Günther Drutschmann

Schuld ohne Reue


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zustimmend und Albert fuhr fort.

      »Nach dem Tod des Vaters musste die Mutter verkaufen und nach Abzug der Schulden blieb nicht mehr viel übrig. Die Mutter musste sich mit Tagelöhnerarbeiten durchschlagen, um uns Kinder durchbringen zu können. Der Tageslohn betrug sechzig Pfennig im Sommer und vierzig Pfennig im Winter. Es war eine sehr schwere Zeit für sie. Schlesien ist ein armes Land, jedenfalls für uns kleine Leute, nicht für die Großgrundbesitzer und großbürgerlichen Agnaten[1]. Ich erlebte nur Krankheit, Not und Hunger. So mussten wir Kinder schon sehr früh mitarbeiten, um etwas zum Lebensunterhalt der Familie beizutragen. Die Mutter bemühte sich, uns schnell in Stellungen zu bringen.

      Meine älteste Schwester Maria musste schon frühzeitig als Bauernmagd in Dienst gehen. In einem sehr strengen Winter zog sie sich eine Krankheit zu, an der sie im Alter von 21 Jahren verstarb.

      Meine zweitälteste Schwester Emilie kam schon als Kind zur Großmutter nach Altenwalde und wurde dort erzogen. Es war ihr Glück, denn so entging sie der Not und lebt heute noch.

      Meine jüngste Schwester Maria starb im Alter von zwei Jahren.

      Mein Bruder Josef erlernte das Schusterhandwerk. Er war aber schon als Kind viel krank und starb früh.

      Mein Bruder Johann wurde Knecht bei einem Bauern. Eines Tages bekam er Leibschmerzen, die nicht weggehen wollten. Der Arzt kuriere auf Rheuma. Als er die Schmerzen nicht mehr ertragen konnte, zog man einen anderen Arzt hinzu und der stellte eine Blinddarmentzündung fest. Er sollte sofort operiert werden, aber es war schon zu spät. Wenige Tage später starb er.

      Ich besuchte bis zu meinem vierzehnten Lebensjahr die Volksschule. Ich hatte einen guten Kopf zum Lernen und es machte mir auch Freude. Mein Wunsch war es, Lehrer zu werden, ich las gerne und viel. Alles was mir in die Hände kam, wurde gelesen.

      Politik interessiert mich nicht sonderlich. Ich bin konservativ katholisch eingestellt wie meine Eltern und hasse die Sozis als gottlose und vaterlandslose Gesellen Von frühester Jugend an hänge ich an dem Glauben und unserer heiligen katholischen Kirche. Sie gaben mir Halt und Stütze in den vergangenen schweren Jahren.«

      Galen nickte wieder zustimmend und meinte, von den Sozialisten und Kommunisten sei nichts Gutes zu erwarten.

      »Es sind Blender und sie verblenden die Welt. Allerdings sind unsere herrschenden Verhältnisse auch nicht in Ordnung, sie treiben die Arbeiterschaft in die Hände der Sozialdemokratien.«

      Albert nickte. »Christentum und Sozialismus stehen sich gegenüber wie Feuer und Wasser. Es gibt keinen christlichen Sozialismus und kein sozialistisches Christentum. Der Sozialismus ist eine gottlose christentumsfeindliche Ideologie, weitverbreitet. Ihr Schöpfer, Karl Marx war ein großer Irrlehrer. Er irrte sich wenn er glaubte, er könnte dadurch der Welt den Frieden bringen. Seine Lehre fällt deshalb auf fruchtbaren Boden, weil er die Volksregierung verkündet im Gegensatz zu den Fürsten. Die Fürsten betrachten sich als die Herren im Land und haben keine wirkliche Verbindung zum Volk mehr. Sie leben herrlich und in Freuden.

      Die Fürsten leben in unvorstellbarem Luxus und das arme Volk hungert. Aber Marx irrt, wenn er glaubt, er könnte mit seiner Lehre der Welt den Frieden bringen. Er schüttet das Kind mit dem Bade aus, er lehrt den gottlosen Sozialismus.«

      Galen stand auf und ging im Raum hin und her. Er wusste, dass Albert Recht hatte, die Kirche verlor die Arbeiterschaft dadurch, dass sie sich auf die Seite der Reichen stellte. Schon Bischof von Ketteler hatte davor gewarnt. Zwar veröffentlichte vor kurzem Papst Leo eine Sozialenzyklika[2], aber in den Augen Galens kam das zu spät. Ein großer Teil der Arbeiterschaft war an die SPD verloren gegangen. Obwohl er ein Angehöriger der herrschenden Adelsklasse war, sah er sehr deutlich, dass die derzeitigen politischen Verhältnisse auf Dauer nicht tragbar waren. Er dachte und fühlte traditionell konservativ, aber er sah auch die Schwachstellen dieses Konservatismus. Aber mit den erzkonservativen Kreisen in Deutschland war darüber nicht zu reden.

      Galen war nicht der Mensch, der mit einer Meinung hinter den Berg hielt. Er war direkt bis schon manchmal zur Unhöflichkeit. Bei seinen adeligen Standesgenossen hatte er sich daher schon mehrmals den Mund verbrannt. Er versuchte mit dem Kolpingverein ein Gegengewicht zu den Sozis herzustellen, damit nicht die ganze Arbeiterschaft für die Kirche verloren ging. Er wusste, dass gerade die Handwerksburschen ganz arme Kerle waren, die ein armseliges Leben führten. Er versuchte zu helfen wo er konnte und unterstützte die armen Burschen aus seiner eigenen Privatschatulle. Für Galen war Bildung der erste Stein zum gesellschaftlichen Aufstieg. So lag es ihm besonders am Herzen, den einfachen Handwerksburschen die Bildung beizubringen, die ihnen Gesellschaft verweigerte. Er organisierte Vorträge und Bildungsabende, Lesezirkel und zusätzlichen Unterricht in Lesen und Schreiben. Nicht alle Burschen nahmen das breite Angebot in Anspruch, aber Albert gehörte zu denen, die sehr eifrig die Chance wahrnahmen. Albert schwieg respektvoll und wartete, bis der Graf sich wieder gesetzt hatte. Beide nahmen einen guten Schluck Wein. Daraufhin ermunterte der Graf unseren Freund, weiterzusprechen.

      »Lehrer konnte ich nicht werden, dazu fehlte das Geld. In dieser Zeit konnten sich nur die Reichen eine bessere Bildung leisten. So wurde ich 1902 in eine Schreinerlehre gesteckt. Es war eine armselige Zeit. Zu verdienen gab es nichts, denn meine Mutter musste Lehrgeld an den Lehrherrn zahlen, das war so üblich. Ich wurde gnadenlos ausgebeutet, Hunger und Schläge waren an der Tagesordnung. Meine Lehrzeit dauerte vier Jahre, im letzten Jahr ließ ich mir die Behandlung nicht mehr gefallen und drohte dem Meister Schläge an, sollte er noch einmal versuchen, sich an mir zu vergreifen. Als er das nicht begriff, schlug ich ihm auf die Ohren und drohte, zur Polizei zu gehen. Jetzt bekam er es mit der Angst zu tun und von da an ließ er mich bis zum Ende der Lehrzeit in Ruhe.

      Die Armut und das karge Leben prägten mich. Ich wurde sehr genügsam, bin mit allem zufrieden, will keinen Aufwand und Luxus.«

      Hier nickte Galen zustimmend und bat Albert, fortzufahren.

      »Im letzten Lehrjahr, so um 1905 herum, trat ich dem Kolpinggesellenverein bei. Mein Ziel war es, am Ende der Lehrzeit auf Wanderschaft zu gehen. Ich wollte auf keinen Fall in Schlesien bleiben, hier gab es nichts zu verdienen. Ich wollte im Deutschen Reich herumwandern, viel sehen und viel lernen. Wenn auch der Meister ein Lump gewesen war, als Schreiner war er erstklassig und ich lernte viel bei ihm.

      Durch meine Mitgliedschaft im Kolping würde ich in jeder größeren Stadt eine Unterkunft finden. Zudem förderte der Kolping die Bildung der Handwerksgesellen. Er sollte mir die Familie ersetzen, nicht umsonst nannte man ihn Kolpingfamilie.

      Vom Militärdienst wurde ich befreit, da schon fast alle meine Geschwister gestorben waren. Ich hatte nichts dagegen, denn der Komiß ist nicht meine Sache. Als meine Lehrzeit 1906 um war, packte ich meine Habseligkeiten, verabschiedete ich mich von meiner Mutter und ging auf Wanderschaft.

      So wanderte ich durch unser schönes Vaterland, sah viele Städte des Deutschen Reiches. Ich wohnte stets im Kolpingheim und verrichtete alle Schreiner- und Zimmermannarbeiten, die mir angeboten wurden. Ich lernte dabei sehr viel.«

      Hier nickte Galen wieder zustimmend, er hatte gerade eine Kostprobe von Alberts guter Schreinerarbeit erhalten.

      »Nun Albert und was hat dir das alles bisher gebracht?«

      Dieser schmunzelte und meinte. »Zu meiner Familie habe ich so gut wie keinen Kontakt mehr. Mutter schrieb ich einige Male und in ganz großen Abständen meiner Schwester Emilie. Ich stehe alleine auf der Welt und nur auf mich selbst gestellt. In den Jahren der Wanderschaft lernte ich, auf mich selbst gestellt durchzukommen und sich durchzuschlagen. Ich wurde hart und unbeugsam, man sagt den Schlesiern nicht umsonst dicke Schädel nach. Meiner wurde besonders dick. Ich lasse mir nichts mehr gefallen und wenn ich angegriffen werde, kann ich auch wirkungsvoll zurückschlagen. Ich bin ein armer Schreiner, aber keiner sollte versuchen, mit mir den Dummen zu machen. Da ist er bei mir an der falschen Adresse. Wenn ich eine Meinung fasse, bleibe ich dabei. Mein Schädel ist so hart, dass man neben mir eine Bombe entzünden könnte, ohne dass ich weiche.«

      Galen nickte verständnisvoll. Er entstammte dem Münsterland und dort sind die Schädel bekanntlich auch recht hart und unbeugsam. Er wusste, dass dieser Albert