Robert Kurz

Weltordnungskrieg


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und Staat) ist sich ihrem metaphysischen Wesen nach selbst genug und muss sich doch in die wirkliche Welt „entäußern“; aber nur, um stets zu sich selbst zurückzukehren. Dieser metaphysische Ausdruck der scheinbar banalen (und in sinnlich-sozialer Hinsicht tatsächlich grauenhaft banalen) Verwertungsbewegung bildet das eigentliche Thema der gesamten Aufklärungsphilosophie, sehr deutlich bei Kant und insbesondere bei Hegel, der die dialektische Bewegungsform dieses „Entäußerungsprozesses“ eines metaphysischen Vakuums in die wirkliche Welt präzise und affirmativ nachgezeichnet hat.

      In dieser Selbstgenügsamkeit, dennoch nötigen Entäußerungsbewegung und letztlichen Selbstbezüglichkeit der leeren metaphysischen Form „Wert“ und „Subjekt“ gründet ein Potential der Weltvernichtung, weil nur im Nichts und damit in der Vernichtung der Widerspruch zwischen metaphysischer Leere und „Darstellungszwang“ des Werts in der sinnlichen Welt zu lösen ist. Die Inhaltsleere von Wert, Geld und Staat muss sich in ausnahmslos alle Dinge dieser Welt entäußern, um sich als real darstellen zu können: von der Zahnbürste bis zur subtilsten seelischen Regung, vom einfachsten Gebrauchsgegenstand bis zur philosophischen Reflexion oder zur Umgestaltung ganzer Landschaften und Kontinente. Leben und Tod, das gesamte menschliche Dasein und das gesamte Dasein der Natur dienen einzig dieser proteusartigen Selbst-Darstellungsfähigkeit des gesellschaftlichen metaphysischen Vakuums von Kapital und Staat.

      In dieser unaufhörlichen metaphysischen Selbstzweckbewegung (die Zwecke des Begehrens der konkurrierenden Individuen sind in diesen übergeordneten Selbst-Reflexionsprozess des „automatischen Subjekts“ eingeschlossen) werden die Dinge dieser Welt und das Begehren der Individuen nicht in ihrer Eigenqualität anerkannt, sondern diese wird ihnen vielmehr genommen, um sie in bloße „Gallerten“ (Marx) der metaphysischen Leere zu verwandeln und sie damit der immergleichen Wertform anzuverwandeln (oberflächlich betrachtet: sie zu „ökonomisieren“, also zum bloßen und gleich-gültigen Material der Verwertungsbewegung zu machen).

      Daraus entsteht ein doppeltes Potential der Vernichtung: ein „gewöhnliches“, gewissermaßen alltägliches, wie es sich schon immer aus dem Reproduktionsprozess des Kapitals ergibt, und ein gewissermaßen finales, wenn der „Entäußerungsprozess“ an absolute Grenzen stößt. Die Realmetaphysik des modernen warenproduzierenden Systems zerstört die Welt partiell als „Nebenwirkung“ ihrer „gelingenden“ Entäußerung; und sie wird zum absoluten Weltvernichtungswillen, sobald sie sich nicht mehr in den Weltdingen selbst-darstellen kann. Insofern könnte man von einem Todestrieb der kapitalistisch verfassten modernen Menschheit sprechen, der eben auch einen geschlechtsspezifischen Ursprung hat. Im Zentrum der Aufklärungsphilosophie steht der ideelle Ausdruck dafür, die Anbetung der leeren Abstraktion „einer Form überhaupt“ (Kant).

      Diese Vemichtungslogik kann sich auf schleichende Weise im ganz normalen Gang der Geschäfte äußern, etwa in der Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen durch die betriebswirtschaftliche Externalisierung von „Kosten“, in der mangelnden Versorgung ganzer Bevölkerungsgruppen mit Lebensmitteln und medizinischer Hilfe qua mangelnder „Finanzierungsfähigkeit“, im unnötigen Massensterben von Säuglingen und Kleinkindern in den globalen Armutsregionen usw.

      Dieselbe Vernichtungslogik kann aber auch unmittelbar als Gewaltexplosion in Erscheinung treten und dabei jene Entgrenzung des Selbst-Bewusstseins auslösen, wie sie nicht erst an den Fronten der kapitalistischen Kriege zu beobachten war, sondern auch binnengesellschaftlich in den großen Krisenschüben des 20. Jahrhunderts. Heute scheint diese Entselbstung zum Weltprinzip zu werden. Der finale Vernichtungswille des metaphysisch konstituierten Subjekts richtet sich schließlich gegen dieses Subjekt selbst, soweit es von dieser Welt, also sinnlich existent ist. Und keineswegs zufällig bricht bei dieser Orgie der Selbstzerstörung das „männliche“ Wesen dieses Subjekts wieder ganz unverhüllt an die Oberfläche durch.

      Natürlich ist es nicht unmittelbar das realmetaphysische Vakuum des Werts, der gesellschaftlichen Form der Kapitalbewegung, das „am“ oder „im“ Subjekt handelt, sondern dieses Krisenhandeln, dieser Übergang zur entgrenzten Gewalt findet über die Transmission von Sozialisationsformen und psychischen Mechanismen statt. Dabei erweist sich gerade die vielbejubelte postmoderne Individualisierung, die in Wahrheit nur die äußerste Steigerung der abstrakten (getrennten) Subjektivität des kapitalistisch konstituierten Menschen bis zum Grad vollkommener Verlassenheit ist, als die Übergangsform zur absoluten Entselbstung, in der sich die psychischen Mechanismen des Todestriebs bis zur unmittelbaren Manifestation entfalten, wie es der Sozialwissenschaftler und Gefängnispsychologe Götz Eisenberg eindringlich beschreibt: „Gesellschaftliche Konflikte werden reprivatisiert und stauen sich in einem seelischen Innenraum, der für das Austragen solcher Energien ungeeignet ist. Er ist zu eng. Das eingekapselte Unglück kann nicht stillstehen, sucht nach einem Ausweg… Hinter den Bildern aktuell erfahrener Kränkungen tauchen Bilder aus der lebensgeschichtlichen Vergangenheit auf, die in der Kindheit belichtet wurden, aber erst jetzt aus dem Entwickler gezogen werden. Wie ein Verstärker schließen sich uralte Kränkungs- und Zurückweisungserfahrungen an die aktuellen Demütigungen an und verleihen diesen so erst ihre Wucht… Die ins Innere zurückgenommene emotionale Energie diffundiert, setzt sich an anderer Stelle neu zusammen, verschiebt sich und geht neue Legierungen ein… Die Innenwelt verwandelt sich in ein Kaleidoskop durcheinanderwirbelnder Fragmente, die sich zu immer skurrileren und ängstigenderen Bildern zusammenfügen. Psychotische Persönlichkeitsanteile, die wir als nur ‚partial Sozialisierte‘ (Mitscherlich) alle in uns tragen, schieben sich in den Vordergrund und erringen eine Art von psychischer Hegemonie. Ein archaischer Hass auf verfolgende innere und äußere Objekte macht sich breit, die Wahrnehmung trübt sich ein, die Welt verdunkelt sich, bis schließlich alles zum ‚bösen, verfolgenden‘ Objekt wird. Jetzt funktionieren Ruhe und Selbstbeherrschung nur noch mühsam; sie brüten etwas aus. Paranoide Phantasien beginnen, das gesamte innere Blickfeld auszufüllen. Jetzt bedarf es nur noch eines letzten Anstoßes, und die Unglücksmechanik kommt ins Rollen“ (Eisenberg 2002, 24 f.).

      Die Abstraktheit dieses Vernichtungswillens spiegelt die Selbstwidersprüchlichkeit des Kapitalverhältnisses in doppelter Weise: Einerseits zielt er auf die Vernichtung der „anderen“ zwecks scheinbarer Selbsterhaltung um jeden Preis, andererseits ist es gleichzeitig auch ein Wille zur Selbstvernichtung, der die Sinnlosigkeit der eigenen marktwirtschaftlichen Existenz exekutiert. Mit anderen Worten: Die Grenze zwischen Mord und Selbstmord verschwimmt. Es geht über das „Risiko“ der Konkurrenz hinaus um eine derart entgrenzte Vernichtungswut, dass die Unterscheidung des eigenen Selbst von dem der anderen zu verschwinden beginnt, was sich wiederum als psychischer Mechanismus darstellen lässt: „Um der eigenen narzisstischen Katastrophe zu entgehen und unerträgliche Gefühle von Angst, Ohnmacht und Hilflosigkeit abzuwehren, wird das eigene Innere nach außen gestülpt und mörderisch-selbstmörderisch in Szene gesetzt. Der Erhalt des Selbstwerts und der Integrität der Persönlichkeit kann ein Motiv menschlichen Handelns sein, das höher wiegt als die Sicherung des eigenen reduzierten Überlebens. Bevor innere Spannungen das Selbst sprengen, sprengt der Täter in einer Art von Vorwärtsverteidigung Teile der Außenwelt in die Luft… Die Zerstörungswut des Kleinkindes, das sich verlassen, missachtet und verzweifelt fühlt und deshalb am liebsten alles in Stücke schlagen möchte, ist durch seine mangelnde Körperkraft begrenzt; jetzt steckt dieselbe raptusartige Wut im Körper eines Erwachsenen, der sich Zugang zu Waffen, Autos oder gar Flugzeugen verschaffen kann“ (Eisenberg, a.a.O., 25 f.).

      Das abstrakte Selbst des Geldsubjekts löst sich in der finalen Krisenkonkurrenz auf und bringt den in seinem Inneren schon immer lauernden Kern, das mit Selbstzerstörung identische Vakuum seiner Existenz zum Vorschein. In den sich häufenden Zusammenbrüchen der sozialökonomischen Beziehungen, wie sie vom Weltmarkt der Globalisierung induziert werden, im Zersetzungsprozess ganzer Gesellschaften ist keine Selbstdefinition der Individuen mehr möglich, solange sie sich in der herrschenden gesellschaftlichen Form weiter bewegen (was sie bis jetzt spontan auch tun). Die demokratische Phrase kann die Wut nur steigern und anfachen, weil sie ja selber ein bloß heuchlerischer und frömmlerischer Ausdruck derselben Vernichtungslogik gegen Mensch und Natur ist.

      Die Erscheinungen der Selbstverlorenheit und Selbstzerstörung, wie sie Enzensberger an der männlichen Jugend beschreibt, sind heute in mehrfacher Weise universell geworden. Zum einen sind es nicht nur die (von Jahr zu Jahr zahlreicher