sein. Vielleicht auch kürzer, wenn du deinen Jahresurlaub nimmst und mal selber euren Haushalt schmeißt.“ Paul in seiner Bedrängnis und aussichtslos erscheinenden Zwangslage tat Ewald leid. Paul war blass. Er war schmal geworden. Die Belastungen im Büro kannte Ewald. Er war selbst mittendrin. Dass drei Kinder in fünf Jahren keine Kleinigkeit für eine junge Frau und den jungen Familienvater waren, glaubte er ohne weiteres. „Wenn Emma nach vier Wochen wiederkommt, ist die steile Treppe in den zweiten Stock immer noch da. Und Emmas Angst davor. Und der feuchte Keller, in dem die Wäsche nicht trocknet.“ Paul musste sich zusammenreißen, in seiner Ratlosigkeit seinen Bierkrug nicht gegen die Wand zu schleudern oder einfach verzweifelt loszuheulen.
Ewald sah den Zustand seines Freundes, legte beschwichtigend seine Hand auf Pauls Unterarm, dann auf seine Schulter. „Wenn du den Rat eines wohlmeinenden Mitmenschen hören willst, so nicke mit dem Kopf“, sagte Ewald schmunzelnd, sein Gesicht nah vor Pauls. Paul nickte und beide lachten herzhaft. „Aber nicht gleich wieder aus der Haut fahren, wenn ich bitten darf“, warnte der gutwillige Kollege. „Geht klar“, sagte Paul und hatte sich wieder unter Kontrolle. Ewald schlug auf Pauls Schulter. „Dann noch einmal gut durchatmen.“ Paul grinste. Ewald machte eine vielsagende Pause. Zwischen Pauls Brauen entstand skeptisches Faltengekräusel. „Du kaufst ein Haus.“ Als Paul rot anlief und gerade wieder in die Luft gehen wollte, fuhr Ewald seelenruhig fort: „Ihr habt kein Geld. Völlig klar. Niemand hat Geld, der jung ist, kleine Kinder hat und ein Haus braucht. Aber gerade diese Leute kaufen Häuser. Verschulden sich. Stottern ab. Und die Kinder wachsen im Grünen auf, mit Garten, mit Hund und viel Platz. Zu ebener Erde, ohne steile Treppe. Und einer Wäscheleine im Garten.“
„Bei dir piept’s“, entfuhr es nun dennoch Paul. „Vielleicht, oder auch nicht. Frag mal deinen Vater. Der ist doch Baufritze. Hat doch Beziehungen. Könnte dir doch einen Tipp geben. Oder?“ Paul nahm seinen Bierhumpen, sagte „Prost, Ewald“ und beide tranken ihr Bier aus. Paul musste nach Hause. Nachdenken. Und Emma helfen.
Alles ging danach ganz schnell. Wie zu erwarten, gab es nochmals viele Tränen, als Paul seiner Frau sagte, sie führe für vier Wochen zur Kur. „Und die Kinder?“, rief Emma verweint und zornig, weil Paul wieder einmal über ihren Kopf hinweg entschieden hatte, was sie zu tun und zu lassen hätte. „Warum werde ich nicht vorher gefragt?“, wütete sie. „Manche Entscheidungen muss das Familienoberhaupt treffen und verantworten“, befand er. Emma hasste diese einsamen Beschlüsse, insbesondere, da sie in der Kneipe unter Männern, statt mit ihr, der Partnerin, ausgetüftelt wurden. Aber sie hatte keine Kraft mehr. Nicht zum Streiten. Nicht für die viele Arbeit. Der Berg unerledigter Bügel- und Reparatur-Wäsche wuchs und wuchs. Das Rheuma in beiden Handgelenken wurde von der kalten Waschküche zunehmend schmerzhafter. Die wollenen Pulswärmer halfen kaum noch. ‚Kein Land in Sicht‘, dachte sie erschöpft und fügte sich schließlich mit abflauendem Zorn im Bauch.
Emma fuhr zur Kur. Paul versuchte, während seines Urlaubs die Arbeit zu Hause und mit den Kindern zu bewältigen. Betten machen. Baby wickeln und Fläschchen geben. Marie, die fünfjährige Älteste, half ihm. Frühstück für die Kinder. Auch hier half Marie. Abwaschen. Wäsche. Spazierengehen. Spielen. Einkaufen. Kinderwagen und Baby Ute die steile Treppe rauf- und runtertragen. Am fünften Tag war die Wäsche für die Kinder verbraucht. Das Geschirr stapelte sich. Marie und Renate mochten Pauls Essen nicht. Die Kartoffeln waren noch hart. Die Zwiebeltunke hatte keinen Geschmack. Paul schüttelte den Kopf.
Wie hat das Emma all die Jahre über geschafft? Sie hatte wenig geklagt. Er verstand, sie wollte ihn in Ruhe lassen, hatte er doch selbst im Büro genug am Hals. Der Unterschied war, dass er seine Büroarbeit inzwischen perfekt beherrschte. Menschenführung lag ihm. Emma wollte nicht geführt werden. Sie wollte Partnerin sein und einbezogen werden. Seine autoritäre Art brachte sie auf die Palme. Immer wieder plagten ihn Zweifel, was richtig sei. Ein Mann, der sich nicht durchsetzte, galt unter Männern als Trottel.
Wie kann eine Frau Respekt vor ihrem Mann haben, der nicht die große Linie bestimmt, fragte er sich. Er wusste niemanden, den er hätte fragen können. Seine männlichen Bezugspersonen waren wie er, hielten demokratisches Miteinander für neumodischen Quark. ‚Wo soll das hinführen. Nutzlose Familien-Dauerdebatten‘, pflegten sie zu resümieren.
Nach einer Woche Hausarbeit, Kinderpflege, Kochen, Putzen, Einkaufen hatte Paul das Gefühl, im Chaos zu versinken. Er liebte Ordnung, Sauberkeit, Struktur, wünschte sich die Kinder eingepasst, gehorsam, hilfsbereit.
Es gelang ihm nicht, seine Büro-Prinzipien in den Familienhaushalt zu übertragen und einen reibungslosen Ablauf zu erzeugen. Immer wieder störte Unvorhergesehenes seine Planung. Er rief das Kinderheim an. Und ging mit sich zu Rat.
Als Emma nach vier Wochen heimkehrte und auf ihn zukam, erinnerte sie ihn an damals auf dem Bahnhof in Breslau, als er sie zum ersten Mal sah. Sie strahlte wieder, freute sich, ihn wiederzusehen. Sie freute sich auf die Kinder, als sie gemeinsam zum Kinderheim gingen, um sie abzuholen. Die Wiedersehensfreude ertrank fast in Freudentränen der Kinder und der Eltern.
Wenige Tage später bat Paul Emma, sich selbst und die Kinder hübsch anzuziehen. Er wolle mit ihnen einen Ausflug machen.
Sie spazierten aus der Stadt, die Ahorn-Allee Richtung Hennersdorf entlang. Als Renate nicht mehr laufen konnte, nahm Paul sie Huckepack. Ute im Kinderwagen quietschte vor Vergnügen. Die fünfjährige Marie schob den Kinderwagen. Nach einer guten Stunde erreichten sie eine Vorstadtsiedlung. Die Häuser sahen neu aus, hatten noch keine Türen und Fenster. Paul stellte sich vor Emma und sagte zu ihr: „Such dir ein Haus aus.“ Emma schaute Paul an. Sie wedelte mit beiden flachen Händen gegeneinander vor ihrer Stirn und sagte zu ihm: „Paul, ist alles in Ordnung mit dir?“ Sie sah ihn besorgt an. Auf Maries Stirn zeigte sich eine kleine steile Falte. Sie schaute zum Papa, dann zur Mama. War das hier ein Spiel oder gibt es gleich wieder Streit wie früher, vor Mamas Kur? „Mir geht es hervorragend“, entgegnete Paul und schmunzelte vielsagend. ‚Jetzt ist er übergeschnappt‘, fuhr es Emma durch den Kopf. Die viele Arbeit, die Überstunden, der fehlende Urlaub, der Versuch, den Haushalt während ihrer Abwesenheit zu bewältigen. Zu viel für ihren Mann, dachte sie erschrocken.
„Wie sieht es aus, hast du deine Wahl getroffen?“, fragte Paul erneut, „oder soll ich eins aussuchen?“
„Gut, ich suche jetzt eins aus. Und dann hörst du mit dem Quatsch auf. Es reicht.“ Emma schritt flott in die Siedlung hinein. Marie folgte mit dem Kinderwagen, Paul mit Renate auf den Schultern. Vor dem letzten Haus ganz links, da, wo nichts mehr kam außer Feldern und Wiesen, wo kein folgendes Haus die Sicht in die weite Landschaft versperrte, wo man die Neiße rauschen hörte, auf der Höhe eines Sandberges blieb sie stehen und sagte: „Dieses hier! So, und jetzt machen wir eine kleine Pause. Futtern unseren Kartoffelsalat, den Pudding und gehen wieder zurück in die Stadt. Du hast verrückte Ideen!“, sagte sie noch lachend zu Paul hin. „Manchmal könnte man wirklich glauben, dass bei dir eine Schraube locker ist.“
Es brauchte noch einige Zeit, bis Emma verstanden hatte, dass es Paul ernst war. Er brachte den Kaufvertrag für die Doppelhaushälfte mit nach Hause. In der anderen Haushälfte würden Hermine und Gustav wohnen. Wieder gab es viele Tränen, weil Emma sicher war, sie würden so viel Geld nie aus ihrem Budget herausschneiden können. „Wir werden alle im Schuldturm landen. Alle zusammen“, schluchzte sie. „Ich habe einen Wahnsinnigen geheiratet“, stellte sie fest, schüttelte ihren Kopf, wedelte erneut mit beiden flachen Händen gegeneinander vor ihrer Stirn und platzte plötzlich heraus. Sie lachte. Und lachte. Und lachte. Paul stimmte mit ein, Marie schaute die beiden an, dann lachte auch sie. Renate fand das Gelächter so komisch, dass sie mitlachte, ohne zu wissen, warum. Ute quietschte, strampelte und dirigierte mit ihren kleinen Armen. „Mit Volldampf in den Schuldturm“, resümierte Emma und konnte vom vielen Lachen kaum sprechen. Lachtränen liefen ihr aus den Augen. Sie nahm erst Paul, dann die Kinder in den Arm. Sie wusste aus sechs Jahren mit Paul, dass sie sich auf ihn verlassen konnte. Dass er keine wichtige Entscheidung traf, die nicht bestens durchdacht war. Bis ins Kleinste. Und Paul wusste, er konnte sich auf Emmas Sparsamkeit verlassen. Sie würde ihren Teil zu diesem Marathon an Sparen und notwendigen Einschränkungen beitragen. Helfen würde ihnen der Garten, den sie in einen kleinen Garten Eden verwandeln wollten. Mit viel Fleiß und noch mehr Naturdünger aus ihrer