Anne Christina Mess

Wenn ich das geahnt hätte


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       Ein unabgeschickter Brief an …

       Die folgenden Impulse sind als Anregungen gedacht, … einen Brief zu schreiben, der das ausdrückt, was … nicht mehr gesagt werden kann. Die Bausteine können einzeln oder komplett verwendet und auch erweitert werden. Der Brief kann z. B. bei der Beerdigung mit in den Sarg gegeben oder zum Jahrestag aufs Grab gestellt oder auch verbrannt werden usw.

       Liebe, lieber …

       (oder welche Anrede wäre für meinen Adressaten passend?)

       Wer war … für mich?

       Woher kannten wir uns?

       Welche Rollen hat … gespielt (Vater, Mutter, Geschäftsmann, Mannschaftsmitglied)?

       Welche meiner Gedanken und Gefühle zu seinem Tod möchte

       ich ihm in dem Brief mitteilen (Entsetzen, Traurigkeit, Schuldgefühle, Wut, Warum-Fragen usw.)?

       Was wünsche ich …?

       (Sie finden dieses Arbeitsblatt Nr. 1 auch im Internet unter www.acmess.de.)

      Die Frage nach der tatsächlichen Mitschuld und den Anteilen am Suizid (z. B. Übersehen von Vorboten) ist nicht einmalig zu beantworten, sondern kann beispielsweise am Geburtstag des Selbstmörders oder an seinem Todestag wieder auftauchen.

      Üblicherweise stellt sich die Schuld- oder Mitschuldfrage zu keiner Zeit in Reinform, sondern bildet zusammen mit Gefühlen von Traurigkeit, Wut, Selbstzweifeln sowie anderen Gefühlen und Gedanken ein Konglomerat.

      Trauerarbeit braucht Zeit und Kraft, es handelt sich dabei tatsächlich um seelische Schwerarbeit. Ursprünglich wurde dieser Begriff 1915 von Sigmund Freud, dem Begründer der Psychoanalyse, eingeführt. Interessanterweise ist Trauern bis heute mit einem gewissen Tabu behaftet, und doch ist es etwas, das zum Menschsein genauso gehört wie das Eingehen von Beziehungen. Unterschiedliche Disziplinen und Fakultäten haben sich unter verschiedenen Fragestellungen damit befasst, wie Menschen trauern und welche Rituale sie haben (z. B. das Tragen von schwarzer Kleidung als äußeres Zeichen der Trauer). Es gibt in den verschiedenen Kulturen sehr unterschiedliche Formen des Trauerns, die hier nicht ausführlich dargestellt werden können. Jeder Mensch entwickelt aufgrund seiner Lebenserfahrungen, seiner Vorbilder im Bereich des Trauerns und seiner Persönlichkeit einen individuellen Umgang mit der Trauerarbeit.1

      Menschen sind Beziehungswesen, deren Selbstbild und Weltbild stark von zwischenmenschlichen Beziehungen beeinflusst wird. Durch den Tod eines geliebten Menschen werden Selbst- und Weltverständnis stark erschüttert und es geht etwas aus der kleinen privaten Welt verloren.

      Der Ausruf einer Witwe am Grab ihres soeben beerdigten Mannes: »Hermann, warum lässt du mich allein?!«, ist Ausdruck des Entsetzens über den erlittenen Verlust. Bereits in der Anfangsphase des Trauerns gehört neben dem Schmerz über den Verlust des anderen auch Wut bis hin zu Hass auf sein Weggehen, auf den Tod und manchmal auch auf eine göttliche Instanz. Manche Hinterbliebene denken jetzt an Selbstmord, um den nun häufig anstehenden Problemen zu entfliehen.

      Für diese Problem-«Lösung« entscheiden sich nur wenige Hinterbliebene. Manche versuchen, sich den Kummer über den Konsum von Drogen jedweder Art zu erleichtern (z. B. Alkohol, Rauchen, Essen, Einkaufen u. a.), sowie durch ständiges Unterwegs-Sein. Bereits der alte Kirchenvater Augustinus bemerkt, dass der Hinterbliebene in der ersten Phase nach einem Verlust durch den Tod eines Freundes diesen noch sucht. Lindenmann spricht von einer Ruhelosigkeit, die Personen nach einem schweren Verlust empfinden: »Dem Drang, etwas zu tun, auf der Suche nach etwas zu sein, steht ein Mangel an Zielgerichtetheit gegenüber.« Parkes bezeichnet dieses Suchverhalten nicht als ziellos, sondern weist darauf hin, »dass das Suchverhalten das Ziel habe, den eben verlorenen Partner wiederzufinden« (zitiert nach Kast, S. 14, 15, s. Anhang).

      Die Trauer als Emotion des Abschiednehmens, der Aufarbeitung zerbrochener Beziehungen und der Verinnerlichung von Eigenschaften der verlorenen Person hilft uns, unser aus den Fugen geratenes Selbst- und Weltbild neu zu festigen. Üblicherweise lebt die lebendige Erinnerung an die verstorbene Person, wenn wir eine nähere persönliche Beziehung zu ihr hatten, in uns weiter.

      Unmittelbar nach dem Tod eines nahestehenden Menschen sind intensive Träume eine normale seelische Reaktion, das Todeserlebnis zu verarbeiten. Manchmal bekommt der Träumer nachts eine Art Anleitung aus seinem Unbewussten, wie er trauern kann, wodurch die Identität des trauernden Menschen neu geformt wird.

      Es gibt außerdem Träume von einer geliebten toten Person erst viele Jahre nach seinem Tod, was oft darauf hinweist, dass uns diese Person noch beschäftigt, unsere Seele nachts noch weiter an der Verarbeitung des Todes arbeitet. Es besteht häufig noch eine starke Bindung zu dem Verstorbenen oder gar eine Sorge um ihn. Der Träumer sollte den Toten oder die Sorgen um ihn ganz loslassen.

      Wie wir aus der Traumdeutung wissen, können die Traumfiguren auch symbolhaft für einen anderen Menschen oder für Persönlichkeitsanteile des Träumenden selbst stehen. Träume von Verstorbenen müssen also nicht immer eine seelische Auseinandersetzung mit dem Toten bedeuten.2

      Trauer ist ein psychischer Prozess von höchster Wichtigkeit für die Gesundheit des Menschen und kann, wenn sie uns gut gelingt, neue Perspektiven in unser Selbst- und

      Weltbild bringen. Sie kann uns einen bewussten Umgang mit dem Thema Tod, auch unserem eigenen Tod und unserer Endlichkeit ermöglichen.

      Trauern wird leider immer noch – genau wie der Tod, der Selbstmord – in weiten Kreisen unserer Gesellschaft TABUisiert. Vielfach empfinden wir (haben wir) Angst oder Unsicherheit im Umgang mit einer trauernden Person, möchten vielleicht durch die Auseinandersetzung mit ihrem Schmerz nicht an eigene erlittene Verluste erinnert werden. Möglicherweise sind wir selbst nicht aus unserer Trauer herausgekommen oder haben sie wegzuschieben versucht?! Dagegen kann ein gesundes Trauern, also ein Zulassen der verschiedenen Emotionen wie Überwältigung von Sinnlosigkeit, Angst, Wut, Hass, uns positiv verändern. Wir können dadurch reifen und den Blick für das Wesentliche im Leben schärfen.

      Zudem macht uns ein gelungener Trauerprozess auch kompetenter im Umgang mit trauernden Mitmenschen und trägt zur dringend nötigen Enttabuisierung der Bereiche Tod und Trauer bei. Die Bibel sagt: »Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden.«3

      Dies ist eine Aufforderung, uns mit der Kürze unserer Lebensdauer und der Ausgestaltung unseres Lebens zu beschäftigen. Ein trauernder Mensch fühlt sich durch den erlittenen Verlust wie selbst aus der Welt ausgestoßen, als wäre nicht die verstorbene Person aus seiner Welt gegangen, sondern er selbst herausgerissen. Dadurch fühlt er sich einsam und erschüttert in seiner bisherigen Ordnung. Um diesen Verlust zu überwinden, bräuchte er Menschen, die ihm bei der Suche nach seinem Selbst- und Weltverständnis helfen. Sie sollten ihn außerdem dabei unterstützen, die übermäßige Tendenz, sich mit dem Vergangenen zu beschäftigen, zu überwinden. Aber in der ersten Zeit nach dem Verlust ist es gerade notwendig, im Sinne von »die innere Not wendend«, dass wir gemeinsam mit dem Trauernden über die verstorbene Person sprechen. Danach sollte es dann darum gehen, den Toten schrittweise loszulassen, um daran anschließend eine gegenwarts- und zukunftsgerichtete Perspektive entwickeln zu können. Gelingt diese Entwicklung auch über viele Monate oder gar Jahre nicht, droht das Abrutschen in ein pathologisches (ungesundes) Trauern.

      Es geht eben bei der Begleitung Trauernder auch darum, sie vor einer inneren Versteinerung und dem Nichts-mehr-Tun zu bewahren sowie ihnen aufzuzeigen, dass sie mit dieser Belastung umgehen können und es für sie trotz dieser akuten Erschütterung ein »Leben danach« geben wird.

      Das Abschiednehmen von einer geliebten verstorbenen