Günther Drutschmann

Schuld ohne Reue


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war er einige Zeit hier gewesen und die Stadt hatte ihm sehr gut gefallen. Dieses alte katholische Trier mit seiner großen Geschichte, geprägt vom katholischen Glauben, wichtigem Stützpunkt in den Jahrhunderten gegen den Unglauben. Dieses alte heilige Trier mit seinen Wurzeln bis in die Römerzeit machte auf ihn den größten Eindruck. Dazu die vielen Kirchen und der schöne Dom gaben der Stadt eine einmalige Atmosphäre. Ein kleiner Wehmutstropfen blieb allerdings für unseren frommen Schreiner. In dieser heiligen Stadt war in seinen Augen der Antichrist geboren, denn dafür hielt er Karl Marx. Der Kommunismus ist der Untergang der Menschheit, dachte Albert, Christentum und Sozialismus stehen sich wie Feuer und Wasser gegenüber. Warum muss solch ein Mensch ausgerechnet in einer so heiligen Stadt geboren sein. Man sieht halt, der Teufel ist überall. Und Gottes Wege sind unergründlich.

      Im März 1913 packte Albert seine Habseligkeiten und zog seinem Ziel entgegen. Es wurde von Berlin her eine lange Reise, die er mit der Bahn vierter Klasse, der sogenannten Holzklasse, durchführte. Trier als äußerster Zipfel der preußischen Rheinprovinzen wurde von Berlin immer stiefmütterlich behandelt. Man traute diesen katholischen Rheinländern nicht und schikanierte sie stets ein bisschen. Die Einstellung der Bevölkerung zur preußischen Obrigkeit blieb daher gespannt, ungeachtet der Begeisterung einzelner wie Michel für den Kaiser. Aber auch unser Postler war in erster Linie katholisch und vergaß das nicht, so sehr er die Obrigkeit liebte. Albert hingegen fühlte noch viel mehr katholisch, er war es durch und durch und gegen seine konservative katholische Grundeinstellung waren konservative Kleriker jakobinische Tumultuanten.

      An einem freundlichen Märztage also erreichte er Trier. Er kannte sich hier ja recht gut aus und ging den kurzen Weg bis zum Haus Fetzenreich, dem Quartier des Kolpingvereins.

      Es lag in der Sichelstraße in Sichtweite des Doms, was Albert schon bei seinem ersten Aufenthalt so gut gefallen hatte.

      Dieses Anwesen, im Kern aus dem Spätmittelalter stammend, wurde im Jahre 1824 von dem Architekten Franz Müller barockklassizistisch umgebaut. Die Fassade hatte den schon geläufigen Aufbau mit zwei Geschossen und fünf Achsen, mittlerem betontem Eingang sowie einem Mansarddach und rustizierten Ecklisenen. Die Proportionen waren leicht gestaucht, die Fenster hochrechteckig. Die Tür- und Fenstergewände wiesen Faszienbildung auf, ein Hinweis auf die unbarocken Tendenzen. Im Ganzen war der Bau ein Nachzügler, da zu seiner Erbauungszeit im dritten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts nur wenige hundert Meter weiter bereits in Formen des preußischen Klassizismus sowie des beginnenden Historismus gebaut wurde. Der Gesellenverein kaufte dieses schöne Anwesen in der späten Hälfte des 19. Jahrhunderts und es diente als Anlaufstelle für die Handwerksburschen, gab ihnen Quartier, Schutz und Zuhause.

      Albert wurde vom Hausvater Marzin empfangen, dem er geschrieben hatte. Man schätzte ihn hier, da er fromm, sehr bescheiden und hilfsbereit war. Marzin mochte unseren Albert besonders, es war fast schon eine Freundschaft.

      »Nun Albert, wieder im Lande«, begrüßte ihn der Hausvater jovial, »siehst gut aus mein Freund.«

      »Ich bin auch sehr froh, wieder hier zu sein«, erwiderte er und gab ihm die Hand.

      »Albert, ein Einzelzimmer habe ich im Moment nicht, aber du bekommst sofort eines, wenn wieder was frei wird. Du musst dich mit einem Gemeinschaftsquartier begnügen.«

      »Nicht schlimm«, entgegnete Albert, »Hauptsache ich habe ein Dach über dem Kopf. Ich brauche nicht viel zum Leben.«

      Albert nahm seine geringe Habe und folgte dem Hausvater, der ihn in die Stube führte, in der drei Doppelbetten, sechs Spinde, ein Tisch und sechs Stühle standen. Er zeigte ihm sein Bett und seinen Spind. Die anderen Zimmergenossen waren auf Arbeit.

      »Lass dir die Bettwäsche aus der Kleiderkammer geben, du kennst dich ja aus, kennst die Regeln als alter Kolpianer. Was du zu zahlen hast, weißt du auch, ist immer am ersten fällig. Hast du schon Arbeit?«

      »Noch nicht, entgegnete Albert, »wenn ich hier alles erledigt habe, gehe ich zu meinem alten Meister, bei dem ich das letzte Mal gearbeitet habe. Vielleicht hat er Arbeit für mich.«

      »Sicher«, bestätigte der Hausvater, »erledige den Kram und komm dann zum Essen.

      »Danke Herr Marzin«, sagte Albert bescheiden.

      Albert räumte seine Siebensachen ein, es war nicht viel, ein wenig Kleidung, einiges Handwerkszeug, das er in tadellosem Zustand hielt und anderen Krimskrams. Danach wusch er sich die Hände und ging zum Essen.

      Hausvater Marzin stellte ihn den Anwesenden kurz vor und zeigte ihm seinen Platz. Es herrschte eine strenge Tischordnung, jeder wusste wo er saß. Die anderen nickten ihm zu und das Essen nahm nach einem Gebet seinen gewohnten Lauf. Es war sehr einfache Kost, aber ausreichend und auch eigenmaßen schmackhaft zubereitet. Albert stellte hierin keine großen Ansprüche.

      Nach dem Essen meldete er sich freiwillig zum Spüldienst, einige Küchenangestellte kannten ihn noch und begrüßten ihn freundlich. Albert war ihnen deshalb so gut in Erinnerung, weil er immer bescheiden solche Dienste übernommen hatte. Anschließend nahm er seinen Mantel und zog los. Sein Ziel war die Schreinerei Giesecke in der Deutschherrenstraße.

      Für den Meister hatte er bei seinem ersten Aufenthalt viel gearbeitet. So wurde er auch sehr freundlich begrüßt, als er die Schreinerei betrat.

      »Unser Albert ist wieder da«, rief freudig der Senior und gab ihm herzhaft die Hand.« Du kommst gerade recht, ich habe viel Arbeit und brauche jede Hand. Bleibst du länger in Trier?«

      »Ja«, erwiderte Albert, »ich will erst einmal hier in Trier bleiben. Wohne wieder beim Kolping. Wann soll ich anfangen?«

      »Gleich wenn du willst«, lachte der Meister und Albert schickte sich an, seinen Mantel auszuziehen.

      »Das war ein Scherz Albert, natürlich nicht heute«, lachte der Senior, »morgen früh um sieben Uhr, wenn es dir recht ist. Du kannst wieder mit Zimmermann Helbart zusammen arbeiten, ihr habt euch doch schon früher gut verstanden. Nur Albert, fest anstellten kann ich dich nicht, dafür reicht es auf Dauer nicht bei mir.«

      »Ist nicht schlimm Meister, ich bin froh, jetzt Arbeit zu haben. Ich finde immer etwas, Sie wissen es.« Der Meister nickte. Albert gab ihm die Hand und verließ die Werkstatt. Für diesen Meister arbeitete er gerne, er war in Ordnung, legte viel Wert auf gute Arbeit, zahlte einen guten Lohn und behandelte die Gesellen ordentlich. Albert hatte sich seit seiner Lehrzeit geschworen von keinem Meister mehr schikanieren zu lassen und suchte deshalb mit großer Sorgfalt seine Auftraggeber aus.

      Was tun mit dem Rest des Tages, dachte er, als er den Rückweg antrat. Da er Zeit hatte, ging er nicht den direkten Weg zurück sondern machte einen kleinen Umweg über den Kirchenplatz. Er sah die neue Johanneskirche, die bei seinem ersten Aufenthalt noch im Bau war. Was für eine schöne Kirche und ging hinein. Sie war recht groß, im neuromanischen Stil erbaut, die Decke über dem Hauptaltar mit großen Fresken der Evangelisten ausgemalt. Besonders gefielen ihm der schöne Hauptaltar, und die beiden rechts und links gelegenen kleinen Seitenaltäre. Eine ebenfalls aus schönem Marmor angefertigte Kommunionbank schloss den Altarraum ab.

      Albert kniete rechts hinten in eine Bank und begann zu beten. Dann setzte er sich und betrachtete noch einmal in Ruhe die Umgebung. Es fiel ihm auf, dass an den Bänken und Türen noch Schreinerarbeiten durchzuführen wären, es sah noch etwas roh aus.

      In diesem Augenblick betrat von der links gelegenen Sakristei ein Mann den Altarraum und begann zu werkeln. Sicher der Küster oder Organist, dachte Albert. Der Mann war etwas kleiner als Albert, hatte ein sympathisches offenes Gesicht und war ungefähr in seinem Alter. Sein linkes Bein war etwas verkrümmt und er zog es ein wenig nach.

      Albert stand auf und ging an die Kommunionbank. Der Mann drehte sich um und sah unseren Albert in seiner Zimmermannskluft. Sicher ein Geselle, der um ein kleines Almosen bittet, auf Wanderschaft, sind arme Kerle.

      Albert verbeugte sich und meinte. »Es ist eine schöne Kirche, aber hier ist schreinermäßig noch einiges zu tun. Die Bänke und Türen sind noch nicht sauber verlegt. Müsste noch vieles nachgearbeitet werden. Ich könnte das machen. Mein Name ist Albert Dieckmann,