herrschen und sich nicht mit dem Schwächeren zu verschmelzen, um die eigene Größe zu opfern. Nur der geborene Schwächling kann dies als grausam empfinden, dafür aber ist er auch nur ein schwacher und beschränkter Mensch; denn würde dieses Gesetz nicht herrschen, wäre ja jede vorstellbare Höherentwicklung aller organischen Lebewesen undenkbar. Die Folge dieses in der Natur allgemein gültigen Triebes zur Rassenreinheit ist nicht nur die scharfe Abgrenzung der einzelnen Rassen nach außen, sondern auch ihre gleichmäßige Wesensart in sich selbst. Der Fuchs ist immer ein Fuchs, die Gans eine Gans …
Adolf Hitler: Mein Kampf. 656. – 660. Auflage. München 1941, S. 312, 11. Kapitel „Volk und Rasse“.
(sämtliche Ausgaben bis 1941: 7.800.000 Exemplare)
Am 15. September 1935 hatte der Reichstag auf dem Nürnberger Parteitag das Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre beschlossen, mit dem eine Geschlechtsgemeinschaft zwischen Juden und Deutschen verboten wurde. Da die Versuche, die jüdische Rasse naturwissenschaftlich zu definieren oder äußerlich zu identifizieren, gescheitert waren, griffen die NS-Ideologie und die Gesetzgebung auf die Religionszugehörigkeit des Betroffenen oder seiner Ahnen als entscheidenden Anknüpfungspunkt zur Bestimmung der Rasse zurück. Ein Konfessionswechsel änderte an der Zugehörigkeit zu diesen Gruppen nichts.
Während das einen Monat zuvor beschlossene Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre der Ideologie der Rassenhygiene folgte, regelte das am 18. Oktober 1935 beschlossene Gesetz zum Schutze der Erbgesundheit des Deutschen Volkes nach eugenischen Maßstäben die somatische und psychische Qualität von deutschen Staatsangehörigen, die für eine gesunde Nachkommenschaft verantwortlich gemacht werden.
In § 1 (1) heißt es: Eine Ehe darf nicht geschlossen werden: a) wenn einer der Verlobten an einer mit Ansteckungsgefahr verbundenen Krankheit leidet, die eine erhebliche Schädigung der Gesundheit des anderen Teiles oder der Nachkommenschaft befürchten lässt; b) wenn einer der Verlobten entmündigt ist oder unter vorläufiger Vormundschaft steht; c) wenn einer der Verlobten, ohne entmündigt zu sein, an einer geistigen Störung leidet, die die Ehe für die Volksgemeinschaft unerwünscht erscheinen lässt; d) wenn einer der Verlobten an einer Erbkrankheit im Sinne des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses leidet. (2) Die Bestimmung des Abs. 1 Buchst. d. steht der Eheschließung nicht entgegen, wenn der andere Verlobte unfruchtbar ist. § 2 Vor der Eheschließung haben die Verlobten durch ein Zeugnis des Gesundheitsamtes (Ehetauglichkeitszeugnis) nachzuweisen, dass ein Ehehindernis nach § 1 nicht vorliegt.
Die beiden in Nürnberg abgefassten Gesetze werden deshalb auch Nürnberger Gesetze genannt. Was Vertreter der Eugenik und Rassenhygiene seit Jahrzehnten zuvor propagierten, setzten nun die Machthaber des Dritten Reiches mit Unterstützung der Ärzteschaft und Justiz in die Praxis um.
In einem Ahnenpass hatten nun deutsche Bürgerinnen und Bürger einen Nachweis über ihre arische Abstammung zu führen. Im Abschnitt Der Rassengrundsatz heißt es, dass es oberste Pflicht eines Volkes sei, seine Rasse, sein Blut von fremden Einflüssen reinzuhalten und die im Volkskörper eingedrungenen fremden Blutseinschläge wieder auszumerzen. Diese im nationalsozialistischen Denken verwurzelte Auffassung gründet sich auf die (pseudo-)wissenschaftliche Erkenntnis der Erblehre und Rassenforschung. Als fremd galt hier vor allem das Blut der auch im europäischen Siedlungsraum lebenden Juden und Zigeuner, das der asiatischen und afrikanischen Rassen und der Ureinwohner Australiens und Amerikas (Indianer). Obwohl eine Zufallsverbindung von Partnern unterschiedlicher Herkunft genetisch und biologisch sinnvoller erscheint, sollte nun nur noch reinrassig geheiratet werden.
Der Erlass des deutschen Reichsinnenministers vom 6. Februar 1936 forderte, eine erbbiologische Bestandsaufnahme in den Heil- und Pflegeanstalten durchzuführen.
Antisemitismus im protestantischen Siegerland
Da ist nicht Jude noch Grieche, da ist nicht Sklave noch Freier, da ist nicht Mann und Frau; denn ihr seid einerin Christo Jesu.
Apostel Paulus: Brief an die Galater, 3,28.
(Das heißt, mit der Taufe gibt es keine Hierarchie mehr, auch nicht zwischen Mann und Frau.)
Für so manches, was evangelikale Christen gesellschaftlich vertraten und vertreten, konnten sie nicht allein ein Erstgeburtsrecht in Anspruch nehmen, sondern es war eine naive Rezeption dessen, was der Zeitgeist vorgab, so zum Beispiel der verdeckte oder offen ausgesprochene Antisemitismus. Obwohl Juden durch die deutschen Verfassungen und Gesetzgebungen, insbesondere die Verfassung des Preußischen Staates vom 31. Januar 1850, die völlige Gleichstellung mit den übrigen Staatsbürgern erhielten, war der latente Antisemitismus nicht auszurotten. Vor allem, wenn er von der Kanzel gepredigt wurde, verfehlte er seine Wirkung nicht. Wenn Christen ihren Vertrauensbonus dazu missbrauchen, geschickt verpackte rassistische Ideen zu verbreiten, ist das besonders infam. Vor allem der Dom- und Hofprediger Adolf Stoecker (1835 – 1909) in Berlin schreckte vor antisemitischen Agitationen nicht zurück. 1878 gründete er die Christlich-Soziale Arbeiterpartei, die 1881 in Christlich-Soziale Partei umfirmiert wurde, und 1880 die Berliner Bewegung als Zusammenschluss antisemitischer Gruppierungen. Da sein Versuch, die Arbeiterschaft für die Christlich-Sozialen zu gewinnen, gescheitert war, wandte er sich nun erfolgreicher mit antisemitischer Propaganda an den kleinbürgerlichen Mittelstand. Auch bei Studenten fand er Zuspruch. Zu den verschiedenen antisemitischen Strömungen gehörte unter anderem die Kritik an der völligen staatsbürgerlichen Gleichstellung der Juden. Für Stoecker war der Antisemitismus nicht nur ein Rand-, sondern ein Zentralthema seines gesamten Denkens und öffentlichen Redens. Besondere Erfolge feierte Stoecker in seinem Wahlkreis, den ausgedehnten Waldgebieten an Lahn, Eder und Sieg, also nicht zuletzt im Siegerland. Der Chronist U. F. Opfermann kommentiert: Dieser „Bayerische Wald für protestantische Politiker, und seine mental in einer traulichen Vormoderne verharrenden Bewohner müssen ihm als ideal für seine Zwecke erschienen sein“.20
Stoecker kandidierte fortan immer in diesen Gebieten und das hinterließ Spuren. Ein Parteimitglied der 1878 von Stoecker gegründeten antisemitischen Christlich-Sozialen Arbeiterpartei war in Siegen der reformierte Pfarrer Julius Winterhager, der als Ortsschulinspektor ausgerechnet für die Schule der jüdischen Gemeinde zuständig war. „1934 hielt ein Pfarrer und Reichsredner der NSDAP in Eiserfeld, Schwerpunkt des protestantischen Fundalismus, eine scharfe antisemitische Rede. Er lobte Luther und Adolf Stoecker als antisemitische Vorkämpfer und beschimpfte ‚ernste Christen‘, die ‚in Eiserfeld jüdische Geschäfte christlichen vorziehen‘ würden.“21
Dass ein prominenter Prediger und Mitglied des Generalsynodalvorstandes im kirchlichen Raum wie bei Amtsbrüdern Zuspruch und Nachahmer fand, muss nicht weiter verwundern, erst recht nicht, wenn er seine Botschaften zusätzlich durch die Neue evangelische Kirchenzeitung verbreiten konnte, deren Herausgeber er war. Auch seine Parteigenossen bewunderten an ihm, die Judenfrage volkstümlich gemacht zu haben. Als unterstützende Autorität konnten die Christlich-Sozialen Martin Luther zitieren, so etwa dessen Forderung nach Vertreibung aller Juden und Beschlagnahme ihres Vermögens.22 Damit lieferten die Meinungsbildner eine Vorlage für das, was sich nach 1933 ereignen sollte. So sah es 1935 auch der ehemalige Stadtverordnete Otto Beckmann in einer posthumen Laudatio auf Stoecker und damit die von ihm geführte politische Bewegung als Vorläufer des Nationalsozialismus.23
Das Siegerland war einer antisemitischen Bewegung sehr aufgeschlossen, da dort die Chrislich-Soziale Bewegung stark verwurzelt war. In der katholischen Minderheit des Siegerlandes hingegen, dem katholischen Sauerland wie bei der katholischen Berleburger Minderheit kamen die nationalsozialistischen Botschaften schlecht an. Noch im September 1943 verurteilten Bischöfe in einem Hirtenwort an die deutschen Katholiken, das in Kirchen verlesen wurde, die mörderische Praxis der NS-Politik. Es verurteilte grundsätzlich die Tötung menschlichen Lebens und bezog sich mit den Worten, dies betreffe auch Menschen fremder Rassen und Abstammung, auf die Massenverbrechen an Juden, Sinti und Roma, wenn es die Opfer auch nicht beim Namen nannte.24 Ganz anders im Siegerland: „Überall im Siegerland und in Wittgenstein wurde die Übergabe der Regierungsgewalt