Houston Stewart Chamberlain

Mensch und Gott


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Wie Montaigne sagt: Il y a plus de distance de tel à tel homme, qu'il n'y a de tel homme à telle bête (I. 1, ch. 42: es besteht eine größere Entfernung zwischen Mensch und Mensch als zwischen manchem Menschen und manchem Tier).

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      Vorläufig genügt uns dieses Ergebnis, indem es uns als Sprungbrett zu der zweiten Frage – derjenigen nach der Gedankengestalt Gott – dient.

      Gleich Anfangs sahen wir die Begriffe Mensch und Gott so eng zusammenhängen, daß sie garnicht voneinander zu trennen sind; steigt die Vorstellung von der Menschenwürde, so wird zugleich die Vorstellung Gottes eine würdigere, und umgekehrt. Auch hier hat Plato den Weg gewiesen, indem er zeigte, daß zahlreiche Gedankengestalten paarweise auftreten, und dann ein verschiebbares Gefüge bilden, innerhalb dessen eine jede der beiden Gestalten zu der anderen überquer steht, sie teils ergänzend, teils aufhebend – etwa wie Männliches und Weibliches. So verhält es sich z. B. mit den von ihm eingeführten Vorstellungen Art und Gattung: wer den Begriff Art denkt, kann nicht anders als den Begriff Gattung zugleich denken und umgekehrt, so genau wird der eine durch den anderen gefordert; zugleich sind diese beiden Gedankengestalten derartig gegeneinander verschiebbar, daß jede Art zu einer Gattung erweitert, und jede Gattung zu einer Art zusammengezogen werden kann – Verschiebungen, die wir in den beschreibenden Naturwissenschaften täglich erleben3. Zwischen Mensch und Gott besteht zwar nicht ein gleiches Verhältnis, jedoch immerhin ein vergleichbares: die Beziehungen zwischen diesen beiden Gedankengestalten sind ebenso eng und unlösbar, doch geheimnisvoller und schwer in nüchternen Worten faßlich zu machen. Bei dem Gestaltenpaar Gattung und Art beziehen sich beide Glieder des Paares letzten Endes auf sichtbare Erscheinungen; wogegen es für Mensch und Gott bezeichnend ist, daß dieses Paar die Grenzen der Erfahrung überfliegt (die Fachmänner sagen: transscendiert) und immerfort hinüber und herüber gleitet – aus der Sichtbarkeit in die Unsichtbarkeit, aus der Begreiflichkeit in die Unbegreiflichkeit, aus der Vorstellbarkeit in die Unvorstellbarkeit, und wieder in die Sichtbarkeit, die Begreiflichkeit und die Vorstellbarkeit zurück. Das gerade gehört zum Wesen dieses Gedankengestaltenpaares: der Gedanke Mensch weist vom allerersten Augenblick an, in welchem er gedacht wird, aus dieser Welt hinaus in eine andere, nur geahnte, wogegen der Gedanke Gott jene geahnte andere Welt in diese sichtbare einbezieht. Indem der Mensch sich von der sonstigen Kreatur unterscheidet, maßt er sich Geistesgaben und Eigenschaften des Gemütes an – oder wir können auch sagen, er entdeckt sie in sich – die ihn nötigen, für die neue Würde einen neuen mächtigen Stützpunkt zu gewinnen; wenn das Bild nicht allzu kühn erscheint, möchte ich sagen: er muß in ein früher ihm unbekanntes Element einen Anker (gleichsam nach oben) auswerfen, der ihm nicht nur in den Stürmen des Lebens sicheren Halt bietet, sondern an dem er sich nach und nach immer höher hinaufhissen kann. Dagegen ist es dem Gottesgedanken natürlich und notwendig, hinab in die Welt der Sichtbarkeit, in die Welt des Menschen zu streben, wo allein er Wirklichkeit gewinnt. Oft weisen unsere Mystiker darauf hin, wie genau die Gedankengestalt Gott durch die Gedankengestalt Mensch bedingt wird. Man denke sich den seines Menschtums bewußten Menschen im Weltall nicht vorhanden, der Begriff Gott wird nirgends mehr gedacht, er ist ausgelöscht, als wäre er nie gewesen: mit dem Menschen schwindet auch sein Gott dahin; mit Recht dichtet Angelus Silesius:

      Ich weiß, daß ohne mich Gott nicht ein Nu kann leben;

       Werd' ich zu nicht, er muß vor Not den Geist aufgeben.

      Nicht minder schwindet Gott dahin, sobald der Mensch des Gedankens seiner Menschenwürde verlustig geht; denn die Annahme, ein solcher Mensch müßte dennoch Gott an seinen Werken erkennen, beruht auf einer falschen Voraussetzung. Pascal hat unwiderleglich dargetan, daß die Natur kein Göttliches offenbare, vielmehr Gott sich in ihr nur denen zeige, die Gott schon glauben; denn jede Erscheinung, die der Apologet zum Beweise des Daseins Gottes heranzieht, könne mit gleichem Recht für das Gegenteil angeführt werden ( Pensées, Nr. 242–244, 557 usw.). Der Glaube an Gott geht voran und entsteht, wie gesagt, ursprünglich als Denknotwendigkeit. Es treten mit der Zeit allerhand andere Erscheinungen hinzu: Geisterglauben, Dämonenglauben, Götterglauben mit allen daraus hervorgegangenen Kulten und Observanzen, und – wie wir gleich sehen werden – es pflegt die ursprüngliche Gottesvorstellung vor dem verwickelteren Apparat in den Hintergrund zu entschwinden; ja, es ist für den auf diese Weise gewonnenen Gedanken an Gott bezeichnend, daß er meistens sein eigenes Leben außerhalb der Kulte und Dogmen führt; wird er auch später mit ihnen verwoben, es bleibt doch einem schärferen Auge sein Wesen als das eines fremden Gastes nicht verborgen.

      Über diesen Gegenstand steht uns nämlich ein reicher Vorrat an zuverlässigen Berichten zur Verfügung; denn jene gleich zu Anfang dieses Kapitels flüchtig erwähnte, unsere Wissenschaft überraschende Tatsache der Allgegenwart des Gottesgedankens auf der ganzen Erde gehört, meiner Überzeugung nach, hierher: es handelt sich zunächst nicht um einen irgendwie gefolgerten, empfundenen, geahnten Schöpfergott – wie unsere Religionsforscher vielfach schließen – sondern vielmehr um einen Gedanken, den auch der einfachste, im Nachsinnen ungeübteste Kopf nicht umhin kann zu denken: daher die ausnahmslose Allgemeinheit des Gedankens und zugleich seine verhältnismäßige Blässe. Der in diesen Fragen noch unbewanderte Leser greife zunächst zu Andrew Lang's The Making of Religion, P. W. Schmidt's Der Ursprung der Gottesidee und zu Leopold von Schroeder's Arische Religion, Band I, von wo aus er den Weg zu weiterer Literatur finden kann. Unter jedem Himmelsstrich, im Norden und Süden wie auf dem Äquator, in Asien und Amerika wie in Australien, Ozeanien und Afrika, allüberall, wo es nur menschenähnliche Geschöpfe gibt, da findet sich die Vorstellung eines höchsten Wesens – die Vorstellung Gottes – gleichsam (wie Lang sich ausdrückt) »eines vergrößerten übernatürlichen Menschen«. Bezeichnend für dieses höchste Wesen ist, daß es stets als gut vorgestellt wird, häufig auch als Wächter der Tugend, der (so z. B. bei den angeblich tiefstehenden Australnegern) Keuschheit, Mitleid, Uneigennutz und Treue gegen das gegebene Wort lehrt. Nicht minder bezeichnend ist aber der geringe Raum, den dieses Wesen im öffentlichen Kult einnimmt, indem es nur auf dem dunklen Hintergrund des Bewußtseins verharrt, während allerhand Geister- und Dämonen- und auch Götterspuk im Vordergrund des Lebens sich breitmacht. Dieser Gott ist zu heilig, um viel im Munde geführt, und zu gütevoll, um gefürchtet zu werden; daher tritt er zurück vor den der Abwehr böser Dämonen gewidmeten umständlichen magischen Riten und vor den den Ahnen und den guten Geistern zu Ehren gefeierten Opferfesten. Je weniger zivilisiert, je freier von Priestertum und von allen Religionsgebräuchen, um so deutlicher wird die Nähe dieses reinen Gottes empfunden, und um so wirksamer erweisen sich die sittlichen Gebote, die auf ihn zurückgeführt werden – als Beispiele nenne ich die Andamanesen-Insulaner und die Buschmänner; mit dem Aufkommen religiöser Gebräuche und namentlich eines Priestertums verdunkeln sich sowohl Vorstellung wie Lehre, da die Menschen nunmehr den Hauptwert auf bestimmte Kulthandlungen, Wortformeln, Opfervorschriften und dergleichen legen. Doch schwindet diese älteste und echteste Gedankengestalt Gott niemals und nirgends ganz hin, kann es auch nicht, weil sie, wie gesagt, einer unentrinnbaren Denknotwendigkeit entspringt und nur dort dem Geiste verloren geht, wo der Begriff Mensch alle Geltung verliert; weswegen dieser Gottesgedanke auf den Gipfeln religiösen Lebens stets wiederkehrt und auch heute Bedeutung besitzt, wie ich bald zeigen werde. Vorher möchte ich noch einen Augenblick bei den guten, viel verlästerten Wilden bleiben.

      Lehrreich finde ich es, die Namen zu erfahren, welche die urtümlichen Menschen zur Bezeichnung dieses Göttlichen gebrauchen. Häufig heißt es der Vater, der große Vater, unser allgegenwärtiger Vater, oder der Alte, der Alte des Himmels, der alte Mann (im Sinne eines von jeher Dagewesenen), sehr häufig auch der Gute, der Wohltäter, der große Freund, anderwärts der Himmlische, der Himmelsherr, der Alte im Himmelland, manchmal auch kurzweg der Himmel, seltener heißt es der Herr oder der Meister. Diese naiven Benennungen bedeuten eben so viele Zeugnisse für den Ursprung der Idee eines höchsten Wesens ( Gott) aus der Forderung eines Gegenstückes zu der Idee Mensch. Denn, sich als Mensch erkennen heißt, sich von allem übrigen Leben grundsätzlich unterscheiden und bedeutet den Entschluß, sich als ein Höheres – mit höheren Rechten, Forderungen und Erwartungen – zu behaupten. Dies schließt notwendig in sich die Vorstellung eines Übermenschen (um Goethe's Ausdruck zu gebrauchen), eines besseren