Reinhold Ruthe

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stand noch: »Alles ist neu geworden.« Luther hatte recht: Nicht aus Alt mach Neu, sondern neu geboren, das ist das Prinzip. Eine neue Schöpfung.

      Vor Jahren habe ich mal ein altes Auto sehr schön überlackieren lassen. Es sah wirklich wie neu aus. Aber schon nach einem Jahr kamen die alten Roststellen überall zum Vorschein. Der neue Lack war überflüssig, die Lackierung hat sich nicht gelohnt.

      Jesus will neue Menschen, keine reparierten und teilüberholten Wesen. Aus einer Raupe wird ein Schmetterling, ein wirklich neues Geschöpf. Das ist auch Gottes Ziel mit uns.

       Und dient einander, ein jeder mit der Gabe,

       die er empfangen hat, als die guten Haushalter

       der mancherlei Gnade Gottes.

      1. PETRUS 4, 10

      In einer Zeitschrift der Willow-Creek-Gemeinde in Amerika las ich folgenden Beitrag zum Thema »der kreative Gottesdienst«: »Ab und zu frage ich bei Gemeindeaufbau-Seminaren die Mitarbeiter, welche Gottesdienste oder Predigten der vergangenen zehn Jahre ihnen im Gedächtnis geblieben sind. Schmunzeln. Was würde Ihnen einfallen? Ich erlebe jedes Mal das Gleiche: In neunzig Prozent der Fälle handelt es sich um Erinnerungen, die von irgendeinem kreativen Impuls ausgelöst wurden: Der Prediger stand auf Stelzen, verschenkte fünfzig Euro, brachte sein Kaninchen mit, machte eine Abstimmung mit der Gemeinde, ließ das Licht ausmachen und zündete eine Kerze an, saß auf einem Hometrainer, setzte sich auf den Kanzelrand, baute einen Videoclip ein, forderte uns auf zu gehen, gab jemandem einen Brief mit nach Hause … «

      Das Außergewöhnliche bleibt hängen. Die Überraschung und das Unerwartete setzen sich fest. Pantomimische oder andere kreative Stücke bereichern den Gottesdienst. Es geht aber nicht um ein »Happening«, sondern darum, Gottes Majestät und seine Botschaft so zu verkündigen, dass der ganze Mensch im Tiefsten angerührt wird. Wir alle sind Haushalter der unterschiedlichen Gaben Gottes.

      Ich kann mich an einen Gottesdienst erinnern, wo der Pfarrer einen schweren Ziegelstein auf den Kanzelrand legte, bevor er mit seiner Predigt begann. Jeder schaute auf den roten Ziegelstein. Was sollte das Ding auf der Kanzel? Und dann predigte er über den Text aus 1. Petrus 2,5: »Lasst euch selbst als lebendige Steine in den Tempel einfügen, den der Geist Gottes baut.« Wir sind keine unscheinbaren Steine, wir sind schwergewichtig und bilden den Leib Christi. Ja, wir sind kreative Haushalter der Gnade Gottes.

       Von allen Seiten umgibst du mich.

       Ich bin ganz in deiner Hand.

       Dass du mich so vollständig kennst,

       das übersteigt meinen Verstand.

      PSALM 139, 5 – 6

      Immer wieder macht uns Christen die Selbstannahme zu schaffen. Wir glauben an den lebendigen Gott, und doch haben wir eine katastrophale Meinung von uns selbst.

      Der Theologe und Psychologe Dr. Maurice Wagner hat ein Buch über den Selbstwert geschrieben. Er geht von drei Empfindungen aus, die notwendig sind, um ein gesundes Selbstwertgefühl zu haben: Zugehörigkeitsgefühl, Wertschätzung und Kompetenz. Er ist überzeugt, dass diese drei Empfindungen wie die drei Beine eines Stativs zusammenwirken, um einen stabilen Selbstwert zu garantieren. Ist allerdings eine der drei Empfindungen schwach ausgeprägt, steht das Stativ, sprich der Selbstwert, auf wackligen Beinen.

      Zugehörigkeit heißt sich angenommen fühlen und wissen, dass man gemocht und beachtet wird. Wertschätzung heißt, dass man sich selbst ertragen kann: »Ich mache alles im weitesten Sinne richtig.« Der Mensch hat das Gefühl, die anderen vertrauen ihm, die anderen loben und bestätigen ihn. Kompetenz heißt, dass ich etwas kann, dass ich die Gewissheit habe, erfolgreich dem Leben begegnen zu können. Wer Kompetenz besitzt, empfindet Mut, hat Hoffnung und besitzt Stärke.

      Im Psalm drückt David aus, dass unser Zugehörigkeitsgefühl garantiert ist. »Von allen Seiten umgibst du mich.« Eine wunderbare Zusage, die gleichzeitig Wertschätzung enthält. Wer sich so gehalten, getragen und geliebt weíß, der kann kompetent im Leben stehen. Der hat es nicht nötig, zweifelnd, unsicher, mutlos und furchtsam dem neuen Tag entgegenzusehen.

       Nehmt einander an, wie Christus euch

       angenommen hat, zur Ehre Gottes.

      RÖMER 15, 7

      Die Annahme des anderen kann viele zwischenmenschliche Probleme lösen. Zum Beispiel Streit. Ein Streit macht deutlich: »Ich stimme mit dem anderen nicht überein. Ich akzeptiere ihn nicht.«

      Ich möchte eine Geschichte wiedergeben, die sich die Mönche der orthodoxen Kirche erzählen: »Zwei Brüder lebten lange zusammen in der Wüste, aber sie hatten fortlaufend Streit. Da sagte der eine: ›Wie lange wollen wir so weitermachen?‹ Darauf der andere: ›Tu uns einen Gefallen: Ertrage mich, wenn ich dir auf die Nerven falle! Und wenn du mir auf die Nerven fällst, will ich dich auch ertragen.‹ Sie taten so und lebten den Rest ihres Lebens in Frieden.« Ein Märchen? Vielleicht.

      Frieden entsteht,

      wenn wir zueinander Ja sagen;

      wenn wir den anderen mit Fehlern, Schwächen und Eigenarten ertragen;

      wenn wir den anderen nicht krampfhaft verändern wollen.

      Liebe heißt: Ich sage Ja zu dir. Ich sage Ja zu deinen Eigenarten, zu deinen Angewohnheiten, zu deinen Fehlern und Schwächen. Wir können in dieser Beziehung von Jesus lernen: Er liebt uns bedingungslos. Er liebt uns so, wie wir sind.

      Die einfache, aber kluge Regel der beiden Brüder gilt auch für das Zusammenleben in der Ehe. Streit ist menschlich und endet nicht selten tragisch. Männer und Frauen kämpfen um ihr Recht, um ihre Macht, um das letzte Wort. Sie kämpfen so lange, bis sie sich und ihre Ehe ruiniert haben. Jesus hat in der Tat simple Regeln für unser Zusammenleben formuliert. Warum fällt es uns so schwer, diese Ratschläge zu praktizieren?

       Warum kümmerst du dich um den Splitter im Auge

       deines Bruders und bemerkst nicht den Balken in

       deinem eigenen? Wie kannst du zu deinem Bruder sagen:

       »Komm her, ich will dir den Splitter aus dem Auge ziehen«,

       wenn du selbst einen ganzen Balken im Auge hast?

      MATTHÄUS 7, 3 – 4

      Mit Urteilen und bösen Unterstellungen sind wir schnell bei der Hand. Es gibt eine indianische Weisheit: »Urteile nicht über einen anderen Menschen, bevor du nicht einen halben Mond in seinen Mokassins gegangen bist.«

      Die Mönche der frühen orthodoxen Kirche sagten: »Wenn jemand die Erinnerung an einen Bruder betrachtet, der ihn verletzt, gekränkt oder verhöhnt hat, so muss er sich an den Bruder erinnern wie an einen Arzt, der ihm von Christus gesandt wurde, ja, er muss ihn als Wohltäter betrachten. Denn wenn du dich dabei kränkst, so deswegen, weil deine Seele krank ist. In der Tat, wenn du nicht krank wärst, würdest du nicht leiden. Du musst also dem Bruder danken, denn ihm verdankst du, dass du nun deine Krankheit kennst. Du musst für ihn beten und das, was dir von ihm kommt, als Heilmittel entgegennehmen, das dir vom Herrn geschickt wurde. Wenn du dich dagegen über ihn ärgerst, so ist das, als ob du zu Jesus sagtest: ›Ich will deine Heilmittel nicht, ich ziehe den Eiter vor, der sich in meinen Wunden bildet.‹«

      Was uns kränkt, macht krank. Das ist eine alte Weisheit. Und wir bestimmen darüber, ob eine Aussage des anderen von uns als Kränkung oder als Heilmittel empfunden wird. Die Mönche machen es uns klar: Unsere schnellen Urteile und Verurteilungen hören auf, wenn wir die Aussagen