Petra Wagner

Der mondhelle Pfad


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nicht schon genug wäre, besaß er noch etwas ganz Außergewöhnliches: Er hatte einen besonders langen knorrigen Stab in der Hand, um den sich eine Schlange mit einer Zeichnung aus Runen wand.

      Natürlich waren Stock und Schlange nur geschnitzt, die Runen ins Holz eingebrannt, doch Loranthus fragte sich, ob er ihn zum Laufen brauchte, zum Lesen oder ob er anderen Zwecken diente, denn hinter ihm ging eine ganze Reihe Kinder, der Größe nach geordnet, im Gänsemarsch. Sie sahen sich zwar aufmerksam nach allen Seiten um, aber keiner sagte ein Wort.

      Das konnte nicht mit rechten Dingen zugehen.

      Alle trugen einen geschlossenen goldenen Torques um den Hals. Nur beim letzten Kind war es anders, der Kleine hätte auch noch mit den Schultern durchgepasst.

      Loranthus nickte der Gruppe hinterher.

      „Ich wusste gar nicht, dass es auch ruhige Kinder gibt?“

      „Keine Sorge! Nur, weil es Königskinder sind, können sie genauso toben und schreien wie die anderen.“

      „Ist mir irgendwie entgangen“, konsternierte Loranthus und steckte sich den Finger prüfend ins Ohr.

      Silvanus lachte.

      „Sie wissen natürlich, wie sie sich zu benehmen haben, wenn sie mit dem ranghöchsten Druiden des gesamten Großkönigreiches unterwegs sind.“

      „Aha! Ich verstehe. Und ich dachte schon, es liegt an dem großen Stock, den Aodhrix so kraftvoll bei jedem Schritt niedersausen lässt.“

      Silvanus prustete los.

      „Völlig verkehrt! Das ist das Statussymbol für den höchsten Druiden! Die Schlange, die sich schützend um den Baum des Lebens windet. Wenn du ihn mal richtig zu Gesicht bekommst, solltest du dir die Runen ansehen. Die Schlange ist über und über damit verziert und jede hat ihre eigene heilige Bedeutung, genau wie die Schlange und der Stock selbst. Aodhrix braucht keinen Knüppel zum Draufhauen. Es ist eine große Ehre, hinter dem obersten Druiden der Hermunduren zu gehen. Das weiß jedes Kind.“

      „Lernen sie bei Aodhrix etwas über die Rechtsprechung?“

      „Ganz recht. Sind alles seine Schüler. Seine kleinen wohlgemerkt.“

      „Das ist mir aufgefallen! Dem kleinsten rutscht sogar noch der Torques über den Kopf, wenn er sich bückt!“

      „Ha. Adalrich ist wirklich sehr zierlich, aber dafür ist er zäh und klug und freundlich, das genaue Gegenteil von seiner Schwester, Furia.“

      Loranthus blieb abrupt stehen und stieß seinen ausgestreckten Zeigefinger in die Richtung, wo die Kinder gerade in der Menschenmenge verschwanden. Der letzte drehte sich nach ihnen um und winkte, als hätte er gewusst, dass sie ihm nachsahen. Selbst auf diese Entfernung leuchteten seine Augen wie zwei blaue Saphire.

      „Der dort mit den hellbraunen Haaren und den azurblauen Augen?! Der letzte! Das ist der kleine Bruder von Furia?“

      „Ja. Und da wir gerade bei der Verwandtschaft sind …“, begann Silvanus und deutete auf Adalrich, der in diesem Moment einen gellenden Pfiff ausstieß und sich suchend umschaute. „Dort kommt ein Sohn von Ethmanja!“

      Loranthus und Ethmanja hoben beide gleichzeitig den Kopf, als ein junger Hirschhund an ihnen vorbei zischte und Richtung Adalrich stürmte. Mitten auf halber Strecke blieb er wie angewurzelt stehen, drehte sich um und rannte wieder zurück. Er hatte so viel Schwung, dass er in Ethmanja hinein krachte. Ethmanja riss das Maul auf und dann wirbelten die beiden Hunde so wild umeinander, dass nur noch zwei wedelnde Schwänze erkennbar waren.

      Silvanus schüttelte schmunzelnd den Kopf.

      „Ich wusste gleich, dass der Kleine nicht für die Jagd taugt. Aber für Adalrich ist er genau der richtige Gefährte. Liebevoll, verspielt, treuherzig … später schenke ich ihm einen Hirschhund, den er perfekt für die Jagd nehmen kann, jetzt ist er ohnehin noch zu klein für derart gefährliche Unternehmungen.“

      Ein Pfiff gellte zu ihnen herüber. Sofort hörte das spielerische Gerangel auf und der junge Hirschhund hob den Kopf. Adalrich strahlte über’s ganze Gesicht, winkte ihnen zu und pfiff noch einmal. Sein Gefährte gab Ethmanja noch einen Nasenstüber, schon rannte er los.

      „Vier Beine und alle in der Luft“, lachte Silvanus und tätschelte Ethmanja den Kopf.

      „Bei Hera! Der hat enormes Temperament!“

      „Wie gesagt: Er passt perfekt zu Adalrich. Man muss die beiden einfach gerne haben.“ Silvanus seufzte und schürzte nachdenklich die Lippen. Mit vorsichtigem Tonfall sagte er: „Apropos ‚gerne haben‘ … Wolltest du nicht gerade weg von hier, Loranthus?“

      „Äh, ja! Wird besser sein!“, gluckste Loranthus und warf Silvanus einen feixenden Seitenblick zu. Wenn sie Adalrich begegnet waren, konnten sie auch jederzeit Furia über den Weg laufen. Darauf konnte er gut und gerne verzichten. Ihm war schon längst aufgefallen, dass Silvanus dieses Weib nicht leiden konnte. Warum wohl nicht. Schmunzelnd schob Loranthus seinen Freund zwischen riesigen Johannisbeersträuchern hindurch.

      Exakt zwei Schritte weiter blieb er schon wieder wie angewurzelt stehen.

      Irritiert starrte er auf eine ganze Kohorte in die Erde eingelassener Holzluken, erkannte aber recht schnell einen sicheren Weg durch ihre Anordnung und schritt zielstrebig voran, nur um wieder zu erstarren. Ethmanja dagegen wirkte höchst erfreut.

      Viele Sklaven waren damit beschäftigt, Fleisch zu teilen, zu würzen oder Speck in Tiermägen zu füllen. Andere Sklaven saßen sich vor einem Holzbrett gegenüber, das so breit wie ein Zelt war. Jeder hielt einen Holzgriff in den Händen und zwischen ihnen sausten riesige, gebogene, blutbesudelte Messer auf und ab.

      Sie sahen aus wie die Wiegemesser, mit denen er selbst schon Kräuter zerkleinert hatte. Doch diese hier waren nicht klein und handlich, sondern machten einen gefährlichen, wenn nicht sogar monströsen, Eindruck. Deshalb hätte Loranthus auch hier am liebsten die Flucht ergriffen, aber er wollte unbedingt sehen, was unter den Messern zerschnitten wurde.

      Also trat er sachte näher heran und beugte sich über die Sklaven. Im selben Augenblick klatschte seine Hand von ganz alleine auf seinen Mund und er unterdrückte ein Würgen. Alles Mögliche an Schlachtresten wurde von den Messern in Stücke gehackt. Es sah widerlich aus. Die Sklaven schien das nicht zu stören. Sie riefen sich zu, hoben ihre Messer, schoben die Brocken damit zusammen und zerstückelten fröhlich weiter. Es war eine einzige, schmierige, blutrünstige Metzelei und sie sangen sogar dabei. Einer winkte mit blutiger Hand zu ihnen hinüber, krallte lachend seine Finger in die Brocken und warf einen Fleischfetzen mit Schwung durch die Luft.

      Ethmanja sprang hoch und schmatzte.

      Loranthus würgte und drehte sich um, doch das war keine gute Idee.

      Andere Sklaven steckten bis zum Ellenbogen in Bottichen mit genau derselben Masse, bekamen Salz und andere Gewürze dazu geschüttet und wühlten weiter in der Pampe. Daneben stand ebenfalls ein Bottich. Hier hielten schon Sklaven Trichter bereit und quetschten die Masse in einen endlos langen Darm, bis er vollgestopft und ineinander gerollt da lag wie eine Schlange.

      Wenigstens war es keine blutige Schlange, da sie alle paar Windungen mit Wasser gesäubert wurde. Loranthus trat dennoch einen Schritt zurück, was seinem Oberkörper leider immer noch nicht reichte. So stand er also ziemlich schräg nach hinten geneigt und beobachtete, wie die Sklaven das Darmende verknoteten und das lange Ding in einen riesigen Kupferkessel mit kochendem Wasser gleiten ließen. Darin schwammen schon die Tiermägen mit ihrem blutigen Inhalt und blubberten gemächlich vor sich hin. Ein alter Sklave rührte mit einem Holzstock in der Brühe, der so lang war wie er selbst und auch genauso dünn.

      Ein paar Schritte weiter schürte ein anderer mit einem Handblasebalg ein Feuer unter einem wahren Berg aus Holzkohle. Das Eisengitter darüber hatte ein Gestell, das fast so groß war wie das Schneidebrett vorhin.

      Loranthus rümpfte die Nase und zupfte Silvanus am Ärmel.

      „Wenn ich nicht gleich etwas anderes zu sehen bekomme, würge ich dir meinen