und so trieben wir uns gegenseitig, bis wir erschöpft ins Gras fielen und er mir eifrig den Schweiß ableckte. Kaum hatte er mich auf diese Weise ein wenig abgekühlt, neigte sich die Sonne zum Horizont und die Kristalle erstrahlten in den zartesten Farben.
Ich wollte mir die blauen und grünen genauer ansehen, der Hirsch lief zu den goldenen und veilchenfarbenen, doch wir konnten sie nicht berühren, weil plötzlich Wind aufkam. Die Kristalle trudelten über die Wiese, wie zuvor wir, und als der Wind stärker wurde, trennten sie sich sogar nach Farben. Es sah seltsam aus, aber sie reihten sich tatsächlich aneinander und bildeten einen breiten, vielfarbigen Weg.
Der Hirsch sah mich fragend an, ich nickte und wir betraten den Pfad. Er ging auf der goldenen Bahn, ich legte ihm die Hand auf die Schulter und betrat die grüne. Es wurde heiß und immer heißer, die Abendsonne gleißte, wir konnten kaum noch den Weg vor unseren Füßen erkennen. Mir kam das Laufen auf dem Pfad unwirklich vor. Es war, als würde ich auf der Stelle gehen, aber ich kam trotzdem vorwärts, die Kristalle selbst trugen mich voran. Je weiter wir aufstiegen, desto heißer und strahlender wurde das Licht der Sonne und ich musste die Augen schließen. Der Hirsch führte mich.
Dann waren wir am Ende angekommen und der Sonnenkönig saß vor uns in seinem großen Himmelswagen. Er lächelte und sprach: ‚Danke, dass ihr mir meinen Götterpfad zurückgebracht habt. Dafür gebe ich euch das Schönste, was ein Gott einem Menschen schenken kann.‘ Bei diesen Worten senkte er seine Hände zu den farbigen Kristallen und warf sie hoch in den azurblauen Himmel. Dort tanzten sie, bis sie ihren angestammten Platz fanden und ihre Farben erstrahlten noch heller. Staunend blickten wir hinauf, voller Ehrfurcht.
Der Sonnenkönig sah uns freundlich an und sagte: ‚Und nun euer Lohn.‘ Er hob die Hände zu den Göttern, die um den See der Weisheit im Himmel saßen und bat sie um einen Schluck Wasser daraus. Sie nickten, schöpften jeder eine Hand voll Wasser und warfen es uns mit vollendeter Anmut entgegen. Ganz sanft nieselte es auf uns herab und die große Hitze wich einer angenehmen Frische. Die Regentropfen perlten an uns herunter, vereinigten sich zu einem kleinen Bach und wir glitten darauf zur Erde zurück. Der Sonnenkönig winkte zum Abschied, freudig wiehernd strebten seine Pferde ihrem Nachtlager entgegen.“
Viviane betrachtete die verträumten Gesichter der Frauen. Sie alle schienen noch auf dem Weg zwischen den Welten zu sein. Hanibu hatte garantiert nicht alles verstanden, aber sie sah vor sich hin und ihre Augen wiesen diesen entrückten Blick auf, den sie schon einmal gehabt hatte – damals, bei ihrer ersten Begegnung mit Lew.
Noeira fing sich als Erste. Übermütig schnalzte sie mit der Zunge und schürzte mit Verschwörermiene die Lippen.
„Also, ich will dir mal was verraten, Viviane. Wenn Conall zum Höhepunkt kommt, tanzen vor seinen Augen auch die Sterne.“
Taberia kicherte und dann prusteten alle Frauen los, sogar Großmutter Mara. Lavinia sah interessiert von einer zur anderen.
Flora tätschelte ihren Bauch. „Ja, ja. Und wenn es dann zu nieseln anfängt … und man findet keinen Unterschlupf …“ Sie tippte gegen ihren Unterleib. „ … ist man nass.“ Alle grölten, nur Viviane zog einen Schmollmund.
„Ha, ha. Wie lustig“, knurrte sie, kniff die Augen zusammen und sah sich suchend im Langhaus um. Allerdings schien sie nicht zu finden, wonach sie suchte und lugte deshalb auch noch unter den Tisch. Noeira bückte sich hinterher.
„Was suchst du denn?“
„Was wohl, meinen Humor natürlich. Der scheint mir gerade abhanden gekommen zu sein.“
Alle schmunzelten, nur Lavinia beugte sich über den Tisch und deutete zur Tür.
„Dort!“
„Was, dort?“
„Na, dort! Mitten auf der Wiese! Da läuft er, dein Humor!“
Viviane reckte den Hals.
„Ich kann nichts sehen. Wo denn?“
„Oh je! Oh je, oh je! Jetzt kommt er mit vollem Karacho wieder zurück! Achtung! Ha!“
Lavinia sprang auf, riss die Arme hoch und klatschte die Hände zusammen. „Hab ihn erwischt! Bitte schön! Sag mal ‚aaaa‘, Viviane!“
Viviane schmunzelte, sagte artig „aaaa“ und Lavinia stopfte ihr den Humor in den Rachen zurück. Höchst erfreut über den guten Geschmack kaute sie alles ordentlich durch, nuschelte „Nichs desdo drodz, dad hädd mi jama eine vohe sang gönn“, schluckte laut und leckte sich die Lippen. Lavinia kicherte.
Noeira nahm das Spucktuch, das sie immer für Belisama über der Schulter hängen hatte, und wischte Viviane damit sorgfältig den Mund ab. Nebenbei tätschelte sie ihr die Schulter und ließ ihren Gedanken freien Lauf:
„Erstens: Du hast nie danach gefragt. Und zweitens: Wer von uns hätte ahnen können, dass es derlei Initiationen gibt!? Wir sind einfache Bauern! Mutter webt und färbt, ich schnitze Holz, Taberia und Großmutter Mara töpfern, Vater ist Schmied, Conall Sattler, Tarian Tischler, Silvanus Wagenbauer, Schuster und Glasmacher. Dafür braucht man doch keine Initiation! So was gibt es eben nur bei Druiden! Und wenn …“ Noeira fuchtelte mit dem Zeigefinger und tippte sich gegen den Kopf. „ … wenn wir es geahnt hätten? Was hätten wir – deiner Meinung nach – der Taube für einen Brief mitschicken sollen?“ Sie kniff die Augen zusammen und tat so, als müsse sie ein winziges Stück Papyrus beschreiben. „Viviane, hüte dich vor zutraulichen Hirschen im Wald und lass dich nicht nass regnen, sonst bekommst du ein kleines Hirschlein geschenkt?“
Viviane schnaubte. „Da hätte ich bestimmt das Gegenteil davon gemacht, nur um das Hirschlein zu bekommen. Das habe ich noch nicht in meiner Tiersammlung.“
Noeira tätschelte grinsend Vivianes Bauch. „Nur Geduld! Bald hast du eins. Musstest du vor dieser Initiation eigentlich wieder hungern?“
„Ja, natürlich. Wir verbrachten drei Tage in der Höhle mit dem kleinen See, genau wie beim ersten Mal. Es gab also nur geweihtes Wasser.“
„Sonst nichts?“
Viviane schüttelte den Kopf.
„Wie konntest du dann überhaupt gegen all die Krieger im Wald bestehen? Mich hätte der erste bloß anhauchen müssen, da wäre ich schon umgefallen!“
Viviane lachte laut auf und verscheuchte erneut einen Fliegenschwarm.
„Das geht besser, als du dir vorstellen kannst, Noeira. Immer, wenn man Hunger bekommt, trinkt man sich den Bauch mit dem geweihten Wasser voll. Sonst sitzt man nur in der Höhle und wandert zwischen den Welten. In Trance zu geraten, muss man natürlich erst lernen. Bei meiner ersten Initiation habe ich das noch nicht so gut hinbekommen. Da hat mich der Hunger viel stärker gequält. Aber als ich bei dieser letzten Initiation aus der Höhle heraus in die Morgendämmerung trat … Das war absolut genial!
Ihr ahnt gar nicht, was ich plötzlich alles sehen, hören, fühlen, riechen und sogar schmecken konnte! Fährten lesen war ein Kinderspiel! Verstecken erst recht! Und ich spürte eine Kraft in mir wie noch nie zuvor! Jeden, der sich mir in den Weg stellen wollte, den habe ich einfach umgerannt. Mein Lehrer Akanthus hat es die ‚pure Macht der Sinne‘ genannt, die unserem Körper durch das geweihte Wasser dargebracht wird.“
Noeira winkte ab.
„Das hört sich alles recht interessant an, aber auf so eine Erfahrung kann ich gerne verzichten. Mir gluckert schon der Magen von dem ganzen Wasser-Gerede.“
Flora klatschte in die Hände, stand auf und ging hinter den Ofen.
„Da hilft nur eines: Wir essen zu Mittag. Viviane, hol mal die Buttermilch aus dem Keller. Lavinia, hier sind die Holzbrettchen. Noeira, schnipple die Kresse. Taberia, schäl die Zwiebeln. Mara, stech Löcher in die Eier, die schlürfen wir aus.“
Viviane streute sich gerade Salz über ihr zweites Kressebrot, da ertönten die Hörner. Alle traten verwundert auf den Vorbau; nur Viviane blieb sitzen, klappte schnell ihr Brot zusammen und rief