Группа авторов

Geschichten, die das Landesmuseum schrieb


Скачать книгу

meines Studiums der Kunstgeschichte sowie danach während meiner Doktorarbeit als Flugbegleiterin über Wasser hielt.

      Ja, ich war so traurig, so enttäuscht. Las alle Zeitungsberichte, erforschte die Hintergründe und sass wie gebannt vor dem Fernsehschirm. Ich konnte kaum glauben, was da vor sich ging, und ich bin überzeugt, dass es zahllosen Mitbürgerinnen und Mitbürgern ähnlich erging. Doch auch im Ausland bei den Stammgästen der Schweizer Airline, die insbesondere durch exzellenten Service, Pünktlichkeit und Qualität glänzte, waren gleiche Reaktionen festzustellen, wie sich in den Leserbriefspalten unserer Zeitungen zeigte.

      Nun, einige Zeit später beschlossen wir, eine Nostalgie-Ausstellung der uns so am Herzen liegenden Schweizer Luftfahrt-Unternehmung zu organisieren, wohl wissend, dass wir damit die Herzen vieler Schweizerinnen und Schweizer ansprechen und wie vorhin betont, Emotionen auslösen würden – obwohl in der Zwischenzeit aus der Asche wie ein Phönix die SWISS auferstanden war.

image

       Suppenlöffel mit Inschrift Swissair.

      Also sammelten wir Material, suchten überall und wurden fündig. Von Flugzeugmodellen über Trolleys, die ich so oft gestossen hatte, bis hin zum Erste-Klasse-Geschirr, auf dem einst Kaviar kullerte, und zu Weingläsern aller Art, da gab es ein breites Sortiment in der Luxusklasse, auch elegante Champagnerkelche. Alles bereiteten wir hinter den Kulissen vor, stellten Gläser und Geschirr auf einen Trolley und machten uns dann auf zum Mittagessen und zum anschliessenden obligaten kleinen Verdauungsspaziergang.

      Welch ein Schreck durchfuhr uns bei der Rückkehr! Das Geschirr, diese wertvollen Zeitzeugen, war einfach verschwunden. Diebstahl? Polizei alarmieren? Zunächst die Museumsleitung orientieren. Mir und meiner Kollegin war alles Blut aus dem Kopf gewichen. Bleich wie Leintücher waren wir. Diese wertvollen nostalgischen Stücke in Luft aufgelöst, die Ausstellung ihrer so wichtigen Zeitzeugen beraubt! Flugzeugmodelle und technische Informationen waren weniger gut geeignet, das Publikum emotional zu berühren, als die Sammlung der edlen Essgeschirre, auf die durchschnittliche Passagiere damals kaum einen Blick werfen konnten. Ich schon, war doch mein Einsatzort damals oft die Erste Klasse. Manchen Bundesrat habe ich dort bedient und ihm zugelächelt. Aber jetzt – was war zu tun? Wir sahen uns im Raum um. Möglicherweise hatte jemand das Geschirr in ein Tablar geräumt aus Angst, es könne zu Boden fallen. Doch Fehlalarm. Nirgends war ein Stück Geschirr oder eines der wertvollen SWISSAIR-Besteck-Teile zu sehen. Wir beschlossen, uns im Büro zu verschanzen, um mit geklärtem Kopf zu beratschlagen. Da ich dazu, um meine geistigen Kräfte zu aktivieren und meinen Blutdruck zu senken, einen Pfefferminztee trinken wollte, machte ich mich zunächst auf ins Café.

      Und, kaum zu glauben, bei der Geschirrausgabe befand sich das SWISSAIR-Geschirr bunt gemischt unter dem normalen! Ein Stein fiel mir vom Herzen. Rasch holte ich meine Kollegin, und wir begannen auszusortieren. Wir waren gerettet.

      Später bei der Recherche fanden wir heraus, dass die Reinigungskraft angenommen hatte, dieses Geschirr sei schmutzig – und zugegeben, wir hatten es zuvor nicht abgestaubt. Also hatte sie es guten Glaubens in die Abwaschmaschine geräumt, von wo aus es staubfrei und wieder glänzend unter allem anderen Geschirr unbeschädigt wieder dem Zyklus zugeführt wurde.

       hätte die swissair nicht ihre löffel abgegeben, flöge sie noch heute!

image

       Alte Schachtel

      «Alte Schachtel!», ruft mit lauter, aber glasklarer Stimme der Knabe, der seiner Mutter entwischt ist und jetzt ganz aufgeregt zu ihr zurückeilt. Eine grauhaarige, sorgfältig ondulierte Dame versucht, mit dem Bengel Schritt zu halten, kommt jedoch ausser Atem. Die Mutter fängt den Knaben in ihren Armen auf. Schutz suchend schmiegt er sich an sie.

      Jetzt erreicht auch die Dame die Mutter, baut sich drohend vor ihr auf, und schon erfüllt ihre Stimme pikiert den Museumsraum, sodass sich zahllose Besucher umdrehen, um zu sehen, was sich dort abspielt.

      «Unverschämt ist das, mich als alte Schachtel zu schmähen! Ein Rotzjunge ist das! Und ich bin doch erst vierundachtzig!» Die Mutter weicht bei der Entladung zurück. Besonders beim Wort «Rotz», denn da versprüht die Aufgebrachte Speichel durch die Zähne, als sei sie ein wütendes, sich verteidigendes Lama.

      «Er hat es bestimmt nicht böse gemeint», erwidert die Mutter, die Arme noch immer schützend um ihren Sohn gelegt.

      «Ein anständiges Kind ist er. Ich erziehe ihn gut, verbiete ihm Schimpfworte …, weiss nicht, was für ein Teufelchen in ihn gefahren ist. Darf ich mich in aller Form bei Ihnen entschuldigen?»

      «Das genügt nicht», bemerkt die alte Frau weiterhin zischelnd. «Ich will die Strafe sehen. Zumindest eins hinter die Ohren hat der Bengel verdient, oder ziehen Sie ihm die Ohren lang!»

      Der Knabe beginnt zu weinen und versteckt sein Gesicht an der Mutter Schulter.

      «Los, wird’s bald!», beharrt die Frau auf ihrem Standpunkt, während das «sch» ihrem Adressaten erneut Speichelstreifen entgegenschleudert. «Die Erziehungsmethoden werden immer lascher. Strenger sollten die Sitten wieder sein. Man sieht ja, wohin die Milde führt: Drogen, Diebstahl, Überfälle auf Wehrlose wie mich – Schimpfworte, die uns gestandenen Bürgern an den Kopf geworfen werden …»

      Da befreit sich der Junge mit einem Sprung aus der Umarmung seiner Mutter, zieht an ihrer Hand und bemerkt mit seiner hellen Glockenstimme:

      «Komm mit, ich zeige dir die alte Schachtel!»

      Wütend entfährt es der alten Dame: «Sehen Sie, sogar die Beleidigung wiederholen! Unverschämtheit sondergleichen! Werde mich gleich bei der Museumsleitung beschweren gehen!»

      Inzwischen hat der Bub die Mama zu einem Schaukasten gezogen, in dem ein zusammengeschrumpfter brauner Gegenstand neben Pfeilspitzen liegt. Die Beschriftung lautet: «Alte Schachtel. Fundort auf einem Gletscher in der Nähe der Lenk 4500–1600 Jahre v. Chr. Geburt …»

       also schachteln mag ich nicht im geringsten. ob alt oder jung, schachtel bleibt schachtel.

image

       Unspunnen

      «Wo ist der Stein? Hab so viel davon vernommen! Kann ich ihn anfassen? Werfen? Bin stark!»

      Das Muskelpaket, das vor mir steht und mich durch seine Statur beeindruckt – ich bin eine Aufsicht hier im Schweizerischen Landesmuseum und drehe aufmerksamen Auges meine Runden – macht mir Angst. Ich möchte mich nicht mit dem athletischen Burschen anlegen, doch wie soll ich, ohne seine Wut zu entfachen, ihm mitteilen, dass sich kein Unspunnenstein in unserem Museum befindet, obwohl hier sein richtiger Platz wäre? Ja, dieser über achtzig Kilogramm schwere Stein, der vom Rekordhalter am Unspunnenfest fast fünf Meter weit gestossen wurde, hat sich trotz seines Gewichts verflüchtigt.

      1805 wurde das erste Unspunnenfest bei Interlaken nahe der Burgruine gleichen Namens erstmals durchgeführt und dann alle vier Jahre. Höhepunkt dieses Älpler- und Sennenfestes war das Werfen dieses so schweren Brockens. So viel ist mir bekannt.

      «Los, los, sagen Sie mir, wo ich den Stein finden kann! Selbst wenn er hier nicht zu werfen ist. Ich will ihn nur begutachten. Und obwohl nicht aus der Gegend, am nächsten Fest über fünf Meter stossen!»

      Das traue ich dem Kerl durchaus zu. Selten habe ich so viel wohltrainierte Muskeln an einem Menschen erblickt. Jetzt lässt er sie gar spielen, spannt seinen Bizeps an, und ich greife beinahe unbewusst an mein Alarmgerät, um Hilfe durch meine Kollegen zu mobilisieren. Wie nur soll ich ihm klar machen, dass ich ihn nicht zu seinem Wunschziel führen kann! Tausend Lösungen scannen in Überschallgeschwindigkeit von links nach rechts mein Gehirn. Doch