Petra Wagner

Der mondhelle Pfad


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      „Ach ja? Und warum sollte es mir dort besser gefallen?“

      Silvanus schüttelte den Kopf und grinste.

      „Mal sehen, ob du es alleine herausfindest!“

      Vor sich hin grummelnd, schlurfte Loranthus neben Silvanus her und stand gleich darauf unter mächtigen Apfelbäumen. Erleichtert atmete er tief ein und sah sich um.

      Hier standen mannshohe Fässer, eine Armspanne breite Bottiche, riesige Kupferkessel mit langen dünnen Rohren, dahinter gab es noch lange Holzrinnen und andere seltsame Gerätschaften.

      Zwei junge Männer betätigten sich gerade an einer dieser Konstruktionen, die aussah wie ein riesiger Holzeimer mit Ablaufrohr und Holzgestell darüber. Sie schütteten körbeweise Äpfel in den Eimer, bis er fast überquoll. Dann zückte der eine einen Holzgriff, an dem sich unten lange Klingen kreuzten. Dieses gefährliche Instrument setzte er lachend auf die Äpfel und drückte fest dagegen. Sofort gaben die Äpfel ein schmatzendes Geräusch von sich und sackten ein Stück zusammen.

      Loranthus legte den Kopf schief, denn das kam ihm irgendwie bekannt vor, außer, dass hier kein Blut floss. Das Prinzip war jedoch das gleiche: Das Schneidewerkzeug wurde aus der Apfelmasse gezogen und wieder neu hinein gerammt. Nach mehrfachem Auf und Nieder ruhte sich der erste Mann aus, der zweite schüttete Äpfel nach und machte weiter. Dann besahen sich beide ihr Werk, nickten zufrieden und setzten einen Deckel auf.

      Loranthus ging noch ein Stück näher, nun war die Gefahr gebannt, und außerdem schien es interessant zu werden. Der eine zückte nämlich ein gewundenes Ding, das so lang und so dick war wie sein Arm. Es war aus Holz und das verblüffte Loranthus so sehr, dass er unwillkürlich die Hand danach ausstreckte, um sicher zu gehen. Die beiden Männer verstanden sein Interesse etwas falsch, denn plötzlich lag die riesige Holzschraube in seinen Händen. Loranthus starrte die stabilen Windungen an und das Loch an einem Ende. Prüfend betrachtete er das Holzgestell und setzte die Schraube an ihren Platz, einem genau passenden Ring mit Innengewinde.

      Die beiden Männer nickten anerkennend und schoben ein Querholz durch das Schraubenloch. Der erste fasste es an beiden Enden und begann zu drehen, der zweite löste ihn ab.

      Loranthus stellte sich auf die Zehenspitzen und sah, wie sich der Deckel immer weiter in den Eimer schraubte, unten plötzlich Saft aus dem Rohr austrat und in den bereitgestellten Eimer lief.

      „Das ist eine Saftpresse! Eine riesige Saftpresse!“, rief er begeistert und hockte sich vor das Austrittsrohr. „Und diese Konstruktion dort …“ Er zeigte auf den kupfernen Kessel mit Rohren. „ … ist zum Destillieren! Ihr macht hier Wein! Apfelwein!“

      „Das hast du gut erkannt, Loranthus. Unsere Saftpresse im Dorf ist zwar kleiner, aber für unsere Zwecke reicht sie vollkommen. Und wie zu Hause machen wir auch hier nicht nur Apfelwein, Loranthus, sondern auch Apfelessig, Korma und natürlich … „Silvanus nickte zum Eimer, der sich rasch füllte. „Apfelsaft und Saft aus verschiedenen Beeren, Wein aus Beeren, Essig aus Beeren …“

      Er nahm sein Horn, hielt es unter den austretenden Saftstrahl und winkte Loranthus, es ihm gleichzutun.

      „Mmmh, ja! Euer Fruchtsaft ist wirklich genial und der hier schmeckt seeehr fruchtig“, befand Loranthus, schmatzte und nahm noch einen Schluck. „Und leicht säuerlich.“

      „Also säuerlich würde ich nicht sagen …“ Silvanus leckte sich die Lippen. „ … eher aromatisch.“

      „Aber auch ein bisschen säuerlich. Aromatisch-säuerlich!“

      „Nein! Eindeutig aromatisch-fruchtig-würzig-süffig!“

      So ging es eine Weile hin und her, bald gingen ihnen die Umschreibungen für ‚Apfel‘ genauso aus wie ihr Saft.

      Loranthus wollte sich noch einmal nachholen, doch Silvanus meinte, er solle mit purem Saft vorsichtig sein, sonst könne er sich auf dem Abort häuslich niederlassen. Da sie aber beide jetzt noch mehr Durst hatten, schöpften sie nur einen kleinen Teil Saft und füllten den Rest mit Wasser auf. Wieder schmatzten sie und gaben ihre Kommentare ab. Dann wollten sie auch noch Apfelessig mit Wasser verdünnt probieren, aber leider war der noch nicht fertig. Also tranken sie das Wasser pur und selbst hierzu musste Loranthus nach jedem Schluck seinen Kommentar abgeben. Er war nämlich fest davon überzeugt, das Wasser aus der Sünna schmecke besser als das aus der Werra und hätte einen würzigen Beigeschmack nach Bergen, Eisen, Kiesel, Moos, Tannennadeln …

      Silvanus beteiligte sich nicht mehr an der Lektion über Wasserqualität und wann immer Loranthus ihn nach seiner Meinung fragte, hatte er gerade den Mund voll Wasser. Doch bald kam seine Ablösung in Form eines Duftes. Loranthus schnupperte genüsslich und nach dem dritten Atemzug stand sein Mund ohne zu trinken unter Wasser, so dass er nur noch schlucken und nicht mehr sprechen konnte. Seine Beine setzten sich ganz von alleine in Bewegung.

      Schnell gingen sie immer der Nase nach und standen plötzlich wieder da, wo Loranthus eigentlich nicht noch einmal hin wollte. Ihm lief jedoch derart das Wasser im Mund zusammen, dass er keine Skrupel mehr kannte.

      Breitbeinig stellte er sich vor den Rost und machte niemandem Platz, bis er endlich ein Stück Wurst in einer Scheibe Brot gereicht bekam. Anerkennend lobte er die praktische Verwendung des Brotes als Topflappen und Silvanus hätte schwören können, das er beim Kauen das Lied summte, welches die Sklaven vorhin beim Fleischschneiden gesungen hatten.

      Zum Essen machten sie es sich unter einem Apfelbaum bequem. Die standen überall am Weg, waren behangen mit grünen, gelben oder roten Früchten und spendeten angenehmen Schatten. Als sie ihre Würste vertilgt hatten, streckte sich Silvanus, holte von den kleinen, hellgrünen Äpfeln ein paar herunter und gab Loranthus welche ab.

      „Die müssen zuerst weg, weil sie sich nicht lange halten.“

      „Bloß keine Hektik! Ich bin gerade erst angekommen.“

      Silvanus kicherte und rieb seinen Apfel am Hemd, bis er glänzte. Loranthus tat es ihm nach, betrachtete prüfend das Ergebnis im Schein der Mittagssonne und bemerkte noch mehr Leute, die Äpfel pflückten.

      „Warum stehen hier so viele Apfelbäume, Silvanus? Die ganze Handelsstraße rechts und links entlang, dann noch über die Wiesen verteilt … Das geht doch nicht mit rechten Dingen zu!“

      „Doch, doch! Du musst wissen, Loranthus, dieses Gebiet hier ist die Königsleite. Jeder König kommt hierher und pflanzt einen Apfelbaum, wenn er zum König erhoben worden ist. Über die vielen Generationen von Königen wurde die Königsleite immer größer und größer. Zu Lugnasad kommen unsere Clans hier zusammen, um den Frieden zu sichern.“

      Loranthus war gerade dabei, genüsslich an seinem glänzenden Apfel zu schnuppern. Hinein beißen tat er jedoch nicht, im Gegenteil, er streckte ihn mit misstrauischen Blick von sich.

      „Wie sichert ihr Hermunduren den Frieden? Schwören sich sämtliche Könige jedes Jahr aufs Neue gegenseitig ihre Loyalität unterm Apfelbaum?“

      „Kann schon sein, aber am besten sichert man den Frieden, indem sich die Clans miteinander vermischen.“

      „Sich vermischen“, echote Loranthus, polierte noch einmal über seinen Apfel und schnippte gleich darauf mit den Fingern. „Jetzt hab ich’s! Alle Clans kommen hierher, die Leute knüpfen Bekanntschaften, manche verlieben sich ineinander und heiraten. Die Familienbande werden erweitert und natürlich will niemand dem anderen Clan ein Leid antun, wenn er dort Blutsverwandte hat.“

      „Du hast die Angelegenheit vollkommen erfasst. Aber wusstest du schon, dass es zu Lugnasad auch immer mal einen Toten gibt?“

      Loranthus sog erschrocken die Luft ein und sah sich nach etwaigen Todeskandidaten um. Silvanus biss herzhaft in seinen Apfel und erklärte mit vollem Mund: „Hm, hm. Es so scho welle gegebn ham, de sn veunged.“

      „Verhungert?“, fragte Loranthus nach, doch im gleichen Moment hatte er begriffen, schnell biss er in seinen Apfel. „Hmmm, sind die aromatisch! Davon könnte ich einen ganzen Eimer essen, um dem Hungertod zu entgehen.“

      „Lieber