Petra Wagner

Der mondhelle Pfad


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anderen Wesen: aller Tiere, aller Pflanzen, allen Seins auf Erden. Deshalb: Vergib uns. Wir haben gegen unsere Brüder und Schwestern gekämpft. Wir haben sie verletzt und getötet und sie taten uns das Gleiche an. Ich weiß, wir alle, ob Götter oder deren Kinder, sind der Allmacht unterworfen, und natürlich bin ich froh, dass wir den Sieg errungen haben und unser göttliches Erbe verteidigen konnten. Doch ich bin kein Krieger und kein Druide und kein König, ich bin Bauer. Deshalb, ehrwürdige Mutter, erhöre meine Bitte: Lass mein Blut nie wieder gegen deine Kinder kämpfen und wenn es doch sein muss, hilf. Hilf den Gerechten.“

      Loranthus zog nachdenklich die Stirn kraus. Nicht weil Arminius diese sanftmütige Einstellung demonstrierte – als objektiver Grieche hatte er schon längst begriffen, dass nicht alle Keltoi rauflustig waren; das traf nur für die Krieger zu und auch da nicht bei jedem. Nein, er wunderte sich, weil er diese Bitte an Mutter Erde noch nie gehört hatte. Was meinte er denn mit ‚hilf den Gerechten‘? Sollten sie möglichst schnell den Sieg erringen, damit Menschenleben verschont wurden? Und wenn doch einer von den Gerechten starb? Sollte Mutter Erde den gut in sich aufnehmen, damit er ein friedvolles Dasein in der Anderswelt führen durfte? Wie war das dann bei den ‚Ungerechten‘, die besiegt werden sollten? Wenn die nur gezwungenermaßen kämpften und ihre bösen Taten bereuten – gehörten sie dadurch zu den Gerechten? Wer richtete darüber?

      ‚Gerechte‘, ‚Gerichtete‘ … so oder so, oder alles zusammen – sonst sprach Arminius immer eine andere Bitte vor dem Abendbrot. Aber eigentlich war das hier ja auch kein Abendbrot. Dafür war es viel zu früh. Dieses Großopfer war also etwas ganz Außergewöhnliches. Das gab es scheinbar nur deshalb, weil die Kämpfer siegreich aus der Schlacht heimgekehrt waren, genau wie es Madite prophezeit hatte.

      Loranthus sah zu Madite, die mit König Gort, Amaturix, Afal, seinem Weib Fea und Gardan am Feuer saß, da schossen plötzlich grüne Flammen aus dem Opferwall empor. Afal hob sein Horn und stieß drei Mal hinein, dass es laut über die gesamte Wiese schallte. Alle erhoben sich, streckten ihre Hände zum Himmel, jubelten, klatschten und hüpften hoch, so sehr freuten sie sich. Medan nickte ihm bedeutsam zu: Die Götter hatten ihr Opfer wohlwollend angenommen. Jetzt fehlte nur noch die ausgelassene Feier, dann würde Madite mit einem Teil ihrer Weissagung zu Beltaine schon mal recht gehabt haben.

      Als wären seine Gedanken erhört wurden, erklang von Ferne Musik. Loranthus drehte sich um, und sein Herz machte einen Freudensprung. Sein Körper hüpfte hinterher, auf seiner Haut knisterte es, in seinen Adern loderte es auf und von seinem Kopf bis zum Fuß begann sein ganz persönliches Freudenfeuer zu prasseln.

      Elektra erschien im Burgtor.

      Neben ihr gingen Königin Elsbeth und davor der Barde, der sich ihrem Tross angeschlossen hatte. Kablitu hieß er und war ein guter Freund von Lew, dem Barden des Hirschclans. Lew war ja auch gerade auf Wanderschaft durch das Großkönigreich und hatte sich König Ebu vom Hermannsberg im Thuringer Wald angeschlossen, wo er schon vor der Schlacht zu Gast gewesen war.

      Auch Kablitu beherrschte sein Spiel auf der Leier perfekt; Elektra und Königin Elsbeth tänzelten zu seiner Melodie über die Wiese Richtung Opferwall. Es sah so aus, als wären ihre Bewegungen vorgegeben, denn sie machten immer genau drei Schritte nach rechts vorne, drehten sich um sich selbst und machten darauf drei Schritte nach links vorne. Es war kein einziger Sprung dabei und als sie näher heran gekommen waren, wusste Loranthus auch, warum. Sie hielten große Weidenkörbe. Aus denen warfen sie bunte Blütenblätter heraus und verstreuten sie im Kreis um den Opferwall und um alle Leute an den Feuern. Anmutig setzten sie sich zu König Gort und Amaturix, die ihnen Spieße reichten; Afal blies in sein Horn und schwenkte den seinen auffordernd durch die Luft.

      Jetzt konnten alle mit dem Essen beginnen.

      Nach der ersten Scheibe holten sie sich neue. Die Sklaven teilten Met für die Erwachsenen, Tee und noch etwas anderes für die Kinder aus. Auch für die Erwachsenen hatten sie ein zweites Getränk in den Fässern und Loranthus ließ sich nicht lange bitten, es einmal zu probieren.

      „Mmmh, das ist einfach köstlich! Euer Birkensaft zu Beltaine war schon wunderbar, aber das hier …“ Loranthus schmatzte genüsslich. „ … mmmh. Was ist das, Arminius?“

      „Elder.“

      „Was für’n Zeug?“

      „Du kannst auch Holunder sagen. Wenn der Hollerbusch blüht, machen wir davon einen Sud und geben reinen Alkohol dazu. Schmeckt gut, nicht wahr?“

      „Oh ja, daran könnte ich mich gewöhnen. Richtig lieblich und süffig.“

      „Süffig, garantiert! Wenn es dir in den Kopf steigen sollte, es gibt auch Eldersud für die Kinder. Der wird aus Blüten, Wasser, Honig und Essig gemacht, schmeckt herrlich erfrischend und dreht den Kopf nicht schneller als man tanzen kann.“

      „Tanzen, Elder ohne Alkohol, muss ich probieren“, murmelte Loranthus, schnupperte fasziniert an seinem Horn und sah zu Elektra hinüber. Sofort verschleierte sich sein Blick, als hätte er schon ein halbes Fass Elder intus.

      Arminius griente Flora an, die nickte Großmutter Mara zu, Viviane und Lavinia kicherten und flatterten mit den Händen, als wollten sie fliegen lernen … Loranthus nahm nichts davon wahr.

      Er schlürfte langsam aus seinem Horn und merkte nicht einmal, wie Bewegung in die Leute kam. Sie gingen umher, setzten sich an andere Feuer, redeten, lachten, tranken sich zu … der Barde spielte auf seiner Leier, andere Musikanten zückten ihre Instrumente, Lavinia füllte sein Horn mit Elder ohne Alkohol auf, Kinder fassten sie an den Händen und hüpften jauchzend zwischen den Feuern hindurch … „Ich freue mich, Loranthus, dich wohlbehalten wiederzusehen.“

      Loranthus rieselte es heiß den Rücken runter.

      Hastig drehte er sich zu Elektra um, die ihm die Hand auf die Schulter gelegt hatte und sich ganz ungezwungen neben ihn setzte. Wie war sie unbemerkt hinter ihn gekommen? Er hatte sie doch die ganze Zeit angestarrt!

      „Elektra!“, krächzte er. „Wie bist du …?“ Er fuhr sich verlegen durch die Haare. „Die Freude ist ganz auf meiner Seite. Deine Eltern haben mir schöne Grüße für dich aufgetragen. Sie waren sehr freundlich zu mir. Besonders deine Mutter und deine Großmutter Dana. Schau mal, das habe ich für dich geschnitzt, als ich bei ihn … äh … Großmutter Dana war.“

      Bloß gut, dass er diese Begrüßung schon geübt hatte. So kam es fast fehlerlos über seine Lippen, nur ein bisschen zu eilig. Betont ruhig nahm er ihre Hand und legte ein kleines geflügeltes Pferd hinein. Mutig gab er sich einen Ruck, umarmte sie und hauchte ihr dabei rechts und links einen Kuss auf die Wange.

      Elektra tippte auf das Holzpferdchen und zog ein vorwurfsvolles Schnutchen.

      „Aber, Loranthus! Das kann ich doch nicht annehmen!“

      Loranthus legte sich ins Zeug.

      „Es ist nur eine Kleinigkeit! Klein, im wahrsten Sinne des Wortes!“ Er winkte ab. „Einer Königstochter nicht würdig, ich weiß. Aber Königin Birgie, also deine leibliche Mutter, meinte, du liebst phantastische Wesen und würdest dich darüber sehr freuen.“

      Eigentlich hatte Königin Birgie ihm das Lindenholz zum Schnitzen gegeben, damit er aufhörte, vor Aufregung an seinen Fingernägeln zu kauen. Die untätige Wartezeit bis zur Schlacht hatte ihn dermaßen hibbelig gemacht, dass sie ihn vor die Wahl stellte: entweder Baldrian oder Schnitzen. Wenn er kein Fernrohr ans Auge gedrückt hielt, hatte er also das Holz statt seiner Nägel bearbeitet. Und siehe da! Königin Birgie war mit seinen ordentlich gestutzten Fingernägeln zufrieden und von dem geflügelten Pferdchen richtig beeindruckt. Darum hatte sie ihm auch ein schmales Lederband gegeben, damit er daraus einen Anhänger machen konnte.

      Elektra sah ihn schelmisch an und zog sich den Anhänger über den Kopf.

      „Da hat meine Mutter recht, aber trotzdem …“ Sie tippte sich tadelnd an den Hals.

      „Nein, Loranthus! Ich kann wirklich nicht annehmen, dass das schon alles war!“

      Loranthus sackte in sich zusammen