Sarah Dreher

Stoner McTavish - Schatten


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schöne Erinnerungen. Du nicht?«

      Worte könnten nicht annähernd ausdrücken … »Doch.«

      »Und dann die Landschaft. Was auch passiert ist, die Landschaft kann nichts dafür.«

      »Du brauchst mich nicht zu überzeugen«, sagte Stoner. »Ich kann in fünf Minuten startklar sein.«

      Vor ihnen tauchte die Herberge zum Ostwind auf. Das Neonschild funzelte mühsam vor sich hin. Stoner fühlte Mitleid in sich aufsteigen und das Bedürfnis, dieses Haus aus seiner elenden Umgebung zu befreien.

      »Stoner«, fragte Gwen, »hat Tante Hermione für diese Geschichte hier die Tarotkarten konsultiert?«

      »Ja.«

      »Und was war die Hauptkarte?«

      »Der Turm.«

      »Und was bedeutet der Turm?«

      »Veränderung, Konflikt, Katastrophe. Umsturz oder Vernichtung alles Bestehenden …«

      »Ich hab’s gewusst«, murmelte Gwen. »Ich wusste es einfach.«

      ***

      »Du hast der Dusche Unrecht getan«, erklärte Stoner. »Was auch immer das da drin ist, es tut niemandem was.«

      »Wahrscheinlich haben wir es ertränkt. Ist dir eigentlich klar, dass wir insgesamt fünfundvierzig Minuten in diesem Zimmer verbracht und in dieser Zeit, zusammengenommen, dreimal geduscht haben?«

      Stoner wickelte das Kabel um den Fön, verstaute ihn in der Kommodenschublade und sah in den Spiegel. Hinter ihr saß Gwen auf dem Bett, Kissen im Rücken, und las.

      Gwen fing ihren heimlichen Blick auf. »Was ist denn?«

      »Du gefällst mir mit Brille.«

      »Irgendwer hat doch mal gesagt ›Männerherz bleibt stille bei einer Frau mit Brille‹, nicht? Ich finde, das eröffnet ungeahnte Möglichkeiten, was meinst du?«

      »Oh, und ob.«

      »Vielleicht sollten wir zusammen eine Firma gründen. ›Tausend Tipps, ihn loszuwerden. 24-Stunden-Service für wirkungsvolle Männerabschreckung.‹«

      Stoner lachte. »Du hinkst ungefähr zehn Jahre hinterher. Männer anlocken ist wieder in.«

      »Du, ich hab das Gefühl«, Gwen schlang ihre Arme um die Knie, »irgendwann ist uns der Fehdehandschuh verloren gegangen, und ich hab es nicht mal gemerkt. Es ist höchste Zeit, die Revolution wieder in Gang zu bringen.«

      »Ich bin bereit, gib das Signal.«

      »Erst mal müssen wir die Nacht durchstehen.« Gwen legte Buch und Brille auf den Nachttisch. »Kannst du diesen Ofen nicht ein bisschen auf Touren bringen? Der Raum ist der reinste Eisschrank.«

      Stoner kniete sich hin und versuchte es. »Ich glaube, er tut schon sein Bestes.« Eine wunderbare Idee beschlich sie. »Du könntest mit zu mir unter die Decke kriechen.«

      »Ich würde dich zerquetschen.«

      »Nein, gar nicht.« Sie schlüpfte unter die Decke und presste ihren Rücken gegen die Wand. »Guck, jede Menge Platz.«

      »Bist du sicher?«

      Sie fühlte sich kühn und sorglos. »Ganz sicher.«

      »Nicht, dass ich dich wach halte.«

      »Das wirst du nicht.«

      »Vielleicht doch.«

      »Du hältst mich jetzt wach.«

      »Na ja«, sagte Gwen, »es ist wirklich furchtbar kalt.«

      »Und es wird garantiert noch kälter.«

      Gwen machte Anstalten aufzustehen und überlegte es sich anders. »Lieber nicht.«

      »Gwyneth«, sagte Stoner streng, »es ist nicht sinnvoll, dass wir beide frieren. Mach, dass du hier rüberkommst, bevor ich dich der Homophobie verdächtigen muss.«

      Gwen schnappte sich ihre Decke und ihr Kissen, warf beides auf Stoners Bett und schlüpfte neben sie. »Erpressung«, brummelte sie.

      Stoner stopfte die Decken um sie herum fest. »Besser?«

      »Himmlisch.« Aber ihre Stimme war unsicher, ihr Körper steif.

      »Warum so angespannt?«

      »Kalt.«

      Stoner griff über sie hinweg und knipste die Nachttischlampe aus. »Iowa war Iowa, Gwen. Ich weiß, dass das nicht mehr gilt.«

      »Stoner …«

      Sie küsste Gwens Scheitel. »Schlaf jetzt.«

      Gwen griff nach Stoners Hand und zog ihren Arm wie einen Schal um sich. »Du bist wirklich sehr, sehr lieb, weißt du.«

      »Ich weiß«, sagte Stoner. »Das ist mein einziges Laster.«

      Sie hörte, wie Gwens Atemzüge langsam und gleichmäßig wurden, fühlte, wie sie einschlief. In einiger Entfernung murmelte das Meer. Von irgendwo oberhalb kam das Geräusch tropfenden Wassers, der Nieselregen bekam Verstärkung durch schmelzenden Schnee, nun würde allmählich die Erde zu neuem Frühling erwachen.

      Tante Hermione erklärte gern: ›Die Veränderung ist das größte Wunder allen Lebens. In jedem Augenblick löst sich Vergangenheit auf, Gegenwart vergeht, und die Zukunft nimmt die Fäden auf und beginnt ihr Muster zu weben. Ob zum Guten oder zum Schlechten, das Morgen ist seiner Natur nach neue Möglichkeit.‹

      Im letzten August hielt ich eine Nacht lang ein Kissen in den Armen und stellte mir vor, es sei Gwen. Heute Nacht halte ich sie in den Armen. Kommenden Sommer fahren wir nach Wyoming. Und eines Tages vielleicht nach Anguilla, willkommen geheißen von Wer-auch-immer-uns-gerade-begegnet …

      ***

      Sie träumte, sie wolle jemanden im Krankenhaus besuchen, aber sie verlief sich und wanderte durch die Stationen auf der Suche nach einer Person, die ihr den Weg sagen konnte.

      Sie ging durch eine Reihe von schweren Metalldoppeltüren mit Drahtglasscheiben und fand sich in einem Raum ohne Ausgang wieder. Aus den Ecken hörte sie Gemurmel von verschleierten Gestalten.

      Sie drehte sich um, um denselben Weg zurückzugehen, und sah, dass sich Kindergesichter gegen die Drahtglasscheiben pressten.

      Während sie hinschaute, begannen sie sich zu verändern, ihnen wuchsen krallige Füße …

      … und winklige Schwänze mit Gelenken …

      und sie wurden zu Skorpionen.

      Sie zuckte erschrocken zurück, wagte nicht, die Tür zu berühren.

      Und plötzlich wusste sie, dies war ein Ort der Metamorphosen, auch sie würde sich allmählich verändern …

      … und wenn sie sich verwandelt hatte, würde sie zerquetscht werden …

      … und die ganze Zeit würde sie bei vollem Bewusstsein sein.

      ***

      Der Nebel war verdunstet. Stückchen wässrigblauen Himmels waren zu sehen. Hoch oben segelten Möwen, ihre heiseren Schreie zerrissen die Luft, klangen nach Ekstase und Wut.

      »Du hattest recht«, sagte sie zu Gwen. »Hummer und Zitronenbaisertorte machen Alpträume.«

      Aber Gwen war weg.

      Sie stolperte ins Bad, spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht und versuchte, ihre aufsteigende Angst herunterzuschlucken.

      Sie ist nicht weit, ihre Sachen sind alle noch da. Vielleicht joggt sie morgens gern eine Runde. Vielleicht ist sie das Meer angucken gegangen. Vielleicht …

      Sie spähte aus dem Fenster.

      Das Auto ist da. Sie würde nicht ohne das Auto abreisen. Sie würde mich nicht allein lassen …

      Wenn in