Monika Geier

Müllers Morde


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nicht weiter. Wir müssen hoffen, dass wir am Computer was erkennen. Vielleicht hat er ja eine TV-Karte da drin.«

      * * *

      Das hier war ein Himmelfahrtskommando. Das hätte er nie machen dürfen. Dieser Schurwolleriese, der hinter ihm herschlich, sah aus, als würde er es genau nehmen, als würde er in einem halben Jahr noch mal auf das zurückkommen, was ihn heute gestört hatte. Solche Leute hatte Müller gefressen, und jetzt, da er improvisieren musste, war so einer im Nacken ganz besonders unangenehm. Vor allem, da dieser blöde Steenbergen keinen Fernseher hatte. Keinen Fernseher hatte, das musste man sich mal vorstellen! Das bedeutete, dass er einen BNC-Adapter für den Schraubanschluss im Verteilerkasten brauchte. Müller hatte so einen, aber vielleicht nicht dabei. Und wenn nicht unten im Keller der übliche Breitbandverteiler geprangt hätte, dann wäre er jetzt gegangen, denn das Risiko, Kabel Deutschland zu spielen, wo kein Kabel Deutschland war, das war unter den Augen dieses grüblerischen Aufpassers einfach zu groß. Doch dieses Haus hing am Kabelnetz, Fernseher hin oder her. Und er war drin. Der Rest würde ihm auch noch gelingen.

      * * *

      Das Laptop. Merkwürdige Formulierung, als wüsste der junge Mann genau, dass Steenbergen eines besessen hatte. Nachdenklich stieg Richard hinter ihm die Treppe hoch zu Steenbergens Büro. Doch natürlich befanden sie sich in einem Yuppie-Haushalt, und Yuppie-Haushalte starrten vor elektronischem Gerät, dieser hier machte keine Ausnahme, trotz der schönen weiten Räume. Der fehlende Fernseher war da wohl mehr eine Koketterie, das gab Steenbergen die nötige Facette privaten Verzichts. Und wie absolut vorteilhaft in seiner Position, zwanglose Unkenntnis zu praktizieren: Nein, ich konnte die Reportage über die galoppierende Erderwärmung gestern nicht sehen. Ich besitze keinen Fernseher. Wissen Sie, was die für eine Energie­bilanz ­haben …? Für den jungen Handwerker wiederum war ein Laptop vermutlich so selbstverständlich wie eine Zahnbürste. Und bestimmt hatte er recht: Steenbergen musste einen Zweitcomputer besessen haben. Allein für die Reisen.

      Während Richard für den Kabelmann den fest installierten Bürocomputer wieder hochfuhr, ging er im Geiste all die Stellen durch, die er bereits durchstöbert hatte. Bis in die hintersten Winkel war er vermutlich doch nicht gekommen. Oder war das Laptop im Betrieb? Hatte ein Angehöriger es mitgenommen? Lag es bei der Polizei?

      »So«, sagte der junge Mann in diese Gedankengänge hinein. »Okay, prima.« Er starrte den Bildschirm an. »Kann gut sein, dass die Störung aus dieser Ecke hier kommt«, sprach er dann im Plauderton, während er in seiner Werkzeugtasche kramte. »Das wäre die Erklärung: Wenn der Bewohner keinen Fernseher hatte, dann hat er es vielleicht gar nicht gemerkt. – Okay.« Er bückte sich, um die Hardware zu untersuchen, und murmelte etwas von Empfängern und TV-Karten.

      Richard betrachtete mit gefurchter Stirn den schmalen Rücken des jungen Mannes.

      »Okay. Okay«, sagte der halblaut zu sich selbst. Dann richtete er sich wieder auf. »Ich muss noch mal in den Keller.« An der Tür wandte er sich um. »Würden Sie eben mitkommen, bitte? Ich brauche vielleicht jemanden, der mir hilft.«

      * * *

      Müller durchsuchte ungeduldig seine Werkzeugtasche und fand tatsächlich den Stecker und ein ziemlich mitgenommen aussehendes Kabel. Erleichtert verband er sein eigenes Laptop mit dem Anschluss im Keller und rief ein Fernsehprogramm auf. Es funktionierte, allerdings wurde das Bild durch die Übersteuerung übel gestört. Müller frohlockte innerlich. »Der Anschluss ist da«, murmelte er wie zu sich selbst, »und er funktioniert, aber sehr schlecht. Wir sind der Sache auf der Spur.« Er klopfte auf den Breitbandverteiler. »Komm, Baby, zeig mal, was du drauf hast.« Dann spielte er ein wenig mit dem Verstärker und ließ das Bild noch schlechter werden. Schließlich schüttelte er bedenklich den Kopf. »Ich will das mit allen Geräten im Netz haben. – Tja, würden Sie mal auf den Bildschirm achtgeben? Ich gehe hoch und teste. Sie schreien, wenn sich was ändert, okay? Also wenn es noch griesiger wird.«

      »Alles klar«, sagte der Riese ohne sichtliches Misstrauen, und Müller eilte hoch an den Computer. Jetzt erst mal Handschuhe anziehen, die Tastatur konnte er nachher niemals ordentlich abwischen. Gut. Los. Hoffentlich war hier das Passwort eingespeichert. Müller rief Steenbergens lokales E-Mail-Programm auf, und das klappte schon mal. Gut. Darauf war aber nichts Interessantes, nur viel, viel Werbung, das hatte Steenbergen offensichtlich kaum noch genutzt, das war zur Spam-Ablage verkommen, ein Relikt aus den Tagen, da es noch keine Flatrates gab und Internetzeit teuer war. Doch jetzt konnte es noch einmal nützlich sein, denn zur Not würde es Müller helfen, das Passwort für den eigentlichen Account zu finden. Steenbergens eigentlicher Account war online. Es hatte davon mindestens zwei Stück gegeben: den geschäftlichen und einen privaten. Der geschäftliche war inzwischen stillgelegt, das hatte Müller selbst beim Technical Support der ENERGIE angeleiert und das Postfach dabei ganz offiziell noch einmal gesichtet. Doch im geschäftlichen Postfach war die Mail nicht gewesen, da hätte er es ja auch viel zu leicht gehabt. Müller rief den Browser auf und fand oben auf der Bedienerleiste ein kleines grünes Symbol. Er klickte es an und landete auf der Freenet -Eingangsseite. Gut. Weiter. Die Mailadresse kannte er, die konnte er zur Not auch manuell eingeben, das Problem war eben das Passwort, das hatte er in vielen Stunden Probierens nicht herausbekommen, und ein Trojaner nützte ihm nichts, weil Steenbergen seine Computer ja nicht mehr einschalten konnte. Lass ihn das Passwort einfach hier gespeichert haben, dachte Müller aufgeregt und klickte sich fiebrig durch die Fenster. Lass die blöde Mail noch ungelesen sein, lass sie nirgendwo aufgerufen sein, lass mich bitte bitte nicht auch noch das Laptop suchen, den Palm, das Smartphone oder sonst einen verdammten Computer irgendwo auf der weiten Steenbergen-Welt, lass ihn – er hatte das Passwort gespeichert, der liebe gute Steenbergen. Müller war drin. Sofort erschien die Meldung: Es wurde 547 Mal vergeblich versucht, auf Ihr Postfach zuzugreifen. Diese Meldung hatte Müller erwartet, trotzdem trieb sie ihm den Schweiß auf die Stirn. Er löschte sie. Dann öffnete er den Posteingang. Scrollte. Suchte. Und fand sie. Tatsächlich, da war sie, Nataschas Nachricht, Müller erkannte sie am Nachnamen, der Teil der Mailadresse war: [email protected]. Im Betreff stand schlicht: Bitte um ein Gespräch, und sie war noch ungelesen. Ungelesen. Müller keuchte vor Erleichterung. Ungelesen bedeutete, dass sie nur im Netz existierte, dass sie nicht schon in irgendeinem Gerät hockte und zufällig von einem Angehörigen oder Nachlassverwalter entdeckt werden konnte. Am dritten Tag nach Steenbergens Tod eingegangen, das war ein Montag gewesen, da hatte man im Betrieb von seinem Ableben noch nichts gewusst, die Bombe war erst später geplatzt. Drei Tage zu spät, Natascha. Diese dumme Kuh! Diese dumme, dumme Kuh! Müller atmete durch. Er zitterte. Er musste runterkommen. Er hob den Kopf.

      »Wie sieht’s aus?«, brüllte er Richtung Tür. Aus dem Keller kam gedämpfte Antwort. Der Mann von der Kanzlei behielt brav das Bild im Auge. Also nur die Ruhe. Ganz entspannt Luft holen. Ausatmen. Er hatte noch Zeit, die Nachricht zu öffnen: Lieber Gunter, stand da, ich möchte Sie dringend um einen privaten Gesprächstermin bitten. Es geht um heikle betriebliche Vorfälle, mit denen ich zu tun habe und die möglicherweise illegal sind. Mit freundlichen Grüßen, Natascha Kassin.

      Möglicherweise illegal, dachte Müller grimmig, während er die Mail löschte und den Papierkorb leerte, damit sie auch wirklich verschwunden blieb. Möglicherweise illegal! Natascha-Herzchen hatte immer dick mit abkassiert! Dann musste sie natürlich an Steenbergens Privatadresse schreiben! Und niemand hatte das Passwort für dieses blöde Postfach rauskriegen können! Diese – ach! Jetzt war zum Glück nichts mehr mit Aussteigen und Verraten, nun zitterte und schlotterte Natascha vor Angst, jetzt war sie mit der Geschichte von dieser Mail zu ihm gerannt, weil sie sich schier in die Hose machte. Weil irgendwer – ja wer wohl? Die AUFTRAGGEBER? – den großen unantastbaren Dr. Dr. ­Steenbergen am Totenmaar mit CO2 gekillt hatte, eindeutiger ging es nicht, haltet alle brav den Mund, hieß das, macht gefälligst weiter wie bisher und seid ganz ruhig, sonst kommt Mama Mafia und holt euch alle ans Totenmaar. Müller betrachtete den Computer, der nun rein und jungfräulich vor ihm stand, und fühlte sich klebrig. Man sollte aber doch noch mal nach dem Passwort suchen, dachte er. Für alle Fälle. Er horchte