Robert Kurz

Weltordnungskrieg


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eine manifeste oder befürchtete Störung kapitalistischer Funktionsgesetze, die niemals aus dem Inneren dieser Logik selbst abgeleitet wird, sondern immer aus dem äußerlichen subjektiven Fehlverhalten von moralisch zu verurteilenden Personen, Institutionen und „Mächten“ aller Art. Diese werden in bestimmten Fällen zu Feinden erklärt, die man auch militärisch-weltpolizeilich bekämpfen muss.

      Aber im Unterschied zur imperialen Konkurrenz auf gleicher Ebene ist der Konflikt in der neuen Konstellation gar nicht eindeutig darzustellen. Weil sich die demokratischen Weltpolizisten im Vergleich zur politisch-militärischen „Fortsetzung der Konkurrenz mit anderen Mitteln“ in den vergangenen Epochen schwer damit tun, ein kohärentes Feindbild hinsichtlich der „Störer“ des kapitalistischen Weltsystems aufzubauen, schleicht sich eine seltsame Willkür in den Definitionen ein. Je schwankender die Bestimmungen, desto erbärmlicher der doppelzüngige demokratische Moralismus. Kunststück, handelt es sich doch um die eigenen Krisengespenster, die verjagt werden sollen, gerade um die dieser Krise zu Grunde liegende Produktionsweise unter allen Umständen zu erhalten: Ein weiterer Hinweis darauf, dass die kapitalistische Irrationalität eine neue und zusätzliche Dimension gewonnen hat.

      In der Not der absoluten Definitionsmacht, die dennoch nichts mehr definieren kann, gibt es Versuche wie den des Harvard-Professors Samuel P. Huntington, den demokratischen Weltordnungskrieg des Westens gegen seine eigenen Dämonen zum „Kampf der Kulturen“ (The Clash of Civilizations) zu überhöhen (Huntington 1996), um dem „ideellen Gesamtimperialismus“ ein neues Feindbild zu bescheren; insbesondere gegenüber dem „islamischen Krisenbogen“ von Pakistan bis Nordafrika. Huntington versucht, den negativ universalisierten totalen Raum des einheitlichen real-ökonomistischen Weltsystems als stummen Hintergrund wegzublenden, um die aus diesem Raum aufsteigenden Barbarisierungsprozesse in ein Ringen von einander ganz äußerlichen und fremden „Kulturen“ oder „Zivilisationen“ umzudeuten. Während der westliche „ideelle Gesamtimperialismus“ mit harter Hand eine in ihrer materiellen Reproduktion durch und durch nach seinem Bilde geformte Welt beherrscht, mit der er großenteils gar nichts mehr anfangen kann, beschwört Huntington kontrafaktisch eine angeblich „wachsende Macht nichtwestlicher Kulturkreise“ (Huntington 1996, 507).

      Da sich außer dem als „konfuzianisch“ ausgemalten China zum Beleg dieser dreisten Behauptung nur die (untereinander verfeindeten, keineswegs einheitlichen) islamischen Sektenbewegungen, Terrorgruppen, Massenstimmungen etc. und die einigermaßen klägliche und rückständige Aufrüstung einiger islamischer „Schurkenstaaten“ anführen lassen, muss Huntington eine historische Erbfeindschaft zwischen Abendland und Islam konstruieren, die für die heutige Weltlage ungefähr so erhellend ist wie die im Alten Testament beschriebenen Konflikte, die Schlacht auf den Katalaunischen Feldern oder die Kreuzzüge des 11. und 12. Jahrhunderts.

      Dass es bei diesem anachronistischen Bezug nicht bloß um die weltpolizeiliche Eindämmung terroristischer Attacken geht, sondern tatsächlich um die Konstruktion eines umfassenden, vermeintlich globalstrategischen Feindbilds, daran lässt Huntington keinerlei Zweifel; wettert er doch ausdrücklich gegen alle westlichen „Weicheier“ und Multikultis: „Manche Westler, unter ihnen auch Präsident Bill Clinton, haben den Standpunkt vertreten, dass der Westen Probleme nicht mit dem Islam, sondern mit gewalttätigen islamistischen Fundamentalisten habe. Die Geschichte der letzten 1400 Jahre (!) lehrt etwas anderes. Die Beziehungen zwischen dem Islam und dem Christentum - dem orthodoxen wie dem westlichen - sind häufig stürmisch gewesen. Sie betrachten sich gegenseitig als den Anderen. Der Konflikt zwischen liberaler Demokratie und Marxismus-Leninismus im 20. Jahrhundert war ein flüchtiges und vordergründiges Phänomen, verglichen mit dem kontinuierlichen und konfliktreichen historischen Verhältnis zwischen Islam und Christentum. Manchmal stand friedliche Koexistenz im Vordergrund; häufiger war das Verhältnis eine heftige Rivalität oder ein heißer Krieg unterschiedlicher Intensität… Die Ursachen für den erneuten Konflikt zwischen dem Islam und dem Westen sind … in grundlegenden Fragen der Macht und Kultur zu suchen… Wer (beherrscht) wen? Diese zentrale Frage jeder Politik, wie sie Lenin definiert hat (!), ist die Wurzel des Ringens zwischen dem Islam und dem Westen… Solange der Islam der Islam bleibt (und er wird es bleiben) und der Westen der Westen bleibt (was fraglicher ist), wird dieser fundamentale Konflikt zwischen zwei großen Kulturkreisen und Lebensformen ihre Beziehungen zueinander weiterhin und auch in Zukunft definieren, so wie er sie 1400 Jahre lang definiert hat… Das tiefere Problem für den Westen ist nicht der islamische Fundamentalismus. Das tiefere Problem ist der Islam, eine andere Kultur, deren Menschen von der Überlegenheit ihrer Kultur überzeugt und von der Unterlegenheit ihrer Macht besessen sind. Das Problem für den Islam sind nicht die CIA oder das US-amerikanische Verteidigungsministerium. Das Problem ist der Westen, ein anderer Kulturkreis, dessen Menschen von der Universalität ihrer Kultur überzeugt sind und glauben, dass ihre überlegene, wenngleich schwindende Macht ihnen die Verpflichtung auferlegt, diese Kultur über die ganze Erde zu verbreiten. Das sind die wesentlichen Ingredienzien, die den Konflikt zwischen dem Islam und dem Westen anheizen“ (Huntington, a.a.O., 334 f., 339).

      Solche Ausführungen hätte man noch bis vor kurzem normalerweise keinem Erstsemester in Geschichtswissenschaft durchgehen lassen. Dass Huntington überhaupt ernst genommen wird, zeigt an, wie tief das intellektuelle Niveau der westlich-demokratischen Ideologen gesunken ist. Es gehört schon einiges dazu, sich derart wilde und willkürliche Gleichsetzungen und Zuordnungen zu erlauben, deren rein phantasmatischer Charakter offensichtlich ist. War der Konflikt zwischen westlicher Marktdemokratie und östlicher Parteidiktatur, zwischen Privatkapitalismus und Staatskapitalismus, Konkurrenzsystem und bürokratischer Planung noch ein wirklicher Modernisierungskonflikt gewesen, nämlich derjenige zwischen dem westlichen kapitalistischen Zentrum und den historischen Nachzüglern der Peripherie, so hat Huntingtons Konstrukt keinerlei Realitätsbezug mehr. Es handelt sich vielmehr um den Versuch, die in den Kategorien des modernen warenproduzierenden Systems nicht mehr fassbaren Zersetzungsprozesse dieses Systems selbst in den Rahmen eines herkömmlichen Konflikts von „Mächten“ zu bannen und sie in Konflikte einer weitergehenden „Modernisierung“ umzudeuten, der sich der Islam angeblich verweigert - obwohl der größere Teil der Welt (nicht nur die moslemischen Länder) das völlige Scheitern der „Modernisierung“ bereits hinter sich hat und es gar keine weitere „Modernisierung“ mehr gibt.

      Die daraus entstehenden Potentiale der Entmenschung und deren gewaltsame Entladungen als die Pseudo-Kontinuität eines 1400-jährigen Ringens zweier Religionen oder „Kulturkreise“ zu deuten, gehört in die Rubrik irrationaler Weltanschauungspolitik; vergleichbar allenfalls dem synthetischen Mythos von der „arischen Rasse“ und ihrem Äonenkampf gegen die „semitische“ Fremdrassigkeit etc. In Wirklichkeit ähnelt der ideelle Gegensatz von Osama bin Laden und US-Präsident Bush eher noch dem „unternehmenskulturellen“ Konflikt zwischen Coca Cola und Pepsi Cola als den religiösen Konfliktformulierungen vormoderner agrarischer Zivilisationen.

      Die identitätspolitische Aufrüstung, wie Huntington sie empfiehlt und betreibt, hat keinerlei intellektuelle Stringenz aufzuweisen; sie ist theoretisch irrelevant und haltlos. Darauf kommt es freilich auch gar nicht an. Es geht allein um eine medial aufzubereitende Legitimation, und sei sie noch so absurd, für die Militärschläge der westlich-kapitalistischen Weltpolizei gegen die „Störpotentiale“ und „Unruheherde“, denen irgendwie eine Feindbezeichnung gegeben werden muss. Dass es ums Zuschlagen und um sonst gar nichts geht, auch daran lässt der neue Gobineau oder Chamberlain keinerlei Zweifel: „Die militärische Bedrohung aus dem Osten ist praktisch verschwunden, und nun richtet sich die Planung der NATO zunehmend auf potentielle Bedrohung aus dem Süden. Ein Analytiker der U.S.Army bemerkte 1992, die ‚Südliche Reihe‘ ersetze heute die Mittlere Front und werde ‚sehr rasch zur neuen Frontlinie der NATO‘… Diese Bedrohungen sind auch die Grundlage für das Verbleiben einer gewichtigen militärischen Präsenz der USA in Europa… Angesichts der Meinung, die Muslime und Westler derzeit voneinander haben, und angesichts des Aufstiegs des islamistischen Extremismus ist es kaum verwunderlich, dass im Anschluss an die iranische Revolution 1979 ein interkultureller Quasi-Krieg zwischen dem Islam und dem Westen ausbrach… Außerdem haben beide Seiten eingeräumt, dass dieser Konflikt ein Krieg ist… Auf westlicher Seite haben die USA sieben Länder als terroristische Staaten‘ eingestuft, von denen fünf muslimisch sind…“ (Huntington, a.a.O., 346 ff.).

      Nun