Robert Kurz

Weltordnungskrieg


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um das lästige Problem der trotz aller „marktwirtschaftlichen Reformen“ immer dichter aufeinander folgenden Krisen und Zusammenbrüche aus dem Bereich der politischen Ökonomie zu eskamotieren: Nicht die segensreiche kapitalistische Produktionsweise und die ungefilterte Öffnung zum Weltmarkt könne die Ursache sein, so der Tenor, sondern den ökonomie-kulturell ungesitteten „Barbaren“ im Osten und Süden mangle es eben noch an institutionellen Rahmenbedingungen, an marktwirtschaftlichem Bewusstsein, an demokratischem Prozedere, „Property Rights“ und überhaupt an „unternehmerischer Kultur“.

      Diese jüngste westliche Rechtfertigungsideologie will sogar im krisengeschüttelten Japan und in den am Boden liegenden asiatischen Tigerländern, soeben noch als beeindruckende Leitbilder eines erfolgreichen,,asiatischen“ oder,,konfuzianischen“ Kapitalismus gefeiert, plötzlich nur noch „unmoderne“ Strukturen der Loyalität, dysfunktionalen Autoritarismus, Korruption, Kleptokratie, Clanwirtschaft und Nepotismus erkennen. Diese Mängel der institutionellen Struktur, des nationalen Bewusstseins und der „ökonomischen Kultur“ sollen es angeblich sein, die den Nährboden für „Wirren“ und Fundamentalismen, Mafia, Warlords usw. bilden, während es in Wirklichkeit der objektive und kapitalistisch-systembedingte (also durch keinerlei bloß kulturelle bzw. institutionelle Reform herbeizuholende) Mangel an Kapitalkraft ist, der in der Weltkrise der dritten industriellen Revolution die Gesellschaften reihenweise auseinanderbrechen lässt.

      In der neuen Ideologie des ökonomischen Kulturalismus wird das Verhältnis von Ursache und Wirkung ebenso auf den Kopf gestellt wie schon vorher beim Verhältnis von Krise und Staatsökonomie. In Wirklichkeit bringen nicht Korruption, Mafia-Herrschaft, Terrorismus, schlechthin „marktwidriges Verhalten“ und einschlägige kulturelle Muster etc. die Krise hervor, so wenig wie die frühere ökonomische Staatsorientierung, sondern genau umgekehrt ist es die vom Scheitern des jeweiligen Landes am Weltmarkt ausgehende sozialökonomische Krise, die den institutionellen Zusammenhang bürgerlicher „Rechtssicherheit“ und „Kultur“ zerstört oder gar nicht erst entstehen lässt.

      Aber weil zusammen mit dem staatskapitalistischen Paradigma der „nachholenden Modernisierung“ jedwede Ökonomiekritik gleich mit entsorgt wurde, darf der wahre Ursachenkomplex der Krise nicht mehr benannt werden. So flüchten sich nicht zuletzt die Ideologen der „Zivilgesellschaft“, die zu Stichwortgebern von Rot-Grün, New Labour etc. und der entsprechenden „links-neoliberalen“ Regierungen geworden sind, in das schwache Argument der kulturalistisch mobilisierten „Institutionenökonomie“, um den ökonomischen Kern der Krise wegzuerklären, nunmehr demokratisch-institutionelle Rahmenreformen zu beschwören und im Verein mit Huntingtons Konstrukt die Legitimation für das weltdemokratische Feindbild zu liefern.

      Dieses den Sachverhalt auf den Kopf stellende Billigargument ist zum Credo sogar vieler ehemaliger Kritiker der kapitalistischen Weltmarkt-Vergesellschaftung geworden: „Ohne Rechtssicherheit ist wirtschaftliche Entwicklung nun mal nicht zu haben“ (Cremer 2001), so tönt es nun auch bei den ehemals antikapitalistischen Initiativen zur Misere der Dritten Welt.

      Sowohl die „Zivilgesellschafts“-Ideologie der Realos als auch die von Konformismus getriebene „institutionalistische“ Wende großer Teile der Dritte-Welt-Solidaritätsbewegung stehen in einem Kontext, dem auch die so genannte „Regulationstheorie“ angehört; ebenfalls ein Produkt linker und ex-linker Rückzugsgefechte und Ausweichbewegungen. In diesem seit Anfang der 80er Jahre von Frankreich ausgehenden und in der BRD-Linken rezipierten Theorem werden unter „Regulation“ die institutionellen, kulturellen, politischen usw. Modi der Kapitalakkumulation verstanden.

      Statt vom staatskapitalistisch verkürzten positivistischen Verständnis der politischen Ökonomie zur unausweichlich gewordenen Kritik an den Grundkategorien des modernen warenproduzierenden Systems überzugehen, also zur Kritik von „Arbeit“, Wertform, Geld, Markt, betriebswirtschaftlicher Rationalität und Staat, bleiben gerade diese Grundkategorien weitgehend außerhalb der Betrachtung, um stattdessen bloß den jeweils spezifischen Modus ihrer Gültigkeit in den Mittelpunkt zu rücken: Nicht um die Sache selber geht es, sondern gewissermaßen nur um ihre Begleitmusik. Demzufolge handelt es sich der „Regulationstheorie“ zufolge bei den globalen Verwerfungen seit Ende der 80er Jahre nicht um eine kategoriale Krise der warenproduzierenden Moderne, sondern lediglich um die Krise eines bestimmten „Akkumulations“- und damit „Regulationsmodells“ - woraus dann wiederum geschlussfolgert wird, dass es nicht um die kategoriale Kritik des Kapitalismus ginge, sondern bloß um das „kritische Mitmischen“ bei der Herausbildung des hoffnungsvollen nächsten „Regulationsmodells“ (von dem nirgends eine Spur zu sehen ist), seiner institutionellen und politischen Modi, also gewissermaßen seiner „Regulationskultur“.

      Es ist leicht erkennbar, dass auch die „Regulationstheorie“ Bestandteil jener großen, weltweiten Wende in theoretischer und gesellschaftspolitischer Hinsicht ist, wie sie durch den Neoliberalismus einerseits und den postmodernen Kulturalismus andererseits gekennzeichnet wird. Im Grunde genommen handelt es sich um eine „linke“ Variante jenes „neuen Institutionalismus“ von Buchanan und Olson. Die Paradoxie eines „links-neoliberalen“ Amalgams findet sich also nicht nur bei Rotgrün und New Labour, sondern zieht sich in vielfältigen Mischformen von Kulturalismus, Institutionenökonomie und Zivilitätsduselei quer durch das Spektrum der lediglich graduell verschieden kapitulierenden Gesellschaftskritik. Kein Wunder, dass heute große Teile der vom marktwirtschaftlichen „Realismus“ durchseuchten früheren Solidaritätsbewegungen in Gestalt sogenannter Nichtregierungsorganisationen Seite an Seite mit der Weltbank an der Front lächerlich harmloser Anti-Korruptions-Kampagnen stehen.

      Im Sinne institutionalistisch-kulturalistischer Scheinanalysen will die vereinigte Weltdemokratie nun allenthalben auch die ökonomische Misere Restjugoslawiens erklären und sie allein dem Milosevic-Regime in die Schuhe schieben: „Die Serben sehen sich von ihm bestohlen. 13 Jahre Lebensarbeit sind von seinem Mafiaregime verpulvert und als Devisenmillionen ins Ausland verschoben worden“ (Schmidt-Häuer 2001). Demgegenüber kann gar nicht oft genug betont werden, dass es der Weltmarkt war, der die „Lebensarbeit“ der serbischen Warensubjekte längst vorher durch den Finanzkollaps in Rauch aufgelöst hatte - und dass ein Milosevic das Produkt dieser Krise war, nicht ihr Urheber.

      Wie sehr die billige Lösung Konjunktur hat, Korruption und „Mafiaregimes“ - als wären sie vom Himmel gefallen - zur Letztursache der Misere zu erklären, zeigt die Karriere der einschlägigen Anti-Korruptions-Initiative „Transparency International“ (TI): „Im Laufe der neunziger Jahre ist aus der kleinen Initiative eine mächtige Bewegung gewachsen, auf deren Veranstaltungen sich Staatspräsidenten, Minister, Banker, Industrielle und sogar der Generalsekretär von Interpol die Ehre geben. Der alljährliche Korruptionsindex von Transparency wird von Konzernchefs studiert, und manche Regierung fürchtet ihn aus gutem Grunde - er beeinflusst Investitionsströme, Kreditvergaben und Entwicklungszuschüsse. In diesem Jahr wird erstmals auch eine Weltrangliste der bestehenden Staaten veröffentlicht“ (Grill 1999). Der Kongress von TI ist zum Großereignis mit Delegierten aus 135 Ländern geworden. Es hat Züge einer Groteske, wie sich da Offizielle und Inoffizielle, Linke und Rechte zusammenfinden, um zu beschwören, dass Aids von den roten Flecken auf der Haut komme.

      Auf dieser Welle des Zeitgeistes schwimmend, hat es der greise US-amerikanische Wirtschaftshistoriker David Landes fertiggebracht, Ende der 90er Jahre mit seinem Werk „Wohlstand und Armut der Nationen. Warum die einen reich und die anderen arm sind“ (Landes 1999) einen weltweiten Bestseller zu landen. Landes entblödet sich nicht, in einer unglaublich rohen Geschichtsklitterung, die anachronistisch die modernen kapitalistischen Kriterien bis in die Antike und ins Mittelalter zurückprojiziert, sämtliche Schweinereien der europäischen Geschichte in ebenso viele kulturelle Vorteilfaktoren für die allgemeine Reichtumsproduktion umzudefinieren und die blutige Konstitution des Kapitalismus als „Kultur“ einer kommerziellen Idylle darzustellen: „Als die Europäer sich endlich einigermaßen sicher vor Angriffen von außen sahen (ab dem elften Jahrhundert), waren sie in der Lage, wie nie zuvor und wie nirgends sonst ihren eigenen Nutzen zu verfolgen… Auch dass sich Gelegenheit bot, die Raufbolde an ferne Fronten abzuschieben (man denke an die Kreuzzüge), trug zur Befriedung bei… Die ökonomische Entfaltung des mittelalterlichen Europas wurde … durch eine Folge von organisatorischen Neuerungen und Anpassungen befördert…