Robert Kurz

Weltordnungskrieg


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interpretiert; aber auf Glaubwürdigkeit kommt es ja auch sonst nicht mehr an. Entscheidend ist allein die medial durchzusetzende „Akzeptanzfähigkeit“, die Erzeugung von passenden „Stimmungen“ und deren Inszenierung. Obwohl die gesellschaftliche Militarisierung im großen Maßstab praktisch nicht mehr über den ideologisch-medialen Bereich hinausgreifen kann, arbeiten die militärischen Medienstrategen bereits mit Hochdruck daran, die sachliche Kälte und Gleichgültigkeit der Gesellschaft hinsichtlich der mörderischen Weltpolizei zu überwinden und die medial beschränkte Militarisierung dennoch in eine heiße Herzensangelegenheit zu verwandeln.

      Vielleicht erleben wir es noch, dass für die namentlich herausgestellten Leistungsträger bei den High-tech-Schlachtfesten Fanclubs gegründet und Devotionalien vermarktet werden, um die weltpolizeilichen Einsätze begeisterungsfähig zu machen wie die durchkommerzialisierte Fußballweltmeisterschaft, den Ski- und Tenniszirkus oder die Formel 1. Jetzt schon werden die elektronischen Bombenwerfer als die „guten Jungs“ mit menschenrechtlichem Fairness-Potential herausgestellt, während der konstruierte „Feind“ als monströses Alien erscheint.

      Während die demokratische Feigheit dabei jeden Kratzer am Leib eines Kampfpiloten zur Schlagzeile macht und bange Fragen nach dem „Sinn“ von Blutvergießen aufwirft, erscheinen die ebenso namenlosen wie massenhaften Opfer der Bombardements unter dem Stichwort der „Kollateralschäden“ eher als Nebenwirkung beim Einsatz einer Reinigungsfirma (und dieser Sachlichkeitsgeruch lässt sich in der Tat schwer zu einem sportlichen Flair der demokratischen Menschenjagd umdeuten). Nichts könnte deutlicher machen, was „Menschenrecht“ letzten Endes heißt: die buchstäbliche Wertlosigkeit der Unverkäuflichen, die noch als verbrannte Kadaver „stören“, nämlich das „zivile“ Bild der demokratischen Weltgemeinschaft. Sie sind tatsächlich nicht mehr als Ungeziefer, dessen Menschenantlitz vom demokratischen Prozedere ungültig gestempelt worden ist.

      Daraus erhellt schon, wie hoffnungslos naiv es ist, wenn wohlwollend moralisierende demokratische Friedens- und Menschenfreunde die barbarischen Weltpolizeikriege ihrerseits unter Berufung auf die Menschenrechte zu kritisieren suchen oder die Opfer ausgerechnet im Namen des Prinzips verteidigen, das sie zu Opfern gemacht hat.

      Sicherlich wäre es ganz falsch, die Tätigkeit der verschiedenen zivilen Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International usw. einfach unter die kapitalistische Menschenrechtsideologie zu subsumieren und deswegen abzulehnen. Mit ihrem unmittelbaren Einsatz für die Opfer von Krieg und Verfolgung, ihrer Unbestechlichkeit und ihrem oft gezeigten Mut gegen die herrschenden Gewalten bilden sie eine wichtige Instanz der praktischen Hilfe und auch der empirischen Kritik und Anklage. Aber darauf sind sie eben auch beschränkt. Sie können die notwendige Gesellschaftskritik nicht ersetzen; ihre Tätigkeit kann die Ursachen von Gewalt und Verfolgung so wenig berühren, wie das Rote Kreuz den Ersten Weltkrieg verhindern konnte. Vor allem aber macht der ideologische Titel ihrer Selbstbenennung zwar nicht ihre empirische Tätigkeit selber, aber doch deren Legitimation äußerst zweischneidig. Sie kritisieren die Wirkungen gewissermaßen im ideologischen Namen der Ursache. Dadurch geraten sie in die Gefahr, dass sogar ihre Existenz und ihr Wirken noch zur Legitimierung des westlichen Gesamtimperialismus beigezogen und dafür instrumentalisiert wird.

      Die Menschenrechtsideologen „der anderen Seite“, der immerhin helfenden und kritischen, haben den Charakter der bürgerlichen Rechtsform im allgemeinen und der Menschenrechte im besonderen nicht begriffen. Diese Rechte sind kein Versprechen, sondern eine Drohung: Wenn du nicht mehr funktionsfähig bist, bist du auch nicht mehr rechtsfähig, und wenn du nicht mehr rechtsfähig bist, bist du auch kein Mensch mehr.

      Deshalb ist abzusehen, dass das Vorgehen gegen die „störenden“ Gotteskrieger, Warlords, Banden und Paten der Plünderungsökonomie usw. mehr und mehr umschlägt in einen heimlichen und zuletzt gar nicht mehr so heimlichen Ausrottungsfeldzug gegen die „Überflüssigen“ dieser Erde. Der Feldzug für die Menschenrechte ist seiner Natur nach ein Feldzug für die kapitalistische Form des Menschen, die als die einzig und allein gültige definiert ist, und damit zwangsläufig implizit ein Vernichtungsfeldzug gegen alle Menschen (perspektivisch gegen die globale Mehrheit), die als Folge der kapitalistischen Entwicklung selber aus dieser Definition herausfallen und damit nicht erst als Gotteskrieger oder Krisenbanditen, sondern schon durch ihre schiere leibliche Existenz „stören“.

       Von der politischen Ökonomie zum postmodernen Kulturalismus

      Es ist bezeichnend, wie die offenkundigen Zusammenhänge von Krise und Globalisierung, von Weltmarkt und Barbarei in der verzerrten Wahrnehmung des weltdemokratisch-marktwirtschaftlichen Bewusstseins und seiner Medien erscheinen. Der dreiste Zynismus, im sich fortpflanzenden globalen Elendsunternehmertum, in den traurigen Flohmärkten, auf denen Rentner ihre letzte Habe verscherbeln, oder in den Secondhand-Märkten der globalen Plünderungsökonomie eine Art zukunftsfreudige marktwirtschaftliche Folklore erblicken zu wollen („alles so schön bunt hier“), korrespondiert mit der ideologischen Veräußerlichung der gewaltsamen und zersetzenden Erscheinungen, als gehörten sie gar nicht eigentlich dazu.

      So hat sich eine weltdemokratische Leier eingespielt, von der die Existenz der Krisenpotentaten, der Banden und Milizen etc. regelmäßig so dargestellt wird, als wären es diese Erscheinungen, die das eigentlich notwendige und mögliche Funktionieren der marktwirtschaftlich-kapitalistischen Produktionsweise und deren segensreiche Prosperität verhindern. Die Frage, woher denn eigentlich all diese negativen und destruktiven Gespenster ihrerseits kommen, bleibt entweder im Dunkeln oder wird so beantwortet, dass die vom Weltmarkt ausgehende sozialökonomische Zerstörungskraft systematisch ausgeblendet bleibt. Aber irgendwie muss die fortschwelende Krise ja beim Namen genannt und einer Deutung zugeführt werden.

      Dabei hat sich während des vergangenen Jahrzehnts ein deutlicher Wandel in den Erklärungsmustern vollzogen. Anfang der 90er Jahre, als die Welt noch ganz unter dem Eindruck des Kalten Krieges und des Systemkonflikts zwischen Staatskapitalismus und Konkurrenzkapitalismus seit der Mitte des 20. Jahrhunderts stand, war in den Deutungen die politökonomische Auseinandersetzung zwischen Staatsorientierung und Marktorientierung bestimmend. An den westlichen Universitäten hatten bis zur Mitte der 80er Jahre politische Wissenschaften und politische Ökonomie Konjunktur gehabt wie selten zuvor. Dementsprechend wurde der Zusammenbruch des Staatskapitalismus am Ende dieses Jahrzehnts vor allem in politisch-ökonomischen Kategorien wahrgenommen. Das vom oberflächlichen Schein der Ereignisse geblendete Urteil lautete daher: ökonomische Staatsorientierung ist Todsünde. Plötzlich waren alle glühende Marktwirtschaftler, selbst die meisten ehemaligen Neomarxisten. In seinem Siegesrausch verkündete der Neoliberalismus für alle Krisen- und Zusammenbruchsregionen die alleinseligmachende Doktrin der „marktwirtschaftlichen Reformen“: bekanntlich Abbau des Sozialstaats, Deregulierung, Privatisierung, Freihandel, Entfesselung der Konkurrenz.

      Diese Interpretation musste die Wirklichkeit verfehlen, weil sie nicht begreifen wollte, dass Staat und Markt nur die beiden Pole kapitalistischer Vergesellschaftung darstellen und nicht gegeneinander ausgespielt werden können. Es wurde ganz in der Manier des klassischen Wirtschaftsliberalismus quer durch das ideologische Spektrum so getan, als wäre der Staat eine Art Fremdkörper im kapitalistischen Mechanismus, statt ihn als logische Kehrseite des Marktes zu erkennen. Der Gegensatz von Markt und Staat ist nicht der von Kapitalismus und Nicht-Kapitalismus, sondern ein Gegensatz innerhalb des Kapitalismus selbst. In seinem Wahn konnte der marktwirtschaftliche Triumphalismus die ökonomische Staatsorientierung nur als ideologisches Feindbild wahrnehmen, statt sie in ihrer historischen Bedingtheit zu verstehen. Aus dieser verkürzten Sicht waren Staatseigentum und Staatseingriffe nichts als „Fehler und Irrtümer“, die notwendig zum Scheitern führen mussten.

      Damit wurde jedoch Ursache und Wirkung verwechselt. Überblickt man die Geschichte des 20. Jahrhunderts als Ganzes, dann hat nicht die Staatsökonomie die Krise hervorgebracht, sondern sie war ihrerseits schon eine Antwort auf vorhergehende Krisen. Das Gefälle der globalen kapitalistischen Entwicklung, das mit den Mitteln marktwirtschaftlicher Konkurrenz nicht zu überwinden war, hatte seit dem Ende des Ersten Weltkriegs im Osten und Süden als Idee und Praxis jener „nachholenden Modernisierung“ den Staat als „nationalen Gesamtunternehmer“ hervorgebracht; ebenso