Reinhold Ruthe

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habe. Die öffentliche Entschuldigung sei zum Ritual verkommen; man bitte selbst für Taten um Verzeihung, die man nicht begangen habe. Er schreibt: »Bill Clinton entschuldigt sich für den amerikanischen Sklavenhandel, der Papst für die Kreuzzüge ins Heilige Land und die Inquisition, Johannes Rau in Jerusalem für die Verbrechen des Nationalsozialismus, die PDS für die Zwangsvereinigung von KPD und SPD. Ist denn den Opfern damit gedient? Mit einer unverbindlichen Floskel, die einem so leicht über die Lippen kommt, die zu nichts verpflichtet, am allerwenigsten zur Übernahme der Verantwortung? Ein Symptom der neuen Oberflächlichkeit unserer geschwätzigen Zeit.«

      Da ist die christliche Bitte um Vergebung der Sünden etwas anderes. Es geht dabei um das Eingeständnis persönlicher Schuld. Nur wer wirklich bereut, dem kann die Gnade der Vergebung zuteilwerden.

      Hat Herr Kempowski nicht recht? Im Vaterunser formuliert Jesus unmissverständlich: »Vergib uns unsere Schuld.« Es geht um mein persönliches Versagen. Die »Sorry«-Floskel hat nichts mit wirklicher Vergebung zu tun. Nur wer ehrlich bereut und den himmlischen Vater um Vergebung bittet, der erfährt die Gnade der Vergebung. Denn Gott hat seinen Sohn geopfert, damit unsere Schuld bereinigt wird, wenn wir ihn herzlich um Vergebung bitten.

       Was ist denn schon Besonderes daran,

       wenn ihr nur zu euren Brüdern freundlich seid?

       Das tun auch die, die Gott nicht kennen.

      MATTHÄUS 5, 47

      Es geht um die Vollkommenheit der Menschen, die zu Christus gehören. Diese Forderung macht vielen Christen Kopfzerbrechen. Sie verwechseln Vollkommenheit mit Perfektionismus, Vollkommenheit mit Fehlerlosigkeit. Wer dem Perfektionismus huldigt, macht sich und die Umgebung unglücklich.

      Wer kennt nicht den Spruch: »Nobody is perfect!« Aber wie viele dahergesagten Worte trifft er den Nagel auf Kopf. Es gibt immer wieder Christen, die weisen auf Jesu Wort in der Bergpredigt hin, wie er seinen Jüngern sagt: »Nein, ihr sollt vollkommen sein, weil euer Vater im Himmel vollkommen ist.« Das griechische Wort im Grundtext, das fast immer mit »vollkommen« übersetzt wird, lautet »teleios« (von telos = Ziel, Ende). Es steht also gar nicht die Makel- und Fehlerlosigkeit im Vordergrund. Man sollte eher »reif« oder »vollendet« sagen. Wenn Jesus seinen Anhängern gebietet, sie sollen »vollendet« sein, dann würde das in heutiger Sprache vielleicht so klingen: »Werdet reif, werdet so, wie Gott euch geplant hat.«

      Der Zusammenhang des Wortes über die Vollkommenheit macht deutlich, dass kein Perfektionismus gemeint sein kann, sondern geistliche Reife, ein vollendetes Verhalten, wie Christus es von Menschen erwartet, die sich der Herrschaft Gottes und seinen Maßstäben unterstellen. Die Maßstäbe, die Jesus in der Bergpredigt seinen Nachfolgern zumutet, kommen uns in unserer Moralvorstellung fremd vor. Jesus spitzt den Verhaltenskodex der Christen zu: »Ihr wisst, dass zu den Alten gesagt ist, ich aber sage euch … « Wer Perfektionismus und damit Fehlerlosigkeit anstrebt, redet der Selbsterlösung das Wort. Christus ist aber für Sünder gestorben und nicht für Perfektionisten, die Fehlerlosigkeit auf ihre Fahnen geschrieben haben.

       Nein, ihr sollt vollkommen sein,

       weil euer Vater im Himmel vollkommen ist.

      MATTHÄUS 5, 48

      Wie ist unsere Vollkommenheit zu verstehen? Dazu zwei Gedanken. Der eine stammt von Karin Hübner, die ein Beispiel aus Japan berichtet: »Etwa 100 Kilometer nördlich von Tokio, im Gebirge in einem Zedernwald, stehen die Tempel von Nikko. Künstlerische Schönheit und handwerkliches Können des alten Japan sind dort in Vollendung zu bewundern. Am Haupttor eines Tempels stehen zwölf reich verzierte Säulen. Sie gleichen einander bis in die winzigsten Kleinigkeiten. Bei elf Säulen laufen die Muster von rechts nach links, bei der zwölften von links nach rechts. – Ein grober Fehler mitten in der Präzision? Ein Fehler, der so raffiniert eingebaut ist, dass er uns gar nicht aufgefallen wäre ohne den Hinweis unserer japanischen Führerin. Sie sagte uns auch, dass es ein beabsichtigter Fehler ist, den die Tempelbauer eingefügt haben, um sich vor der Strafe der Götter zu schützen. Sie könnten neidisch werden auf die makellose Arbeit des Menschen. Fehlerlosigkeit, glaubten die alten Japaner, steht nur den Göttern zu und nicht den Menschen. ›Und dennoch streben wir Japaner fanatisch danach, ohne Fehler zu sein‹, erklärte die Japanerin.«

      Der Schintoismus ist eine Religion, in der Schmutz, Krankheit, Unordentlichkeit und Fehlerhaftes keinen Platz haben. Für einen Japaner ist es schlimm, einen Fehler zu machen. Und wir? Wie viele Christen gibt es unter uns, die fehlerlos sein wollen? Die sich Fehler nicht verzeihen können? Nur einer ist gut, vollkommen und fehlerlos – Christus. Fehlerlosigkeit, die wir anstreben, ist Sünde.

      Der zweite Gedanke stammt von einem katholischen Theologen. Er schreibt: »Seid vollkommen wie euer Vater im Himmel. Gemeint ist: ›Seid ungeteilt.‹ Ihr könnt nicht Gott und dem Mammon dienen.«

      Gott und einige Lieblingsgötter, Gott und der Fußball, Gott und das Geld, das ist personifizierte Unvollkommenheit. »Ungeteilt« sollen wir unseren Herrn lieben. Können wir das?

       Da Jesus den sah liegen und vernahm,

       dass er schon lange gelegen hatte, sprach zu ihm:

       Willst du gesund werden?

      JOHANNES 5, 6

      Können Sie sich vorstellen, dass Kranke nicht gesund werden wollen? Alle Menschen wollen heute gesund sein. Wie kommt das, dass Jesus einen Menschen fragt: »Willst du wirklich gesund werden?« Können Sie sich vorstellen, dass jemand in eine Krankheit flieht? Ich habe die Frage von Jesus einmal als völlig überflüssig, ja als provozierend empfunden. Will nicht jeder Mensch gesund werden, wenn er krank ist? Eine Patientin erzählt: »Bereits voll im Dienst habe ich mich oft als ›krank‹ erlebt. Immer wieder kamen Resignation und der Gedanke an Selbstmord. Gerade in einer solchen Zeit sagte mir Gott durch einen Christen: ›Gott will, dass du lebst!‹… Plötzlich wurde mir beim Nachdenken klar, dass ich eigentlich gar nicht gesund werden will. Bisher hatte ich fromm und bemäntelnd gesagt: ›Gott will meine Krankheit, damit seine Herrlichkeit groß werden kann.‹ Heute denke ich anders: ›Gott will meine Heilung, damit seine Herrlichkeit offenbar wird.‹ Aber besonders ist mir bewusst geworden, dass es eigentlich ganz bequem ist, in die Krankheit zu fliehen, wenn es schwierig wird. Dann müssen die anderen eben auf mich Rücksicht nehmen; dann habe ich ein Recht, bemitleidet zu werden, denn ich bin ja krank.«

      Diese Patientin beschreibt ihre Empfindungen. Die Krankheit kommt ihr entgegen. Sie bringt ihr viele Vorteile. Die Kranke wird geschont. Sie trägt keine Verantwortung. Da müssen andere für sie einspringen. Jesus fragt an dieser Stelle nicht rhetorisch. Seine Frage trifft den Kern der Sache: »Willst du wirklich gesund werden, oder bringt dir die Krankheit größere Vorteile?« Willst du vor dem lebendigen Gott und im Leben die Verantwortung übernehmen, oder ist dir die Flucht lieber?

       Du, Herr, bist mein Hirte; darum kenne ich keine Not.

       Du bringst mich auf saftige Weiden, lässt mich

       ruhen am frischen Wasser und gibst mir neue Kraft.

       Auf sicheren Wegen leitest du mich.

      PSALM 23, 1 – 3

      Gesundheit und Krankheit spielen bei uns Menschen eine große Rolle. Die Frage, was uns krank macht, hat die Wissenschaft längst beantwortet: Stress, Umweltfaktoren, psychische Probleme, Erbfaktoren und ein geschwächtes Immunsystem – um die wichtigsten Aspekte zu nennen. Aber, was hält gesund? Der Diplompsychologe Manfred Beutel von der Poliklinik für Psychosomatische Medizin der Universität München hat wesentliche Faktoren zusammengestellt, die die Gesundheit nachweislich aufrechterhalten:

      Zuversicht.