Sarah Dreher

Stoner McTavish - Schatten


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ist das Mindeste, was ich für dich tun kann. Ich will einfach nicht glauben, dass ich dir das hier zumuten muss.«

      »Erstens«, sagte Gwen, »hast du den Bourbon eingepackt, bevor du die ›Heberg um Otwid‹ kanntest. Zweitens wärest du sofort wieder abgereist, wenn ich drum gebeten hätte. Und nicht zu vergessen: Du bist schuld, dass ich zur Trinkerin werde.«

      Stoner grinste sie von unten an. »Jawoll, und mir geht’s genauso. Ich glaube, ich hab eine Eiswürfelmaschine unten neben der Bürotür gesehen. Also, troll dich. Aber pass auf dich auf. Vielleicht lauert da draußen die Gefahr.«

      Sie entzündete ein Streichholz und drückte den Knopf. Nichts passierte. Na gut, Knopf drehen und noch mal versuchen. Es gab ein kraftlos zischendes Geräusch und das Streichholz wurde ausgepustet.

      Sie grummelte leise vor sich hin, als Gwen zurückkam und ihr einen Drink in die Hand drückte. Stoner betrachtete missbilligend das Glas. »Sieht reichlich fertig aus.«

      »Das ist erst der Anfang. Warte ab, bis du nähere Bekanntschaft mit der Badewanne gemacht hast.«

      Sie entzündete ihr letztes Streichholz und hielt den Atem an. Nach einer kurzen Sonate aus Knallen, Rattern, Zischen und einem beängstigenden ›Popp‹, ging die Flamme an.

      »Hah«, sagte sie und nahm einen Schluck.

      »Wie hast du das gemacht?«

      »Zen.« Sie nippte an ihrem Drink, betrachtete Gwen und wollte sie. »Ich geh jetzt besser duschen.«

      »Behaupte nicht, ich hätte dich nicht gewarnt«, sagte Gwen.

      ***

      Wer auch immer das Gerücht in die Welt gesetzt hat, kalte Duschen wären das Rezept gegen Geilheit, war entweder ein Narr oder ein Lügner, dachte sie, als sie dem aus einem Puppenhaus stammenden Seifenbröckchen auf dem Boden der Badewanne nachjagte.

      Du solltest lieber eine Möglichkeit finden, dich in den Griff zu kriegen.

      Ich könnte die Ofenklappe schließen, das Abzugsrohr dicht machen und der Glut beim Sterben zugucken.

      Kannst du?

      Jederzeit.

      Na, warum machst du’s dann nicht.

      Weil ich es liebe. Ich liebe diesen kleinen Schauer in meiner Magengrube, jedes Mal, wenn ich Gwen ansehe.

      Du wirst gerne frustriert?

      »Wo steht geschrieben«, fragte sie laut, »dass jedes Prickeln infolge von Erregung gleich konsumiert werden muss.«

      »Stoner«, rief Gwen durch die Tür, »ist da irgendwer bei dir?«

      »Nein.«

      »Mit wem sprichst du?«

      »Mit mir.«

      »Soll ich dir den Rücken schrubben?«

      »Himmel, nein!«

      »Wieso nein?«

      »Ich hab nichts an!«

      Sie hörte Gwen lachen. »Gute Güte, Stoner, manchmal frag ich mich wirklich, ob du noch alle Tassen im Schrank hast.«

      Alles, was mir jetzt noch fehlt, ist, von diesen Händen auf meiner nackten Haut berührt zu werden, und …

      Schnell duschte sie zu Ende.

      Gwen lungerte auf dem Bett herum, vor sich ein aufgeschlagenes Telefonbuch. Sie hatte sich umgezogen und trug jetzt ein pastellblaues Hemd, darüber einen anthrazitfarbenen Pulli.

      »Jedes Mal, wenn du dich umziehst«, sagte Stoner, »siehst du anschließend noch aufsehenerregender aus.«

      »Im Gegensatz zu dir. Du hast dich falsch zugeknöpft.«

      Stoner sah an sich hinunter.

      »Komm her«, Gwen streckte ihr die Hand entgegen.

      Stoner schlurfte zum Bett und setzte sich hin.

      »Du musst aufhören, solche Sachen zu mir zu sagen«, bemerkte Gwen, während sie die Knöpfe in ihre richtigen Positionen brachte. »Du verdrehst mir den Kopf.«

      »Aber es ist die Wahrheit.«

      »Hast du dich in letzter Zeit mal selbst genau angesehen?«

      Stoner zuckte die Achseln und fühlte einen kleinen Stromstoß, als Gwens Hand ihren Busen streifte.

      »So«, sagte Gwen. »Jetzt kannst du dich wieder unter die Menschheit wagen. Lass uns was essen gehen.«

      »Wir müssen vorher in Schattenhain anrufen.«

      »Schon erledigt.«

      »Was haben sie gesagt?«

      »Claire ist nicht da.«

      »Im Urlaub?«

      »Einfach nicht da.«

      »Seltsam«, sagte Stoner. »Nancy haben sie gesagt, Claire sei im Urlaub. Mit wem hast du gesprochen?«

      »Irgend ’n Mann, nicht sehr gut zu verstehen. Und nicht sehr geneigt, ein Schwätzchen zu halten. Ist dir irgendwann mal der Gedanke gekommen«, fragte Gwen, während sie nach ihrem Regenmantel griff, »dass Claire vielleicht versucht, ihrer Schwester aus dem Weg zu gehen?«

      »Den Eindruck hatte ich nicht nach dem Gespräch mit Nancy. Sie sagte, Claire habe bei ihrem letzten Anruf angedeutet, sie sei ›hinter etwas her‹, und habe dann schnell eingehängt.«

      »Sie war doch auch schon vorher hinter etwas her, oder nicht? Drogen?«

      »Nancy sagt, Claire hat mal Leute gekannt, aber selbst nichts genommen.«

      »Wenn ich drogenabhängig wäre«, bemerkte Gwen, »würd ich es nicht ausgerechnet meiner Schwester erzählen.«

      »Du hast keine Schwester.«

      Gwen warf Stoner ihren Parka zu. »Na gut. Ich hab ihr ausrichten lassen, sie soll hier zurückrufen, wenn sie wiederkommt.«

      »Welchen Namen hast du hinterlassen?«

      »Den einzigen, den ich habe. Meinen.«

      »Glaubst du, das war sehr geschickt?«

      »Warum nicht?«

      »Sollte da wirklich etwas Merkwürdiges vor sich gehen, wäre es mir lieber, sie wüssten nicht, wer du bist.«

      »Hör auf mit dieser Räuberpistole, Stoner. Die Sache steigt dir langsam zu Kopf.«

      »Vermutlich.« Sie zog den Parka über und ging zur Tür. »Hast du den Zimmerschlüssel?«

      »Schätzchen«, sagte Gwen, »willst du wirklich barfuß rausgehen?«

      ***

      Der Nebel lag über allem wie eine bösartige Wolke. Gwen zog ihren Mantel fest um sich und fröstelte. »Diese Gegend wird von Minute zu Minute ungemütlicher. Kein Wunder, dass sie niemals ihre Häuser verlassen.«

      »Das liegt bestimmt nur an der üblichen Niedergeschlagenheit, die Fischerdörfer im ausklingenden Winter immer verbreiten«, sagte Stoner im Bemühen um Tapferkeit. »Kommt erst mal der Frühling, machen sie bestimmt trubelige Häuser-frisch-anstreich-Partys und tanzen bis November in den Straßen.«

      »Genau.«

      Die Straßenlaternen formten gelbe Daumenabdrücke gegen die Dunkelheit. Der Stadtkern war völlig ausgestorben. Nur der Drugstore war noch offen, schüttete sein Licht auf den glitzernden Bürgersteig. Ein mattes bläuliches Glühen sickerte aus dem Inneren der ›Seegurke‹ nach draußen. Nebelfetzen hatten sich im kahlen Geäst der Bäume verfangen. Irgendwo draußen auf dem Meer tutete ein Nebelhorn ein Warnsignal.

      Gwen fuhr zusammen. »Genau, was wir brauchen«, sagte sie und drängte sich dichter an Stoner. »Wie der Fliegende Holländer werden wir jetzt für immer durch den Nebel irren – auf der Suche