Sarah Dreher

Stoner McTavish - Schatten


Скачать книгу

      »Ernsthaft. Weißt du, ich war doch schon die ganze Zeit unsterblich in seine Mutter, die den Schulbus fuhr, verliebt.«

      »Zu Hause in Jefferson gab es eine Frau«, sagte Gwen. »Die Kinder flüsterten sich zu, sie sei andersrum. Ganz lange dachte ich, sie meinten damit, dass sie irgendwie sonderbar sei. Aber ich fand sie nicht sonderbar, ich fand sie einfach nur sehr groß. Andersrum heißt doch wohl nicht, groß zu sein, nicht wahr?«

      »Nicht in Massachusetts.«

      »Zu Hause in Georgia reden anständige Leute nicht über solche Dinge.«

      »Zu Hause auf Rhode Island«, sagte Stoner, »sind solche Dinge fester Bestandteil jeder Unterhaltung.«

      Gwen stocherte in ihrem Hummer. »Das Leben mit meiner Großmutter ähnelt dem Leben in Georgia. Nach außen hin freundlich, aber …«

      »Sie passt sehr gut auf dich auf.«

      »Weißt du, ich glaube ernsthaft, sie würde mich eher mit Charles Manson verheiraten wollen, als zuzulassen, dass ich mit einer anderen Frau glücklich werde.«

      »Hatte sie Einwände, als du sagtest, dass du mit mir hierher fährst?«

      Gwen schüttelte den Kopf. »Nein, das wäre zu direkt gewesen.«

      »Ulkig, nicht?«

      »Ich find’s nicht mal im Ansatz komisch.« Sie zerquetschte ein Stück Zitrone. »Am liebsten würde ich das ihr gegenüber ein für alle Mal klarstellen, aber …«

      Stoner lächelte. »Du bist zu höflich.«

      »Zu ängstlich.« Gwen zog mit ihrer Gabel das Muster der Tischdecke nach. »Sie ist meine ganze Familie, seit ich vierzehn wurde. Als meine Eltern umkamen, nahm sie mich kurzerhand bei sich auf. Ohne Wenn und Aber, ohne Zögern.«

      »Ich weiß.«

      »Sie war immer gut zu mir, besser und liebender, als es meine Eltern je waren. Aber im vergangenen Jahr …«

      »Sie hat dir die Heirat mit Bryan verziehen. Vielleicht wird sie dir auch die Freundschaft mit mir verzeihen.«

      Gwen schüttelte den Kopf. »Das reicht nicht. Ich will, dass sie sich ändert. Aber da es das erste Mal ist, dass ich das will, weiß ich nicht, wie ich sie dazu bringen kann.«

      »So wie ich Tante Hermione kenne«, sagte Stoner, »wird sie sicherlich den richtigen Dreh finden.« Sie musterte ihren Krautsalat. »Vermutlich haben sie gerade ein paar Räucherstäbchen angezündet und tratschen jetzt miteinander.«

      »Es würde mich nicht einmal stören, wenn sie sich die Gesichter mit Menstruationsblut schminken und nackt auf einer Lichtung tanzen würden. Selbst das wäre ein Fortschritt.«

      »Du hattest wohl einen reichlich herben Winter, was?«

      »Ich hatte schon bessere.« Sie schaute sich prüfend im Restaurant um und beugte sich nach vorne. »Stoner, ich glaube der Mann beobachtet uns.«

      »Ich hab’s dir ja gesagt. Das interessiert sie alle.« Sie sah verstohlen hinüber. Der graue Mann saß zwar etwas mit dem Rücken zu ihr, schien aber Gwen zu beobachten.

      Gwen schauderte. »Er erinnert mich an Betty Jeans Onkel Ed John, der in Jefferson Gebrauchtwagen verkaufte.«

      »Betty Jean?«, sagte Stoner und unterdrückte ein Kichern. »Ed John? Ich wusste nicht, dass ihr die Waltons wart.«

      »Betty Jean war meine Schulfreundin. Normalerweise hingen wir mit hochgesteckten Frisuren und in Reifröcken und Fußkettchen in ihrem Chevy-Cabriolet vorm Limonadenstand herum.«

      »Mit vierzehn?«

      »Betty Jean war sechzehn. Davon abgesehen, in Jefferson fährst du Auto, sobald du so gerade eben ans Gaspedal reichst. Betty Jean war groß für ihr Alter. Oder jung für ihre Größe.«

      »Was fängt man denn mit hochgesteckter Frisur in einem Chevy-Cabriolet an?«

      »Du verbringst ’ne Menge Zeit damit, dein Haar in Ordnung zu halten. Ich war bestimmt die schnellste Hochsteckerin der neunten Klasse.«

      »Das würd ich gern mal sehen«, grinste Stoner.

      »Tja, daraus wird nichts. Ich hab das alles hinter mir gelassen, als ich zur enthusiastischen Yankeefrau wurde.«

      »Wie nannten sie dich? Oder warst du die einzige Gwen unter all den Sally Joes und Billy Bobs?«

      »Iss dein Essen«, sagte Gwen mit hochroten Ohrläppchen.

      »Los, komm schon. Erzähl’s mir. Ich hab dir auch von Ernie Jones erzählt.«

      »Also … nein.«

      »Los, los.«

      »Gwyneth Ann«, sagte Gwen, »und ich möchte, dass du das nie wieder erwähnst.« Stoner johlte.

      Gwen warf eine Hummerschere nach ihr. »Ich meine, was ich sage, Stoner. Solltest du mich jemals so nennen, ist es aus und vorbei mit unserer Freundschaft.«

      »Ach Quatsch, Gwyneth Ann, das ist der süßeste Name, den ich jemals gehört habe.«

      »Nimm dich in Acht, Lucy B. …«

      Stoner erstarrte. »Wer hat dir das erzählt?« Ihr fiel es ein. »Oh, Scheiße.«

      Gwen lächelte selbstzufrieden. »Ja, ja, ja. Lucy B. McTavish.«

      »Lucy B. Stoner McTavish, und jetzt vergisst du’s besser.«

      »Der Handel gilt«, sagte Gwen. »Willst du nicht aufessen?«

      »Ich bin fertig.« Ihr Teller sah aus, als ob er von Terroristen verwüstet worden wäre. »Du kannst gerne noch in dem Schutt rumstochern, wenn du willst. Du kannst auch die Leiche haben.«

      »Die was

      »Leiche. Die Leber.«

      »Meine Mutter hatte völlig recht. Yankees sind abscheulich.«

      Der graue Mann beobachtete Gwen immer noch.

      »Ich wünschte, er würde das endlich lassen«, sagte Stoner.

      »Vermutlich will er die Leiche.«

      »Er starrt dich ununterbrochen an, schon seit zehn Minuten.«

      »Vielleicht meditiert er, und ich sitz ihm im Weg.« Sie sah ihn an und lächelte. Er schaute wieder in seine Zeitung. »Also gut, er beobachtet uns.«

      »Ich mag das nicht.«

      »Ich genauso wenig.«

      Steve-zu-Diensten materialisierte sich wieder, eine Geschirrschüssel aus Plastik zwischen Arm und Hüfte balancierend. Er warf die Teller rein und verschwand.

      »Gut«, sagte Gwen, »das war unbeschreiblich. Wie sieht’s mit Nachtisch aus?«

      »Zitronenbaisertorte.«

      »Davon kriegst du Alpträume.«

      »Ich hab immer Alpträume. Zitronenbaisertorte gehört sich einfach nach Hummer.«

      »Vielleicht für dich

      Der Knabe war wieder da. Gwen bestellte Kaffee und Torte für Stoner und nur Kaffee für sich.

      »Gwen«, fragte Stoner. »Glaubst du, du heiratest wieder?«

      Gwen verdrehte die Augen. »Hat meine Großmutter mit dir gesprochen?«

      »Das Äußerste, was deine Großmutter zu mir sagt, ist ›Zwei ohne Trumpf‹ oder ›Drei Karo‹.«

      »Tut mir leid«, sagte Gwen. »Manchmal denke ich, es ist nicht fair, dass ich dich bitte, mit ihr Bridge zu spielen.«

      »Ich nehm sie nicht so ernst. Vermutlich hat sie gerade ihre Midlife-Crisis oder so was.«

      »Mit siebzig?«

      »Vielleicht