Petra Wagner

Der mondhelle Pfad


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so gefallen hatten? Aber dieser Schmollmund …

      Elektras azurblaue Augen blickten vorwurfsvoll, sie schniefte, ihr Mund zuckte, prustend warf sie sich auf ihn, wühlte ihre Lippen in seine und schob ihre Zunge verlangend hinterher. Loranthus riss die Augen auf, bewegte nichts – außer seine Zunge – und hielt sie sachte umschlungen. Gleichzeitig versuchte er, ihrem Druck standzuhalten und nicht umzukippen; seine Bauchmuskeln zitterten, Elektra schnurrte. Es dauerte eine Ewigkeit, bis sie ihren Mund löste. Sofort huschten ihre Lippen an sein Ohr und ihr heißer Atem trieb ihm wohlige Schauer vom Genick bis sonst wohin.

      „Ich kann wirklich nicht annehmen, dass deine steife Rede schon alles war!“ Feixend biss sie Loranthus ins Ohrläppchen und ihre Hand rutschte an seinen Bauch hinunter. „Hmmm, schon besser. Das ist ja wohl eher die richtige Stelle dafür. So möchte ich ab sofort immer von dir begrüßt werden. Das ist einer Königstochter würdig.“

      Loranthus japste. Ohne Gegenwehr ließ er sich von Elektra umdrücken und ergab sich stöhnend in sein Schicksal: Einer Königstochter musste man jeden Wunsch erfüllen. Das hatte sie ihm ja schon zu Beltaine im See erklärt.

      Seine Sklavin Hanibu tanzte derweil mit Medan um die Feuer. Vor ihnen hüpften Viviane und Silvanus, Nora und Harthu, Susanne und Hirlas. Viviane drehte sich zu Hanibu um, deutete zwinkernd auf das Knäuel neben ihrem Feuer und flatterte wieder mit den Händen, als wolle sie fliegen. Sie grienten sich alle an; ihr Tanz wurde noch ausgelassener.

      Bis in die Nacht hinein wurde getanzt, getrunken, gegessen, gelacht, erzählt … als die Sonne aufging, lag der ganze Clan über die Burgwiese verstreut, paarweise oder in Gruppen.

      Die Kinder schliefen zusammen innerhalb der Feuer. Die Nacht war mild, sodass sie eigentlich keine zusätzliche Wärme gebraucht hätten, aber die Mitte gab ihnen einen besseren Schutz. Ihre Eltern, Großeltern und erwachsenen Geschwister waren vom Fest zwar noch benommen, doch der eine oder andere hätte es bestimmt bemerkt, wenn sich ein Raubtier angeschlichen hätte.

      Viviane wäre die Erste gewesen, denn sie lag am Waldrand und hatte keinen Alkohol getrunken. Wenn sie bloß an einem Horn mit Met roch, wurde ihr schon übel. Deshalb trank auch Silvanus nur Tee und Eldersud für Kinder, er wollte ja keinen Schritt von ihr weichen.

      Es war für ihn nicht schlimm, nüchtern zu bleiben; er fand es sogar lustig, dass Viviane so extrem auf Gerüche reagierte. Genau genommen zollte er dieser Erscheinung ihrer Schwangerschaft sehr große Ehrfurcht. Ihr Geruchssinn glich dem eines Hundes – er konnte das einschätzen, seine Ethmanja war die beste Hirschhündin weit und breit – und so hatte Viviane ihnen als Späher einen immensen Vorteil verschafft. Aber nicht nur ihre empfindliche Nase, sondern auch ihre listigen Täuschungen waren genial und Silvanus war überzeugt: Viviane war die personifizierte Todesgöttin für alle Feinde, die sich ihr in den Weg stellten.

      Dieses Weib war nun seines. Offiziell zwar erst zu Lugnasad, wenn sie vom höchsten Druiden zusammengeführt wurden, aber Viviane hatte sich ihm bereits versprochen. Seit Beltaine waren sie zusammen und Silvanus war total stolz, Viviane sein eigen nennen zu können. Es störte ihn nicht einmal, dass sie das Kind eines anderen erwartete. Sie konnte ja nichts dafür. Außerdem hatte sie einmal erwähnt, dass dieser britannische Merdin fast so aussah wie er. Nur seine Augen waren nicht dunkelbraun, sondern blau. Wenn der Kleine dann Vivianes moosgrüne Augen bekäme, wäre das irgendwie befriedigend: Der Sohn des zukünftigen höchsten Druiden von Britannien würde bei ihnen aufwachsen und jeder, der ihn ansah, würde ihn für sein Kind halten.

      Viviane blinzelte, sah in die lächelnden Augen von Silvanus und schlang ihm die Arme um den Nacken. Voller Leidenschaft gab sie ihm einen wilden Kuss, nahm seine Hüften in die Beinzange und presste ihn an sich, bis er stöhnte.

      „Schon wieder Angriff ohne Vorkampf?“, hauchte ihr Silvanus ins Ohr und seine Lippen flüsterten weiter zu ihrem Nacken: „Seit wir es das erste Mal richtig gemacht haben, sind wir nicht mehr zum Spielen gekommen.“ Seine Zunge strich leicht über ihr Schlüsselbein, sachte biss er in ihre Schulter. „Du bist unersättlich.“

      Viviane japste, bäumte sich auf und zog einen Schmollmund, während sie ihre Beine noch mehr verschränkte.

      „Das liegt an meiner Schwangerschaft. Wir müssen es schließlich ausnutzen, wenn es eh schon zu spät ist. Außerdem: Wenn ich solchen Hunger habe, kann ich nicht spielen wie die Katze mit der Maus. Schon gar nicht …“ Sie rutschte sich ein wenig zurecht und schnurrte: „ … wenn sich die Maus so einladend vor dem Mauseloch präsentiert.“ Knurrend schnappte sie mit den Zähnen nach seiner Gurgel und Silvanus keuchte: „Friss mich!“

      Lavinia drehte sich auf die andere Seite, gähnte und blinzelte verschlafen in die goldene Morgendämmerung. Hastig riss sie die Augen weit auf und rüttelte Robin, der neben ihr leise schnarchte. Brummend öffnete er ein Auge, sah Lavinia strafend an und drehte sich von ihr weg. Die ließ sich davon aber nicht beirren, zerrte ihn unsanft wieder zurück und drückte ihm mit den Daumen die Lider hoch. Robin knurrte und wollte sich auf sie stürzen, hielt aber mitten in der Luft inne, riss die Augen auf und ließ sich neben Lavinia fallen. Den Kopf behielt er jedoch oben.

      Die Sonne stand schon hoch am Himmel, als Bewegung in die Leute kam. Gemächlich zogen sie die Speckblasen aus der noch warmen Asche, wischten sie sauber und schnitten sie in Scheiben. Die Feuer wurden neu entfacht und die Fleischbrühe erhitzt; dazu kam noch das restliche Fleisch. Die jungen Maiden hatten kühles Quellwasser geholt und manch einer schöpfte gleich mehrere Hörner hintereinander, um sie gierig in einem Zug zu leeren.

      Viviane und Silvanus grienten sich an und beobachteten Conall, der jetzt das Wasser hinunter kippte wie gestern Met und Elder. Nur Loranthus schien kein Interesse an Ess- oder Trinkbarem zu haben und widmete die ganze Aufmerksamkeit seinen Händen, die er immer mal zur Nase führte. Silvanus ließ seinen Mittelfinger über Vivianes Hand kreisen und sie schnappte zu. Da grienten sie sich wieder an und winkten Elektra, die gerade zwischen Königin Elsbeth und dem Barden Kablitu saß und zu Loranthus herüber sah. Elektra hielt triumphierend den Daumen hoch, grinste breit und nahm noch ihren Zeigefinger und ihren Mittelfinger dazu. Silvanus schüttelte mit gespielten Entsetzen den Kopf; er sah gerade noch, wie Viviane ihre Finger einzog und die Faust in Siegerpose in die Luft stieß.

      Nach der Mahlzeit erklang ein melodischer Posaunenstoß und Ruhe trat ein. Afal stellte sich neben die abgebrannte Opfergabe und deutete auf die geschwärzten Tierschädel.

      „Nachkommen des stolzen Cernunnos! Die Götter haben unser Großopfer wohlwollend angenommen. Wenn sich die Sonne das dritte Mal neigt, werden sie zu uns herabsteigen und mit uns tanzen. Lasst sie uns ehrerbietig begrüßen. Lasst uns mit weitem Herzen über Mutter Erde wandeln und am Tag der Birke den Göttern huldigen. Geht nun in Frieden.“

      Beschwingt fuhren alle in ihre Dörfer. Loranthus rannte mit Silvanus und Medan den kürzeren Weg quer durch den Wald. Als Arminius mit dem Rest der Familie ankam, hatten sie schon die Hühner aus dem Gehege gelassen, die Eier eingesammelt, Brunnenkresse am Fluss geholt, Zwiebeln und Möhren geputzt und Brot geschnitten. Loranthus musste schmunzeln, als Viviane eintrat und ihm dabei zusah, wie er die Kresse auf Butterbrote schnippelte und sie akribisch zusammenklappte.

      Arminius klopfte ihm zufrieden auf die Schulter, wickelte die Brote in ein Leintuch und legte es mit Eiern und Gemüse in eine Kütze. Die Männer liefen los, um die Felder zu begutachten.

      Viviane stand in der Tür und beobachtete Medan, wie er die Kütze schulterte und Robin, der stolz an den Fingern aufzählte, was sie alles für Arbeiten verrichtet hatten. Sie wäre auch gerne mitgegangen, aber ihre Mutter hatte Schmerzen im Unterleib. Da wollte sie ihr lieber einmal den Bauch abtasten.

      „Also, Mama, ich kann nichts Ungewöhnliches finden. Alles sitzt da, wo es hingehört. Werden wohl die Bänder sein, die sich dehnen müssen. Die Gebärmutter ist immerhin schon faustgroß.“

      Viviane drehte sich zu Lavinia um und hielt Daumen und Zeigefinger ein Stück auseinander.

      „Unser Schwesterchen dürfte jetzt etwa so groß sein.“

      Lavinia nahm sich das kleinste Ei aus der Bastschale