      Verwirrt kaute Stoner auf ihrer Unterlippe herum. Wir können uns nicht schon wieder verirrt haben. Nicht in einer Stadt dieser Größe. Und wir haben Castleton mit Sicherheit nicht wieder verlassen. Da ist ›Die Seegurke‹, da der Drugstore, der Stadtpark …

      Sie bemerkte ein verblasstes, fast umgefallenes Schild, das in einer Schneewehe stak. ›HERBERGE ZUM OSTWIND, erste Straße rechts‹.

      »Stoner«, raunte Gwen, »vor zehn Minuten stand das Schild noch nicht da.«

      »Lass das«, antwortete Stoner. »Es ist auch so schon gruselig genug.«

      »Gruselig trifft es nicht mal ansatzweise.«

      Das Hotel lag etwas zurückversetzt an der Straße, so dass der Platz gerade für eine Reihe vorsichtig diagonal geparkter Fahrzeuge, eine einspurige Zufahrt und eine dünne Reihe aus verwelkten Ringelblumen reichte. Eine Neonschrift, die sich HE BERG UM O TWI D las, lugte an einer Ecke des Hauses hervor. Hinter Panoramafenstern erinnerten verbogene und zerkratzte Metalljalousien an Zäune aus knorrigen dünnen Zweigen. Die Sturmschutztür eines Stockwerkes stand offen. Die Tür dahinter sah aus, als würde sie nur noch durch eine Glasscherbe in Form gehalten.

      Stoner zögerte. »Das macht keinen sehr vielversprechenden Eindruck. Vielleicht sollten wir es irgendwo anders versuchen.«

      »Wo irgendwo anders? Wenn wir Castleton den Rücken kehren, werden wir es nie wiederfinden. Vermutlich taucht es nur alle hundert Jahre aus der See auf, wie Brigadoon. Wenn es zu schrecklich ist, können wir morgen immer noch weiterfahren.«

      »Na gut«, sagte Stoner widerwillig, »ich schätze, uns bleibt nichts anderes übrig. Möchtest du den offiziellen Teil erledigen?«

      Gwen lugte zur Tür des Empfangsbüros und schnitt eine Grimasse. »Nur dieses eine Mal noch bist du der kesse Vater. Um der guten alten Zeiten willen.«

      Das Empfangsbüro war leer, die Tür verschlossen. Ein drei mal fünf Zentimeter großes Pappkärtchen steckte in der Ecke einer Glasscheibe und versprach, dass irgendwer ›bald zurück‹ sein würde.

      »Die entscheidende Frage«, bemerkte Gwen, nachdem Stoner ihr Bericht erstattet hatte, »ist nur, ob dieses ›bald‹ als ›vor dem Abendessen‹ oder als ›Ende Mai‹ zu interpretieren ist.«

      Stoner rieb sich den Nacken. »Ich meine, wir könnten ein bisschen Zeit damit totschlagen, mal zu schauen, wo Schattenhain liegt. Es muss irgendwo da an der Straße beim Ozean sein.«

      »Ich frag mich«, sagte Gwen, als sie den Wagen anließ, »ob jemals eine, die diese Straße genommen hat, zurückgekehrt ist.«

      »Mach das nicht, Gwen, bitte.« Da war ein seltsames Kribbeln unter ihrer Haut. Ein Frösteln breitete sich zwischen ihren Schulterblättern aus.

      »Ich find das ehrlich komisch.«

      »Ich nicht.«

      »Was stimmt denn nicht?«

      »Ich glaube, ich weiß, wie Schattenhain aussehen wird.«

      Gwen klopfte versichernd auf Stoners Hand. »Wir wissen beide, dass es sich vermutlich um das Versatzstück eines antiken Horrordramas handelt. Egal, der ›Ratgeber für durch Terror und Übersinnliches in Not Geratene‹ sagt, die beste Verteidigung ist flockig-lockeres Auftreten.«

      »Flockig-locker«, grummelte Stoner. »Du bist genauso schlimm wie Marylou.«

      »Und du«, sagte Gwen, »hast wieder deine typische Steinbock-Zauderei.«

      »Ist gut, ist gut. Also los, stellen wir uns dem verdammten Ding.«

      Das erste Haus an der Klippenstraße entpuppte sich als unsägliches Machwerk. Hoch, breit, mit Schindeln gedeckt, hockte es als wuchernder, amorpher Klumpen aus lehmartiger Masse am Rand der Klippen. Eine Steinmauer, deren eigentlicher Zweck einst gewesen sein musste, Spaziergänger vor einem Sturz in die Tiefe zu bewahren, war nun ihrerseits zerbröckelt und teilweise ins Meer gestürzt. Durch den Nebel und das Zwielicht der einsetzenden Dämmerung wirkten die Fenster des Hauses leer wie die Augen einer Toten. Ein paar Seemöwen schwebten über dem Dach, erwogen kurz, sich niederzulassen, und beschlossen dann, sich lieber nach gastlicheren Gefilden umzusehen.

      »Lass uns gucken, ob sie Fremdenzimmer vermieten«, schlug Gwen vor.

      »Hier?«

      »Ich liebe es. Jede Wette, dass es hier spukt.« Sie stieg aus, machte ein düsteres Gesicht und zitierte geheimnisvoll:

      »Dann blieb es Nacht und nimmer ward es Tag

      In dieser Öde, welche bleischwer lag

      Auf jedem Herz, dass dessen Saft und Kraft

      Gefror im selbstischen Gebet um Licht!«

      Stoner musste lachen. »Wo hast du denn das her?«

      »Lord Byron.« Gwen drehte sich um und rannte zum Haus.

      »Verrückte!«, rief Stoner ihr hinterher.

      Minuten verstrichen. Der Himmel wurde dunkler, der Nebel dicker. Falls Menschen in diesem Haus leben, müssten sie jetzt eigentlich Licht anmachen. Das alte Familienfaktotum schlurft auf arthritisgeplagten Beinen von Zimmer zu Zimmer, hält Streichholz um Streichholz mit zittrigen Fingern an die Dochte der Kerosinlampen, zieht von der Zeit verschlissene Vorhänge zu, tapert zurück in den Bedienstetentrakt, während seine Knie