habe mich früher viel mit Computern beschäftigt, ja.
Warum? Waren Sie einsam? Haben Sie Ihre Jugend vor dem Bildschirm abgesessen?
Ach Quatsch. So läuft das nicht. Einsame Jugendliche werden keine Hacker. Einsame Jugendliche werden Blogger.
Ach so? Und wie wird man ein Hacker?
Sie wollen wissen, wie man ein Hacker wird? Von mir?
Ja.
Ich würde mich nicht so bezeichnen. Ich hab mich nie als Hacker gefühlt, jedenfalls nicht wie einer von diesen Chaos-Computer-Club-Göttern. Ich brauche den Titel auch nicht. Ich meine, wie wird man ein Hacker, da kommt nicht eines Tages einer mit einer Ernennungsurkunde und sagt: Herzlichen Glückwunsch, jetzt dürfen Sie Behördendaten anzapfen.
Haben Sie denn Behördendaten angezapft?
Ach, wissen Sie, das ist schon so lange her –
Wenn’s verjährt ist, können Sie es uns ja sagen.
Nein, ich sag Ihnen was anderes: Hacker zu sein bedeutet nicht, die Zeit bis zum Abi vor dem Computer totzuschlagen, weil man keinen Sex abkriegt. Klar, man braucht ziemlich viel technisches Wissen, das muss man sich irgendwie aneignen, aber das läuft nebenher. Nein, der Witz am Hackersein ist, irgendwohin zu kommen, wo sonst niemand hinkommt. Schranken überwinden. Adressen ermitteln. Passwörter knacken. Im Prinzip bedeutet Hackersein nichts als: Passwörter knacken. Das geht nicht immer mit technischen Hilfsmitteln. Passwörter sind persönlich. Um die rauszukriegen, und um überhaupt zur Passworteingabe vorzudringen, brauchen Sie Wissen über die Leute, die am anderen Ende der Leitung sitzen. Sie brauchen deren Namen, Arbeitsplätze, Telefonnummern, Familienmitglieder und so weiter. Sie müssen dort anrufen als Meinungsforscher und dort vorbeigehen als Klempner. Sie müssen raus in die Büros und Amtsstuben und sich unauffällig die Schreibtische ansehen. Das ist nichts für Typen, die sich nicht aus dem Haus trauen. Und es ist auf jeden Fall viel mehr Detektivarbeit und viel weniger Technik, als man sich so vorstellt.
Eins
17.04 Uhr, schon über eine halbe Stunde nach Feierabend
Wann kam Steenbergen? Ab und zu waren Schritte zu hören, doch stets entfernten sie sich wieder. Spatzen flogen durch das Parkhaus. Das Warten war zermürbend. Kleine Unwägbarkeiten des Plans wuchsen zu riesigen Problemen heran. Der heikelste Punkt war: Steenbergen würde Gelegenheit haben zu betteln. Den Mund zukleben würde nicht helfen, denn Steenbergen musste fahren. Er musste die Hände frei haben. Folglich würde er den Knebel entfernen, sobald er begriff, was auf dem Spiel stand. Dann würde er managermäßig penetrant ein Gespräch suchen, und er würde um sein Leben reden. Er würde logisch sein, gemein, anrührend. Er würde seine Tochter ins Spiel bringen. Da wäre es besser, wenn man ihm von vorneherein das Maul stopfte. Doch mit einem Klebstreifen über dem Mund würde Steenbergen eher begreifen. Und wenn er begriff, würde er kämpfen. Er würde vielleicht auch Sachen mit dem Auto machen. Einen Unfall bauen. Das musste man verhindern.
17.28 Uhr
Die Spatzen starben jetzt auch aus. Wobei hier im Zooparkhaus eine letzte große Kolonie überlebt hatte. Sie tschilpten und flatterten durch die schäbigen Schlingpflanzen, die das hässliche Betonskelett umwucherten, und waren nicht wenige. Vielleicht stimmte das ja gar nicht mit dem Spatzensterben. Wer wusste schon, wer hatte wirklich verfolgt, wie viele Spatzen vorher da gewesen waren? Und vor was? Vor der Gründung von Greenpeace?
17.35 Uhr
In dem Sonnenfleck vor der Betonstütze hüpften drei muntere, gesunde Spatzen, ganz zutraulich, ganz nah. Steenbergen hingegen kam nicht. Vermutlich stapfte er händeschüttelnd durch den Betrieb, um sich bei allen verbliebenen Mitarbeitern zu verabschieden, Gutmenschen wie er taten das. Hallo, ich bin dein persönlicher Umweltschutzmanager, jetzt sei mal eben stolz darauf, dass wir heute für die ENERGIE Überstunden machen, denn hier bei uns gibt es immerhin die Gelegenheit, das Richtige zu tun.
Tja.
Für die ENERGIE arbeiten, das war nicht der Punkt. Sich Umweltschützer schimpfen war schon verlogener, denn welcher Mensch konnte bestreiten, dass die Erde ohne ihn ganz einfach besser dran wäre? Aber für die ENERGIE als Umweltschutzmanager arbeiten, das grenzte an –
Schritte.
Ledersohlen.
Steenbergen.
Etwa eine Minute später
Steenbergen war nicht allein. Er verabschiedete sich wortreich von einer Kollegin, Verena Frenzky aus dem Technical Support, küsste sie auf beide Wangen und schaute ihr nach, als sie ging. Glücklicherweise musste die blöde Frenzky auf ein anderes Deck. Sie lief auf ihren hohen Sommerschuhen durch die Lichtflecken zum Treppenhaus und drehte sich an der Tür noch mal um, zum Winken, du ahnst es nicht. Da hatte sie sich aber einen Veteranen ausgesucht, der olle Steenbergen, der war doch sexuell längst nicht mehr aktiv. Und würde es auch nicht mehr werden. Zu spät, um ihn aufzutauen. Die Ex würde nicht um das Haus und das Auto und die Lebensversicherung streiten müssen. Man würde traurig sein, aber nicht verbittert. Global gesehen war es besser so.
Wieder ein, zwei Minuten später
Als die Tür zum Fond geöffnet wurde, blickte Steenbergen sich vom Vordersitz aus überrascht um. Man befand sich in einem silbergrauen Phaeton mit zusätzlichem Elektroantrieb und Hybridtechnologie. Stand jedenfalls hinten drauf, genauso wie das Firmenlogo ENERGIE.
»Schade, gell, dass ich nicht Frau Frenzky bin?«
Steenbergen hatte sich schon angeschnallt und saß nun unbequem nach hinten verdreht. »Ich kenne Sie«, sagte er unwillkürlich, und viel schärfer: »Hey – Sie haben hier nichts verloren! Verlassen Sie meinen Wagen!« Verärgert schnallte er sich ab und machte Anstalten, erst mal selbst auszusteigen.
»Schön sitzen bleiben.«
»Sie –« Steenbergen blickte wieder nach hinten und erstarrte. Dann sagte er fast ungläubig: »Was wollen Sie mit der Pistole?«
»Es ist ein Revolver.« Eigentlich war es nur ein Feuerzeug, das einem Revolver täuschend ähnlich sah, einen spannbaren Hahn besaß und auch schwer in der Hand lag, ein fieses kleines Spielzeug. Eine echte Waffe hatte nicht zur Verfügung gestanden. Und wäre auch zu gefährlich gewesen.
»Sie arbeiten für uns.« Steenbergen hatte sich rasch gefasst und klang nun sehr streng. »Hier im Haus an der Flora. Ich kenne Sie. Sie sind ein Datenschützer, IT-Abteilung, nein … Sie gehören zu Human Resources. Sie heißen –«
Es fiel ihm nicht ein. Das war eine Überraschung. Denn das bedeutete, dass er noch nichts wusste. Wenn er schon etwas gewusst hätte, dann hätte er den Namen sofort parat gehabt. Aber jetzt war es zu spät, jetzt war die Waffe ausgepackt, und ob Steenbergen es heute schon wusste oder erst morgen erfahren hätte, war im Prinzip auch egal. Es war sogar besser. Denn nun ahnte Steenbergen nicht, weshalb er entführt wurde.
»Müller.«
»Nein, so heißen Sie nicht.«
»So dürfen Sie mich nennen, und jetzt möchte ich Ihr Handy haben.«
Steenbergen zögerte. Dr. sc. soc. Dr. rer. nat. Steenbergen, eigentlich. Er war ein Vorstandsmanager. Sich einem kleinen namenlosen Müller aus der Personalabteilung unterzuordnen, fiel ihm sichtlich schwer. Müller musste ihm dabei helfen. Er schloss die Tür des Fonds, beugte sich vor und presste Steenbergen die Mündung der Waffe ans Jackett. »Mit diesem Revolver hab ich eben meine Frau erschossen«, flüsterte er heiser in Steenbergens rechtes Ohr. »Ich hab nichts mehr zu verlieren, verstanden?«
Steenbergen nickte stumm.
»Handy.«
Steenbergen