königliche Gesellschaft im August 1011 tatsächlich mehrere Tage oder gar mehrere Wochen in Kaufungen bleiben oder nicht etwa die baulichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen in Kassel bevorzugen würde. Denn zumindest der Kanzleiangehörige GA, der schon am 18. Juli in Trebur bei Heinrich weilte,17 dürfte im königlichen Gefolge mitgereist sein und muss daher die Reisepläne gekannt haben. Alternativ bliebe nur die unwahrscheinliche Lösung, dass er, im Wissen um das spätere Eintreffen des Erzbischofs, das Magdeburger Privileg einschließlich der Datumszeile schon vor der Ankunft im Kasseler Becken vorbereitet hatte.
Standort und Gründung der klösterlichen Gemeinschaft in Kaufungen
Die beiden im Abstand von zehn Tagen ausgestellten Diplome vom August 1011 entsprechen den üblichen Verwaltungstätigkeiten, die am Königshof jeweils vor Ort stattfanden und uns heute erlauben, die Reisebewegungen des Königs durch sein Land nachzuvollziehen. Selbst wenn der Ort nachgetragen wurde, bedeutet dies trotzdem, dass sich die früher in der befestigten Siedlung Kassel ausgeübten Dienstaufgaben nach Kaufungen verlagert hatten. Wir wissen allerdings nicht, warum Heinrich und Kunigunde die königliche Unterkunft von der geschäftigen Betriebsamkeit des Kasseler Wirtschaftshofes in den untergeordneten Nebenhof mit Wallburg verlegt haben, auch wenn in dessen Nähe der Königsforst des Kaufunger Waldes hervorragende Jagdmöglichkeiten bot. Unabhängig vom Kasseler Fronhof werteten sie damit langfristig den Nebenhof zum Grundstock der späteren Stifts- oder Klostergründung auf.
In der Forschung ist umstritten, ob der Kasseler Zentralhof bei diesem Vorgang zu einem Nebenhof herabgestuft und von der curtis Kaufungen aus verwaltet wurde oder ob der zentrale Wirtschaftshof weiterhin in Kassel verblieb, während nur die Pfalz nach Kaufungen abwanderte. Grundproblem ist, dass der Begriff curtis sowohl den Zentralhof mit einer Unterkunft für den König und seine engere Umgebung als auch die königliche Hofhaltung bezeichnen konnte.18 Zudem divergieren die historischen Begriffe für die königlichen Aufenthaltsorte, wobei curtis und villa eher einen grundherrschaftlichen Wirtschaftshof, castrum und castellum eine befestigte Anlage bezeichneten. Wenn der bekannte Geschichtsschreiber Thietmar von Merseburg also behauptet, dass der Kaiser 1015 in Kaufungen weilte, wohin er seinen Hof (curtis sua) aus der Stadt Kassel transferiert hätte,19 dann sind beide Deutungen möglich: die Verlegung des gesamten Wirtschaftshofes oder die Verlegung allein der Pfalz nach Kaufungen.20
Es ist jedoch anzunehmen, dass die persönliche Wendung curtis sua eher auf die Hofhaltung, speziell die Einrichtungen für die Beherbergung des Königs, deutet als auf den Kasseler Zentralwirtschaftshof. Gegen dessen Verlegung spricht auch, dass die neue Kaufunger Stiftsvillikation 1019 aus dem östlichen Kasseler Königsgut herausgelöst wurde, ein Schritt, der den Oberkaufunger Wirtschaftsnebenhof (villa) erst zur curtis, also zum Haupthof, eines neu eingerichteten eigenen Güterkomplexes aufwertete. Dieser Vorgang ergibt nur dann einen Sinn, wenn der alte Kasseler Zentralhof weiterhin das übrige Königsgut verwaltete.21 Die Interpretation, dass sich nur die Hofhaltung nach Kaufungen verlagerte, würde obendrein durch einen Vergleich mit einem nur wenige Jahre später ablaufenden Geschehen im niedersächsischen Raum gestützt: Die bei Wolfenbüttel liegende Pfalz Werla siedelte 1015 in das nicht weit entfernte Goslar über, ohne dass Werla dabei den Verwaltungssitz verloren hätte.22
Über Alter und Bedeutung des Ortsnamens Coufungon kann nur spekuliert werden. Der Name selbst lässt keine Rückschlüsse auf einen alten Handelsplatz zu, dessen verkehrstechnische Voraussetzungen diejenigen in Kassel übertroffen hätten. Beide Standorte ergänzten sich vielmehr gegenseitig: Kaufungen lag bekanntlich an einem Ost-West-Handelsweg, der durch den Kaufunger Wald nach Thüringen führte, Kassel hingegen an einer günstigen Nord-Süd-Strecke, die sich nördlich der Stadt in drei Zweige aufteilte, nach Nordwesten zum Niederrhein, nach Norden zur Weser und nach Nordosten in das Leinegebiet. Auch die 1019 an Kaufungen verliehenen und 1041 erweiterten Marktrechte23 knüpften keineswegs an alte Handelsprivilegien an.
Trotzdem könnte die Namensform weiter zurückreichen, wenn wir annehmen, dass das Doppeldorf Kaufungen zusammen mit Kassel, Vellmar, Wehlheiden und Zwehren zu den vorkarolingischen Siedlungen der Kasseler Beckenlandschaft gehörte24 und als Zentrum jenes Gebiets östlich der Fulda zu erschließen ist, das 813 als Erbe eines dux Gerhao um den Kaufunger Wald ergänzt wurde.25 Es könnten Teile dieses an das Königtum gefallenen Erbes gewesen sein, die Heinrich II. zur Ausstattung des Kaufunger Stifts verwendete. Denn dem Ort ist als Verwaltungssitz des Kaufunger Waldes schon vor 1008 eine Sonderstellung innerhalb des Kasseler Königsgutes zuzuschreiben. Anhand der Topographie hat Klaus Sippel zudem eine mutmaßliche Wallburg für den Kirchberg erschlossen und festgestellt, dass sie spätestens in das 10. Jahrhundert, vermutlich aber noch wesentlich früher zu datieren sei.26
Für frühe Besuche des Königs- und späteren Kaiserpaares in Kaufungen sprechen außer den beiden Ersterwähnungsdiplomen von 1011 und einer für das Kloster Fulda ausgefertigten Urkunde vom 11. Mai 1015,27 die zeitlich mit der besagten beiläufigen Bemerkung Thietmars von Merseburg harmoniert, noch weitere Indizien. Sie demonstrieren einleuchtend, dass vor diesen bekannten Kö nigsaufenthalten erste Planungsschritte erfolgt sein müssen. Archäologischen Befunden zufolge muss Heinrich II. im Kontext der in Ingelheim ausgestellten Schenkung vom Mai 1008 an seine Gemahlin den bescheidenen Bau der Eigenkirche St. Georg, der heutigen Georgskapelle, initiiert haben. Dem Herrscherpaar bot sie bei dessen Besuch im Mai 1011 eine Empore; später fungierte sie als Pfarrkirche.28 Dabei komplettierte sie die Pfalzanlage, zu der ein Burgwall zur Verteidigung und ein Palatium für Wohn- und Repräsentationszwecke gehörten.
Größer und bedeutsamer war vermutlich ein dem hl. Benedikt geweihter Baukomplex, dessen Kryptareste sich bis heute im Keller des Rentereigebäudes erhalten haben. Dieses Gotteshaus mag aus dem ersten Pfalzstift hervorgegangen sein und dann als standesgemäße Pfalzkapelle mit Krypta gedient haben.29 Im Mai 1015 verbrachte jedenfalls das im Vorjahr zu Kaiser und Kaiserin gekrönte Paar die rogacionum dies, also Montag bis Mittwoch (9.–11. Mai) in der Woche vor Christi Himmelfahrt, das damals auf den 19. Mai fiel, in Capungun.30 Ob die Anlage zu diesem Zeitpunkt gehobenen Ansprüchen genügte und eine größere Reisegesellschaft beherbergen konnte, ist nicht gesichert. Wir wissen jedoch, dass damals Erzbischof Erchanbald von Mainz, der Abt von Fulda, die Bischöfe von Bamberg, Würzburg, Augsburg, Freising und Regensburg und vier Grafen jeweils mit Gefolge sowie etliche Fuldaer und Bamberger Ministerialen den Kaiser begleiteten, um hier einen Gütertausch zwischen den Klöstern Fulda und Michelsberg zu bezeugen.31 Das Pfingstfest, das der Herrscher bevorzugt in größeren Pfalzen oder Klöstern des Reiches beging, folgte zwar erst am 29. Mai, aber man könnte mit dem Gedanken spielen, dass St. Benedikt bei dieser Gelegenheit genutzt und vielleicht sogar geweiht wurde.32
Bei mindestens drei weiteren Aufenthalten in den Jahren 1017, 1019 und 1020 konnte der Herrscher den Ausbau seiner Pfalz verfolgen und alle Fortschritte persönlich überprüfen.33 Den Höhepunkt bildete die Gründung eines der Benediktsregel folgenden Nonnenklosters oder eines Kanonissenstifts.34 In zwei Urkunden vom Dezember 1017 privilegierte Heinrich – angeblich nach der Genesung seiner Gattin von einer schweren Krankheit und aufgrund deren Gelübde, ein Kloster zu errichten – die religiöse Institution.35
Den Grundstock dieser Schenkung bildeten zwei verkehrsgünstig gelegene, recht wohlhabende Höfe Heinrichs, nämlich Hedemünden (Hademinni) an der Werra und Heroldishausen am Westrand des Thüringer Keuper-Hügellandes.36 Hedemünden lag nicht nur an einer viel befahrenen Furt am Übergang zum Leinetal, sondern verfügte auch über stattliche Waldflächen und ein großes Ausbaupotential. Das Dorf Oberheroldishausen, nicht weit von Mühlhausen in Thüringen, umfasste zusätzliche Güter in Niederheroldishausen und Rechte in Flarchheim. Es besaß nicht nur landwirtschaftlich ertragreiche Flächen, sondern lag verkehrstechnisch noch vorteilhafter an der Fernhandelsstraße von Nürnberg im Süden nach Norden. Beide Besitzungen blieben dem Kloster mehr oder weniger bis zur Reformation erhalten. Sie sicherten der neuen Gemeinschaft wichtige Einkünfte, um den Unterhalt der Bewohnerinnen zu bestreiten und die notwendigen Bauten zu errichten. Eine weitere Zuwendung, das Gut Leidenhofen im Lahngau nicht weit von Marburg,37 folgte am 16. Juni 1018. Diesen Besitz konnte Kaufungen