der ebenfalls in Uniform, dem Casino entgegenstrebte. Viele Anwälte waren Offiziere der Reserve, es gehört zum guten Ton und war eigentlich ein gesellschaftliches Muss. Der Leutnant der Reserve stellte den Schlüssel zum Eintritt in die bürgerliche Gesellschaft dar.
»Hat es Ihnen gefallen Silberstein«, schmunzelte der Kollege, »imposante Erscheinung unser Kaiser.«
»Stimmt«, erwiderte dieser trocken.
Sie erreichten das Gebäude des Vereins und betraten den Gesellschaftsraum Hier standen schon viele Kollegen in Gruppen zusammen, Gläser und Rauchwaren in der Hand haltend, miteinander plaudernd. Silberstein begrüßte einige Bekannte und stellte sich zu einer Gruppe von Juristen, mit denen er näher Kontakt hatte. Er war in diesen Kreisen sehr beliebt. Dr. Jaakov Silberstein galt als brillanter Kopf und exzellenter Anwalt, geachtet und bewundert. Seine bescheidene und großzügige Art steigerte zudem seine Beliebtheit. Man traf sich zwanglos, hatte gewisse gesellschaftliche Kontakte, trank gelegentlich ein Glas Bier miteinander. Rechtsanwalt Jüttner, ein fast gleichartiger Kollege, natürlich auch in Uniform, dessen Vater Justizrat und in dessen angesehener Kanzlei dieser arbeitete, meinte zu Silberstein, mit dem er etwas sympathisierte.
»Beim Bankett soll es einen kleinen on dite gegeben haben. Der Kaiser hatte die Laune, sich einen der Postsänger vorstellen zu lassen. Ich glaube, es war Ihr Nachbar. «
»Sie meinen Nachbar Trotz?«, fragte Silberstein verwundert, »dem Kaiser vorgestellt. Wie das?«
»Er sollt ihm zweimal die Hand gegeben haben, eine Laune des Kaisers«, meinte Jüttner.
»Mein Nachbar ist ein großer Verehrer des Kaisers«, lachte Silberstein«, sicher eine Sternstunde für ihn, dem kleinen Postboten.«
»Da sieht man, wie populär unser Souverän ist«, mischte sich ein Dritter ein, »ein schönes Beispiel für seine Popularität und Volkstümlichkeit und das die Monarchie auf breiten Füßen steht. Was reden die Sozis immer von Klassengesellschaft, hier zeigt sich doch genau das Gegenteil. Der Kaiser kennt keine Klassen.«
»Na ja«, meinte ein anderer leise,« der Kaiser hat auch noch andere Ambitionen.«
»Sind Sie wahnsinnig«, raunten die anderen, »in aller Öffentlichkeit so etwas zu sagen. Selbst Denken darf man so etwas nicht einmal.«
»Na ja, ein Arbeiter ist mein Nachbar gerade nicht. Er ist ein etwas spießbürgerlicher Mann, der Teil dieses Systems ist, wenn auch nur ein ganz kleines. Und der ehrgeizig ist und aufsteigen will, soweit das seine Klasse zulässt. Ich freue mich für ihn ob seiner Auszeichnung. Anderenorts war der Kaiser nicht so leutselig. Wenn ich an die Zaberner Affäre denke...«
»Mensch Silberstein, fangen Sie schon wieder mit dieser Geschichte an«, seufzte Jüttner. »Sie mischen Äpfel mit Birnen, das eine hat mit dem anderen nichts zu tun.«
»Schon«, entgegnete dieser, »gerade wir Juristen, auch wenn wir Offiziere sind, dürfen es nicht dulden, wenn das Recht dermaßen gebeugt wird. Und da ist es mir gleichgültig, ob im Reich oder im Elsass.«
»Die Sache ist nicht richtig gelaufen, da gebe ich Silberstein Recht«, mischte sich ein weiterer Kollege ein, »aber bei uns haben nicht die Zivilisten, nicht wir bürgerliche, sondern der Adel und das sie stellende höhere Militär das Sagen. Wer daran rüttelt, bringt die gesamte Grundordnung ins Wanken. Ich bin auch für etwas mehr Mitsprache, nicht aber für die Aufhebung aller Standesschranken. Wo kommen wir dahin?«
»Wo kommen wir dahin«, nahm Silberstein gedankenvoll die Worte auf, »eine gute Frage.«
»Wir repräsentieren und tragen diese Gesellschaft mit, sind ein Teil von ihr. Wo kämen wir hin, das in Frage zu stellen. Welche Gesellschaft wollten Sie, Silberstein«, fragte Jüttner.
»Eine etwas liberalere, natürlich nicht zu liberal, mit Ziel und Augenmaß, eine Gesellschaft wie in England. Hier kommen Ober- und Unterschicht doch recht gut miteinander aus«, sagte dieser.
»Dort hat der Adel auch das Sagen«, meinte ein weiterer Kollege, »sie machen das nur geschickter als bei uns. Aber kommt Leute, setzen wir uns, ich habe Hunger und es geht bald los. Sichern wir uns gute Plätze«
Alle lachten und strebten der Tafel zu.
Verlassen wir unsere Juristenschar und gehen zum Haus unseres Helden des Tages. Anna kehrte mit ihrer Schwester und den Kindern zeitig zurück, nach dem Mittageessen und einer kleinen Mittagsruhe ging Peter zum Spielen auf die Straße. Gegen vier Uhr kam er aufgeregt zurück, Anna wunderte sich ob der frühen Stunden.
»Mama, Mamma, Anna-Maria«, rief er ganz aufgeregt in die Küche, in der die beiden an Flickzeug saßen. »Papa hat mit dem Kaiser gesprochen und er hat ihm zweimal die Hand gegeben.«
»Was redest du Junge«, fragte Anna erstaunt und erschrocken, »Papa und der Kaiser, wie das? Woher hast du das?«
»Von Bub und der hat es von seinem Vater, einer seiner Reporter war dabei und hat alles gesehen und aufgeschrieben. Morgen kommt das in die Zeitung.«
»Ich gehe noch mal runter zum Spielen«, keuchte er und verschwand.
»Komm nicht zu spät zurück«, rief ihm die Mutter nach.
»Was soll man davon halten«, lachte Anna, »Michael und sein Kaiser, Hand in Hand. Da wird der mächtig stolz sein.«
Anna-Maria lachte ebenfalls, sie kannte unseren Michael sehr genau. Aber beide, Anna und ihre Schwester waren doch stolz auf ihn.
In der Kiste nahm das Bankett zu Ehren des Kaisers seinen Lauf. Natürlich wurde unser Michael hier mit großem Stolz gefeiert. Große Worte wurden gesprochen, viele Toasts ausgesprochen und die Geschichte immer und immer wieder erzählt. Einer der ihren war so vom Kaiser ausgezeichnet worden, das machte sie alle stolz und glücklich.
»Es entschädigt uns für die vielen Mühen, die wir hatten, um ein solches Werk zu vollbringen«, räsonierte der Dirigent stolz und ein klein wenig angesäuselt vom guten Wein.
Verschiedene Offizielle der Post kamen hinzu und drückten Michael stolz und bewegt die Hand. Es kam ihm so vor, als ob er an diesem Tage die gesamte Post gerettet habe. Da gaben ihm Leute die Hand, die ihn, den kleinen Postboten, bisher kaum beachteten. So stolz er auch war, die Sache begann ihm auf die Nerven zu gehen. Der Kaiser hat mir die Hand gegeben und darüber bin ich stolz, den Tag werde ich nie vergessen, aber dafür braucht man jetzt nicht die Macht des Schicksals zu spielen. Es ist eine Sache zwischen dem Kaiser und mir, den ich sehr verehre. Der Kaiser sah das und würdigte es, nicht mehr und nicht weniger.
Seine Freunde waren aber trotzdem stolz auf ihren Michael. Es war die gleiche Runde wie an dem Probenabend vor einigen Wochen.
»Siehst du Michael«, sagte sein Schwiegervater und trank ihm zu, »jetzt hat dein so verehrter Kaiser dir die Hand gegeben. Eine große Ehre, für dich und für uns alle.«
»Danke Vater, danke euch allen«, erwiderte Michael bescheiden, »aber lassen wir die Kirche im Dorf. Ich bin stolz, dass mir der Kaiser die Hand gab, aber wir wollen nicht übertreiben. Siehst du Karl, wir sind ein Teil dieses Getriebes, ein kleines Rädchen und das honorierte unser Kaiser.«
»Klar Michael«, erwiderte Karl, »ich bin ja auch stolz auf dich, wenn ich auch nicht so begeistert vom Kaiser bin wie du.«
»Wir wollen an solch einem heiteren Tag keine Wolken aufziehen lassen«, lächelte Friedrich, »also keine Reden über Politik, das passt heute hier nicht hin.«
Die anderen nickten und überließen sich der Freude dieses schönen Tages. Sie aßen und tranken gut, mäßig aber nicht übermäßig und sangen einige ihrer schönsten Lieder dazu. Die Gäste im Restaurant hörten und schauten zustimmend zu. Ein Stück gemütliches Alt-Trier. Der Kaiser bescherte allen diesen schönen Tag.
Gegen sechs Uhr lief Peter in der Wohnung ein. Anna-Maria verabschiedete sich und ging ihres Weges. Gleich darauf erschien Michael, leicht angesäuselt und guten Mutes. Er war in bester Stimmung und tätschelte den Kindern den Kopf. Anna sah ihn glücklich