Günther Drutschmann

Schuld ohne Reue


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      In dem kleinen Michgeschäft Elis in der Johannisstraße kaufte sie etwas Käse, danach ging es weiter zum Metzger Werland in der Nagelstraße. Dieser machte die besten Fleisch- und Wurstwaren der ganzen Stadt. In dem kleiner Laden war immer sehr viel Betrieb, viele Menschen kauften dort ob der guten Ware ein. Anna erstand etwas Wurst für das Abendbrot.

      Sie musste genau rechnen. Michaels kleines Postgehalt reichte gerade so, ihr Zuverdienst sicherte der Familie ein ausreichendes Auskommen, bei dem auch noch etwas übrig blieb fürs Sparen und einige kleine Extras. Michael aß seit einiger Zeit in der Postkantine zu Mittag, so dass sie nicht mehr zweimal am Tage warm kochen musste. Das Abendessen gestern stellte eine Ausnahme dar. Anna war sehr erfinderisch im Ersinnen einfacher, aber doch sehr schmackhafter Gerichte. Sie war eine exzellente Köchin, das hatte sie von ihrer Mutter gelernt, die darin große Meisterschaft besaß. Wer zum Sparen gezwungen ist, muss erfinderisch sein. Fleisch kam nur am Sonntag auf den Tisch, unter der Woche gab es fleischlose Gerichte, Eintöpfe, Kartoffelschnittchen mit einer schönen Bohnensuppe, Himmel und Erde mit Apfelmus, Waffeln mit einer Suppe, Mehlklösse mit Apfelmuss, Fisch mit Kartoffeln und Gemüse. Samstags den obligatorischen Eintopf.

      Das Gemüse bezogen sie saisonweise aus Michaels kleinem Garten, den er seit einiger Zeit gepachtet hatte. Es war sein Hobby und er liebte es sehr. Anna ließ ihm sein Spielzeug, besser als in Kneipen herumhängen. Der Garten hatte den Nachteil, dass man entweder überhaupt nichts oder alles auf einmal bekam, je nach Jahreszeit.

      Den Schluss ihrer Einkaufsrunde bildete stets der kleine Lebensmittelladen Efferts, der am Anfang der Metzelstraße in einem Eckhaus und nur einige Minuten von Annas Wohnung entfernt lag. Mit Frau Efferts schwatzte sie noch dies und das, kaufte das Notwendigsten für den Tag und kehrte gegen elf Uhr in die Wohnung zurück. Anna-Maria hatte schon mit den Vorbereitungen für das Mittagessen begonnen. Anna trug die Vorräte in die Speisekammer und nahm ihrer Schwester den Kochlöffel ab. Diese kümmerte sich jetzt um den kleinen Franz, wickelte ihn neu und schäkerte etwas mit ihm herum.

      Anna-Maria war ein hübsches Mädchen, Anfang zwanzig mit einem lieben Gesicht und guter Figur. Eine gute Köchin war sie nicht, aber sehr kinderlieb und kam mit Annas Sprösslingen bestens aus. Sie war Anna eine große Hilfe, sie entlastete sie im Haushalt, so dass sie genügend Zeit für die Schneiderei besaß.

      Gegen zwölf Uhr kehrten die Kinder aus dem Kindergarten nach Hause zurück. Das Essen wurde aufgetragen. Vor dem Essen jedoch betete Anna mit ihnen, sie sprachen zusammen ein Tischgebet. Anna war sehr fromm, in ihrer Jugend gehörte sie mit ihrer älteren Schwester der Marianischen Kongregation an. Früh lehrte sie die Kinder das Beten. Morgens und abends betete sie mit ihnen. Sie ging regelmäßig mit Michael zur Sonntagsmesse, mitunter in der Woche alleine in die Abendmesse oder eine Andacht. Im Mai gestaltete sie im Wohnzimmer ein schönes Altärchen, auf das sie auch eine Statue des heiligen Antonius von Padua stellte, den sie sehr verehrte. Diese Statue war schon sehr lange in ihrer Familie und galt als sehr wertvoll. Wenn sie ein frisches Brot anschnitt, machte die zuerst ein Kreuzzeichen mit dem Messer. Es sollte ein Zeichen sein und Gott bitten, immer für das tägliche Brot zu sorgen.

      »Schwatzt nicht herum«, ermahnte sie die Kinder, »bei Tisch wird nicht so viel geredet. Minchen sitzt gerade, Wolfi kaspere nicht herum.«

      Die Kinder gehorchten ihr aufs Wort. Sie erzog sie im Geiste des Gehorsams gegen die Eltern, aber nicht mit rohen Mitteln wie Michael. »Ich komme aus einer zivilisierten Familie und um ein Kind zur Disziplin zu erziehen, muss ich es nicht durchprügeln.«

      Nach dem Essen brachte Anna-Maria die Kinder ins Kinderzimmer zu einem kleinen Mittagsschläfchen. Der kleine Franz war bereits versorgt. Die Kleinen ließen sich gerne von ihr hinlegen und hörten begeistert zu, wenn sie ihnen ein kleines Lied vorsang. Anna-Maria besaß eine schöne Stimme. Schnell schliefen die Kleinen ein.

      Zwischenzeitlich hatte Anna in der Küche mit dem Abwasch begonnen. Heißes Wasser wurde auf dem großen Kohlenherd in einem großen Topf warmgemacht. Die Wohnung besaß kein Badezimmer, Samstag holte Anna eine große Wanne hervor und badete alle Kinder in der Küche. Danach wusch sich Michael und am Ende sie selbst. Die Wohnung besaß zwar kein Badezimmer, aber eine Toilette. Das war schon ein großer Fortschritt. In vielen Häusern gab es das noch nicht, sondern Gemeinschaftstoiletten für mehrere Mietparteien entweder auf dem Hof oder in einem Zwischengeschoss.

      Anna-Maria kehrte aus dem Kinderzimmer zurück und half nun Anna. Sie kehrte die Küche, während Anna das Geschirr wegräumte. Zusammen tranken sie danach eine Tasse Kaffee.

      »Ich muss später noch zu Silbersteins runter«, meinte Anna, »kannst du noch solange bleiben?«

      »Klar«, erwiderte Anna-Maria, »Mutter braucht mich erst später.«

      Nach einer Stunde begann es sich im Kinderzimmer zu regen. Wolfi der kleine Schreihals protestierte lautstark wegen irgendetwas. Als Anna ins Zimmer eintrat, warf er sich gerade schreiend zu Boden. Anna hob ihn auf und gab ihm einen Klapps zwischen die Ohren.

      »Hör auf du Schreihals, es wird Zeit für den Kindergarten.«

      Sie machte die Kinder fertig und kurze Zeit später zogen sie wieder los. Anna-Maria begann, einige Kindersachen zu flicken. Sie war wie ihre Schwester eine gute Näherin.

      Anna packte einige Kleidungsstücke und schickte sich an, nach unten zu gehen. Ein klein wenig beklommen war ihr schon zumute wegen des Lärms von gestern Abend. Über ihnen wohnten ein älteres Ehepaar, die beide schwerhörig waren, aber Silbersteins sicher nicht. Gerade ihnen gegenüber wollte sie sich keine Blöße geben. Anna war nicht der Mensch, der vor unangenehmen Dingen zurückschreckte. Sie gab sich einen Ruck, nickte ihrer Schwester zu und verschwand.

      Anna klingelte an der Wohnungstüre und wurde von dem Hausmädchen in den Salon geführt. Rachel saß dort und schäkerte mit ihrem jüngsten Kind herum. Im Gegensatz zu Anna war sie eine zärtliche Mutter. Als Anna eintrat, gab sie dem kleinen Jungen einen Kuss und übergab ihn der Obhut des Mädchens, das mit ihm den Raum verließ. Dann gab sie Anna die Hand.

      Diese legte die Sachen auf einen Stuhl und meinte. »Ich hoffe, wir haben Sie gestern Abend nicht allzu sehr gestört. Es ging hoch her bei uns, da Michael unsere Mine nach seinen Maßstäben disziplinieren wollte. Sie wissen, dass ich kein Freund davon bin.«

      »Ach Frau Trotz«, lächelte Rachel, »wir haben kaum etwas gehört.«

      Diese reichen Leute können sich eine gewisse Überheblichkeit nicht ablegen, dachte Anna, in dem Punkt hat Michael Recht. Aber diese Silberstein ist ansonsten eine passable Person.

      Rachel bot Anna einen Stuhl an und beide begutachteten die Sachen, die Anna mitgebracht hatte. Der Salon war großbürgerlich eingerichtet, wie es sich für ein reiches Haus gehörte.

      Die reiche Nachbarin war mit Annas Arbeit sehr zufrieden und gab ihr den ausgemachten Lohn und weitere Kleidungsstücke, die bearbeitet werden sollten. Anna wollte sich nicht länger aufhalten und hatte auch keine Lust zu weiteren Gesprächen. Mit einigen verbindlichen Worten verabschiedete sie sich.

      Inzwischen waren die Kinder aus dem Kindergarten zurück und brachten noch einen weiteren Jungen mit. Es war Hahns Bub, der Sohn des Verlegers der Trierischen Zeitung, ein netter Junge, der mit Peter sehr befreundet war. Er wohnte nur wenige Schritte von ihnen entfernt. Peter erbat sich etwas Straßenurlaub: »Bis sechs Uhr, hörst du, nicht länger«, meinte Anna und der Junge nickte. Beide verschwanden mit einem Ball auf die Straße, um am Justizplatz damit zu spielen. Anna sah diese Freundschaft gerne, natürlich stand der Verleger der Zeitung gesellschaftlich höher als sie, aber Bubs Vater hatte nichts gegen die Freundschaft seines Sohnes mit Peter, ja er sah das sogar sehr gerne.

      Zwischenzeitlich versorgte Anna-Maria die anderen Kleinen und machte sich zum Weggehen fertig. Anna bedankte sich bei ihr und sie vereinbarten das Nötigste für den nächsten Tag. Dann entschwand die Schwester.

      Auf der Treppe begegnete sie Michael, der müde vom Dienst heimkehrte. Sie grüßten sich freundlich wechselten einige Worte miteinander und jeder ging seines Weges.

      Michael betrat seine Wohnung, die Kinder hüpften