Reinhold Ruthe

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dahin. Wir alle brauchen Licht und Orientierung, dann fühlen wir uns gehalten und geborgen. Wie sagt Jesus: »Ich bin das Licht der Welt.« In seinem Licht wird das Dunkel hell.

       Gott sei uns gnädig und segne uns,

       er lasse uns sein Antlitz leuchten.

      PSALM 67, 2

      Wenn vom Segen die Rede ist, geht es um alle guten Gaben, mit denen der lebendige Gott seinem Volk das Leben ermöglicht. Christen sprechen Segenswünsche zu allen möglichen Anlässen aus. Wir verschicken Segenswünsche zum Geburtstag, zu Feiertagen, zu neuen Lebensabschnitten, zur Genesung und zum Urlaub.

      Manche so genannten Segenswünsche klingen verrückt. Gerhard Bruns hat so einen Segenswunsch mal genauer unter die Lupe genommen und schreibt: »Hals- und Beinbruch! Sie kennen den Spruch. Wir sagen ihn als guten Wunsch. Dem anderen soll etwas glücken. Es soll ihm bei seinem Vorhaben nichts zustoßen. Aber warum wünschen wir einander eigentlich ›Hals- und Beinbruch‹? Ob Sie ahnen, dass die ursprüngliche Bedeutung dieses Satzes uns in eine ganz andere Richtung weist? Es ist ein alter Segenswunsch. Er stammt aus dem Hebräischen. Ursprünglich heißt er ›hazloche un broche‹ und bedeutet so viel wie Glück und Segen (hazlacha = Glück, b’racha = Segen). Juden sagen einander diesen Wunsch auch heute noch. Wie gut, wenn wir dem andern ›hazloche un broche‹ wünschen. Vielleicht können Sie diesen Wunsch beizeiten erklären, wenn zu Ihnen wieder einmal jemand Hals- und Beinbruch sagt. Wir brauchen es, dass uns andere mit guten Wünschen begleiten, dass sie an uns denken. Wie wichtig ist es, dass uns etwas glückt, dass wir eine glückliche Hand haben und der Segen Gottes über dem steht, was wir tun und lassen!«

      Gott segne uns heißt: Gott möge uns die Kraft verleihen, die wir brauchen. Gott segne uns heißt: Gott möge uns die Lebenskraft geben, um das Leben zu bejahen. Gott segne uns heißt: Gott möge unsere Pläne unterstützen und sein Antlitz über uns leuchten lassen.

       Segnet, die euch fluchen:

       bittet für die, die euch beleidigen.

      LUKAS 6, 28

      »An Gottes Segen ist alles gelegen.« So formuliert es ein Sprichwort. Friso Melzer schrieb, dass das Wort segnen aus dem lateinischen »signare« abgeleitet ist: Signum crucis = das Zeichen des Kreuzes machen. Das Kirchenlatein kennt das Wort »signare«, und es heißt so viel wie sich besegnen, sich bekreuzigen.

      Christus war ein Revolutionär. Er stellt unsere menschlichen Strategien auf den Kopf.

      Ich schlage zurück – er segnet, wir verfluchen – er erfleht Gottes Fülle und Gnade über den Menschen, wir vergelten – er will, dass ihm alles Gute widerfährt, wir wünschen Böses – er stellt ihn unter den Schutz Gottes.

      Diese Liebe können wir uns nur schenken lassen. Unsere Kraft reicht nicht aus, den Beleidiger zu segnen, dem Verletzer alles Gute und Gottes Beistand zu wünschen. Jörg Zink kommentiert den Segen so:

      »Der Herr segne dich! Der Herr, der Mächtige, Ursprung und Vollender aller Dinge, segne dich, gebe dir Gedeihen und Wachstum, Gelingen deiner Hoffnungen, Frucht deiner Mühe und behüte dich vor allem Argen. Sei dir Schutz in Gefahr und Zuflucht in Angst. Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir, wie die Sonne über der Erde Wärme gibt dem Erstarrten und Freude gibt dem Lebendigen, und sei dir gnädig, wenn du verschlossen bist in Schuld, erlöse dich von allem Bösen und mache dich frei. Der Herr erhebe sein Angesicht auf dich, er sehe dein Leid und höre deine Stimme, er heile und tröste dich. Und gebe dir Frieden, das Wohl des Leibes und das Wohl der Seele, Liebe und Glück. Amen. So will es der Herr, der von Ewigkeit zu Ewigkeit bleibt. So steht es fest nach seinem Willen für dich.«

       »Hast du etwa von den verbotenen Früchten gegessen?«

       Der Mann erwiderte: »Die Frau, die du mir gegeben hast,

       reichte mir die Frucht, da habe ich gegessen.«

      1. MOSE 3, 11 – 12

      Seit dem Sündenfall versteht der Mensch meisterhaft, Schuld und Verantwortung abzuschieben.

      Ein Seelsorger hat das Verantwortungsgefühl des Menschen einmal in einem Bild beschrieben: »Das Leben ist wie ein kompliziertes Teppichgewebe, das mit Webstuhl und Weberschiff hergestellt wurde. Vererbung, Umwelt, alle Kindheitserlebnisse mit Eltern, Spielkameraden, alle Hemmnisse des Lebens, das steht alles auf der einen Seite des Webstuhls, und all das schiebt uns das Weberschiffchen zu. Wir sollten uns aber daran erinnern, dass wir das Weberschiffchen durch den Webstuhl zurückreichen. Diese Handlungen und die Antworten, die wir darauf geben, weben das Muster in den Teppich unseres Lebens. Wir sind für unsere Handlungen verantwortlich. Wir werden erst dann Heilung für unsere beschädigte Gefühlswelt erlangen, wenn wir aufhören, andern die Schuld in die Schuhe zu schieben, und wenn wir unsere Verantwortung erkennen.«

      Seit dem Sündenfall schieben wir Schuld und Verantwortung ab. Wir verschaffen uns eine reine Weste. An unseren Problemen und Schwierigkeiten sind nur die anderen schuld. Die Eltern, die Großeltern, die Erzieher, die Lehrer, die Schulen, die Kirche, die Politiker, die Umstände, die Strukturen und selbst Gott. In der Eheberatung läuft das gleiche Spiel ab. Der andere hat mich unglücklich gemacht, der andere vernachlässigt mich, der andere liebt mich nicht mehr richtig, der andere fängt immer Streit an. »Der andere hat mir die Frucht gegeben.« Wir sind nicht schuld, sondern der andere hat mich angeschmiert. Wann lernen wir, vor dem lebendigen Gott unseren Kopf für Probleme, Schwierigkeiten und Sünden hinzuhalten?

       Die Seele des Gottlosen gelüstet nach Bösem und

       erbarmt sich nicht seines Nächsten.

       Sprüche 21,10

      Sehen wir die Verantwortung unserem Nächsten gegenüber? Als ich Generalsekretär im CVJM Hamburg war, hielt ich jede Woche einige Stunden Religionsunterricht an einem Privatgymnasium. In einer Klasse sammelten wir monatlich einen Mindestbeitrag von 25,00 DM für einen indischen Jungen, dem wir ein Leben in dieser Welt ermöglichen wollten. Ich wollte, dass die Kinder mit einem Betrag von ihrem persönlichen Taschengeld bezahlten und nicht aus der Geldbörse ihrer reichen Eltern. Nur wenige opferten ehrlich einen Teil ihres Taschengeldes. Und die waren es, die sich ernsthaft um ein Menschenleben in Indien kümmerten, die Nächstenliebe und Weltverantwortung praktizierten. Sie schrieben Briefe und nahmen Anteil. Sie dachten nicht nur an sich, sondern an einen Menschen, dessen Leben durch Armut und Hunger bedroht war.

      Dietrich Bonhoeffer, der im Konzentrationslager ermordet wurde, schrieb vor seiner Hinrichtung: »Die letzte verantwortliche Frage ist nicht, wie ich mich heroisch aus der Affäre ziehe, sondern wie eine kommende Generation weiterleben soll.« Wer sich aus der Affäre zieht, überlässt den Nächsten seinem Schicksal. Wer verantwortungslos handelt, handelt gottlos. Wer sich seines Nächsten erbarmt, tut es für Christus: »Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan.«

      Christusliebe und Nächstenliebe gehören unzertrennlich zusammen. Christusliebe ohne praktizierte mitmenschliche Liebe ist Heuchelei. Jesus hat nicht umsonst die Gottesliebe und die Nächstenliebe zum Fundament des Glaubens erklärt. Es ist logisch: Auch für die Flucht vor der Verantwortung sind wir verantwortlich.

       Und vergib uns unsere Schuld,

       wie wir vergeben unseren Schuldigern.

      MATTHÄUS 6, 12

      In einer großen Wochenzeitung griff Walter Kempowski die inflationäre Behandlung der Vergebung an. Er kritisierte, dass das Entschuldigen wild um sich greife. Im Geschäft, am Telefon, im Fernsehen