Monika Geier

Müllers Morde


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Dach, der sich weiß der Geier wie auswirkt.« Er rieb sich die Stirn und linste den großen Typen vorsichtig unter seiner Hand hervor an, was er da improvisiert hatte, war technisch gesehen Blödsinn, aber der Hüne schien es zu fressen. Die allermeisten Leute kannten sich mit Haustechnik überhaupt nicht aus.

      »Tja«, sagte der Hüne und blickte in Richtung einer Stütze. Dort hing tatsächlich noch ein alter Stromkasten aus der Oberleitungszeit. Kabel wanden sich heraus, liefen die Stütze hinunter und verschwanden im Boden.

      »Tja«, sagte Müller, jetzt mit einem echteren Lächeln. »Aber ich habe schon nachgesehen, die Störung kommt nicht von dort.« Er wandte sich ab. »Ciao.«

      »Wiedersehen«, rief der Hüne. Es klang irgendwie zögernd, als wollte er noch etwas sagen. Und da war es, als ob irgendein Faden an Müller zog und ihn zurückdrehte.

      »Ach so, Moment mal –« Du musst in Steenbergens Haus, rügte er sich. Noch so eine Tour wie heute ist nicht drin. Du kannst nicht den Hausschlüssel von der Zangerle mitnehmen, viel zu auffällig, und der würde auch nichts nützen, denn du darfst dich von diesem Tag an nie mehr hier blicken lassen. Jetzt musst du rüber, jetzt sofort in dieses blöde Haus an diesen blöden Steenbergen-Computer, unverzüglich, auf der Stelle, now. Er räusperte sich wieder und schaute zu dem großen Mann, der hatte sich nicht gerührt und blickte ihn nachdenklich an. »Sind Sie zufällig aus 17c?«, fragte Müller ihn.

      »Dies ist 17c, ja.«

      Müller machte einen Schritt auf ihn zu. »Gott sei Dank«, sagte er froh, »ich versuche schon seit Tagen, Sie zu erreichen. Sie sind der Einzige, bei dem wir noch nicht nachschauen konnten, Herr –« Er zückte sein Klemmbrett.

      Der Hüne schüttelte den Kopf. »Sie meinen Herrn Steenbergen. Der ist tot.«

      »Oh«, sagte Müller. »Mein Beileid. – Aber könnte ich vielleicht trotzdem kurz ins Haus, nur mal eben nach dem Kabelanschluss schauen, das dauert maximal eine Viertelstunde, und die Nachbarn werden es Ihnen danken.«

      »Tut mir leid«, sagte der Hüne darauf. »Ich kann Sie nicht hineinlassen. Ich bin kein Angehöriger von Herrn Steenbergen, ich bin selbst nur da, um etwas zu überprüfen.«

      Eine Pause entstand. Müller blickte den Öko-Typen interessiert an, und der schien etwas von seiner Sicherheit zu verlieren. Etwas überprüfen? Was sollte das denn sein?

      »Es geht ganz schnell«, sagte Müller schließlich, nachdem der Große sich nicht weiter erklärt hatte. »Ich schaue mir den Hausanschluss an, mache den Fernseher an, fahre den Computer hoch und telefoniere einmal. Das ist alles, und vielleicht können dann die Nachbarn heute Abend wieder störungsfrei fernsehen.«

      Der Typ hob die Achseln. »Leider geht das nicht. Ich kann Ihnen nur die Adresse des Nachlassverwalters von Herrn Steenbergen geben, mit dem können Sie einen Termin ausmachen.«

      »Der Nachlassverwalter«, sagte Müller enttäuscht, »wird der sich denn Zeit nehmen hierherzukommen?«

      Sie sahen sich zweifelnd an, und der Hüne hob abermals die Achseln, diesmal bedauernd. »Mehr kann ich Ihnen nicht anbieten«, sagte er, doch es klang nicht mehr ganz so bestimmt.

      * * *

      Richard ließ ihn dann doch ein, den Sowieso von Kabel Deutschland, es war ja eigentlich albern, sich zu zieren, was machte das schon, wenn die Leitungen eben mal kurz überprüft wurden und die Nachbarschaft nicht monatelang auf störungsfreien Empfang warten musste. Der Mann war auch gar nicht unangenehm, ein junger, treuherziger Typ, der artig Peters Karte entgegennahm (davon steckte mindestens ein Dutzend im Dossier) und Richard respektvoll anschaute. Dann las er die Karte und seine Augen weiteten sich, kein Wunder, bei all den Titeln und Spezialgebieten, die der Anwalt aufführte, noch dazu auf allerfeinstem Bütten.

      »Glauben Sie wirklich, dass der hierherkommt, um mir mal eben die Telefondose zu zeigen?« Der junge Mann schaute bittend und ein bisschen verschwörerisch, strich sich seine dunklen Haare zurück, packte seine Werkzeugtasche fester und warf ­einen kurzen Blick durch die Tür in das dunkle Rosenzimmer.

      Peter Welsch-Ruinart wird jemanden schicken, dachte ­Richard. Und dann dachte er: Ach, was soll’s, wir Proletarier müssen zusammenhalten. »Kommen Sie rein.«

      * * *

      Drin! Ha! Wer immer der Riese war, er hatte ihn reingelassen.

      »Ich nehme an, der Hausanschluss ist im Keller«, sagte Müller und pfiff durch die Zähne, als er die Rosentapete in dem kleinen Zimmerchen zu Gesicht bekam. Ob Steenbergen die ausgesucht hatte? Und was dieser große Typ hier wohl machte? Etwas überprüfen? Was? Vermutlich war er von der Kanzlei dieses Testamentsvollstrecker-Anwalts, denn von dessen Karten hatte er einen ganzen Stapel. »Auf dem Speicher ist er nämlich definitiv nicht.« Müller lächelte, passierte Wohnräume, die völlig anders aussahen als die der alten Frau Zangerle, und ließ sich die Kellertreppe zeigen. Der Riese tappte ihm hinterher. Der Mann war auch nervös, das spürte Müller. Der gehörte nicht hierher, der war vielleicht sogar selbst illegal im Haus, der hatte keine Lichter angehabt und sein Auto irgendwo anders geparkt, vor der Tür jedenfalls nicht, da hatte weit und breit nichts anderes als Müllers weißes Handwerkerauto gestanden.

      »Verrücktes Wetter, was?«, sagte er, weil der andere hinter ihm so unheimlich schweigsam war.

      »Für die Jahreszeit«, stimmte der Riese zu.

      Dann waren sie im Keller, in der Waschküche, am Hausanschluss. Befriedigt sah Müller den grauen Aufputzkasten mit dem Breitbandverteiler. Er stellte seine Werkzeugtasche ab, holte einen Schlüsselbund mit mehreren handelsüblichen Verteilerschlüsseln heraus und nahm sich das Schloss vor. »Wären Sie so lieb, jetzt mal den Fernseher einzuschalten?«, fragte er beiläufig. Es sah zwar ganz danach aus, als ob der Riese nichts von Telefonanschlüssen verstand, aber es war besser, wenn er nicht die ganze Zeit zusah. »Und den Computer auch?« Müller guckte kurz und auffordernd über die Schulter, und der Riese ging. Er hatte zwar nicht sehr begeistert ausgesehen, aber er ging.

      Der dritte Schlüssel passte. Müller öffnete die Tür und drehte mit einem Stromprüfer den Hausanschlussverstärker voll auf. Nun müsste der Fernseher eine saftige Störung zeigen. »Ist der Fernseher an?«, schrie er nach oben.

      »Nein«, kam es zurück. »Hier ist kein Fernseher.«

      Ach du ahnst es nicht, dachte Müller. Alles musste man selber machen. »Vielleicht ist er im Schlafzimmer«, schrie er. »Manche stellen sie auch in den Schrank!«

      »Was?«, kam es von oben.

      Müller legte die Werkzeuge hin. »Ich komme mal hoch«, rief er.

      * * *

      Richard stand in Steenbergens Wohnzimmer neben der Profi-Musikanlage und den Altherrenrock-CDs und dachte, dass es nicht wahr sein konnte, dass er hier in jedes Loch geguckt, aber nicht gemerkt hatte, dass nirgends ein Fernseher war. Dieser Steenbergen hatte allen Ernstes auf seiner Riesenledercouch gesessen, Dan Brown gelesen, Phil Collins gehört und sonst nichts. »Herr Steenbergen hatte keinen Fernseher«, sagte er zu dem Kabel-Deutschland-Fritzen, der soeben aus dem Keller kam.

      Der junge Mann blickte ungläubig und sah sich suchend um. Dann schaute er auf sein Klemmbrett. »Aber er steht hier als Kunde. Gunter Steenbergen, Bernhardis-Straße 17c.«

      »Es ist keiner da, auch oben nicht«, versicherte Richard und folgte dem Blick des Kabelmannes, der nachdenklich auf einem breiten Regal an der Wohnzimmerwand ruhte, wo ohne weiteres ein Flachbildschirm Platz gefunden hätte.

      »Dann war er wohl geschieden.«

      »Bitte?«

      »Ja. Ein Scheidungsopfer. Seine Ex hat den Fernseher mitgenommen, und er hat anschließend nur noch den Computer benutzt.«

      Nun guckte Richard ungläubig.