Roman Sandgruber

Hitlers Vater


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im hohen Adel, aber auch im vermögenden Judentum oder in abgeschiedenen dörflich-bäuerlichen Situationen, wie es in Spital bei Weitra der Fall war. Auch diesbezüglich gab Hitler Anlass für Tratsch, weil seine Stellung eine ganz andere war und es für inzestuöse Heiratsstrategien keinerlei logische Gründe gab.

      Dass Alois Hitler neben seinen drei Ehen auch mehrere uneheliche Kinder zugeschrieben wurden, im Waldviertel, in Wien oder auch in Schwarzenberg im obersten Mühlviertel, wo er sicher nie war, gehört zur Mythenbildung, die sich in den 1930er Jahren entfaltete, als sein Sohn Adolf berühmt geworden war. Im Jahr 1867/68 soll es eine Affäre mit einer gewissen Thekla Penz, geboren am 24. September 1844 in Arbesbach, Bezirk Zwettl, gegeben haben, aus der eine Tochter namens Theresia hervorgegangen sei.90 Diese habe später in Schwertberg einen Johann Ramer geheiratet und mindestens sechs Kinder zur Welt gebracht, also Cousins und Cousinen Adolf Hitlers aus einem Seitensprung des Vaters.91 Eines dieser Kinder namens Fritz hätte mit Adolf Hitler eine derartige Ähnlichkeit gehabt, dass Jetzinger zu ihm in den 1950er Jahren gesagt haben will: »Wenn Sie sich weiter diese Hitler-Frisur machen, nehmen Sie die Amerikaner noch als vermeintlichen Adolf hopp!« und man diesem laut Jetzinger schon sieben Jahre früher im Sippenamt bedeutet haben soll: »Sie braucht man bloß anzusehen, dann weiß man, dass Sie vom alten Hitler stammen.«92 Ähnlich verhält es sich mit einem Cousin in Schwarzenberg, der noch mehr ein Phantom ist als Theresia Penz.93 Auch in Wien munkelte man über uneheliche bzw. außereheliche Kinder. Da könnte man aber auch an eine Verwechslung mit der Patenschaft denken. Und alle diese Geschichten tauchten erst in den 1930er Jahren auf.

       Die dritte Heirat

      Als Alois Hitler 1885 zum dritten Mal heiraten wollte, diesmal Klara Pölzl, ein Enkelkind von Johann Nepomuk Hüttler, ergaben sich aus seiner vorausgegangenen Legitimierung ernste Schwierigkeiten: Denn die auserwählte Braut Klara Pölzl war damit zu einer Großcousine und die formelle Verwandtschaft zu einem Ehehindernis geworden, für das eine päpstliche Inzestdispens erforderlich war. Und hätte sich Johann Nepomuk, der Großvater der Braut, 1876 als Vater von Alois deklariert, wäre eine Dispensierung gesetzlich überhaupt nicht möglich gewesen.

      Was Alois zu der Heirat bewog, ob er sich einer inzestuösen Schuld bewusst war, wen er selbst für seinen Vater hielt und ob die Entscheidung aus Liebe, finanziellen Gründen oder schlicht aus dem Zwang erfolgte, rasch wieder eine Hausfrau und Mutter für die Kinder zu finden, muss offen bleiben. Nach Franziskas Krankheit und ihrem frühen Tod brauchte er jedenfalls möglichst sofort eine Hausfrau und Betreuerin für die Kinder. Wenn 1876 bei der Legitimierung die Aussicht auf einen Anteil an Johann Nepomuks zu erwartendem Erbe tatsächlich eine Rolle gespielt haben sollte, so war dies erst durch die Heirat mit dessen Enkelin wirklich in greifbare Nähe gerückt. Und erst als 1888 dessen Tod tatsächlich eintrat, konnte Alois an dem Erbteil, der Klara vielleicht zustand, als ihr Gatte partizipieren.

      Vorerst war ein Ansuchen an den Bischof zu stellen, das dieser gar nicht selbst entscheiden durfte, sondern in lateinischer Übersetzung an den Papst nach Rom weiterleiten musste: »Die in tiefster Ehrfurcht Gefertigten sind entschlossen, sich zu ehelichen. Es steht aber denselben laut beiliegendem Stammbuch das kanonische Hindernis der Seitenverwandtschaft im dritten Grad berührend den zweiten entgegen. Deshalb stellen dieselben die demütige Bitte, das Hochwürdige Ordinariat wolle ihnen gnädigst die Dispens erwirken.« 94 Als Gründe wurden angeführt, dass Alois seit 10. August verwitwet sei und für zwei unmündige Kinder zu sorgen habe, für welche er notwendig einer Pflegerin bedürfe, da er als Zollbeamter den ganzen Tag, oft auch nachts, vom Hause abwesend sei und daher die Erziehung der Kinder nur wenig überwachen könne. Dass die Braut die Pflege der Kinder bereits nach dem Tod der Mutter übernommen habe und diese ihr sehr zugetan seien, erlaube ferner den Schluss, dass die Erziehung derselben gedeihen und die Ehe eine glückliche werden würde. Überdies habe die Braut kein Vermögen und es dürfte ihr daher nicht so leicht eine andere Gelegenheit zu einer anständigen Verehelichung geboten werden, wurde noch recht materialistisch hinzugefügt.

      Für den kirchlichen Amtsweg überraschend schnell kam aus Rom die positive Erledigung. Unmittelbar darauf fand am 7. Jänner 1885 die Trauung statt. Trauzeuge war wieder der Amtskollege Ludwig Högl. Die Braut war hochschwanger und die Hochzeit wenig feierlich. »Um 6 Uhr früh haben wir in der Stadtpfarrkirche von Braunau geheiratet, und um 7 Uhr ging mein Mann schon wieder in den Dienst«, soll Klara später erzählt haben.95 Die Küchenhilfe Rosalia Schichtl bereitete ein Hochzeitsfrühstück, an dem auch die Trauzeugen teilnahmen. Für ausgedehnte Feierlichkeiten, wie sie in der bäuerlichen und auch bürgerlichen Umgebung damals üblich waren, fehlten Geld und Zeit. Ein Hochzeitsurlaub oder auch nur ein freier Tag waren zur damaligen Zeit für Beamte ohnehin nicht vorgesehen, wie auch andere Zollbeamte noch Jahrzehnte später erleben mussten.

      Der Altersunterschied zwischen den beiden Eheleuten war mit 23 Jahren diesmal noch größer als bei der zweiten Heirat: Alois war 48 Jahre alt, Klara 25. All das war nicht ohne erotische Reize: Nicht nur die große Altersdifferenz und die bereits sichtbare Schwangerschaft, sondern auch die nicht ganz klaren verwandtschaftlichen Verhältnisse gaben Anlass für Tratschereien: Klara sprach ihren Ehemann noch lange Zeit weiter als Onkel an. Für sie war es tatsächlich die große Chance, im Haushalt des Beamten Alois Hitler nicht nur eine finanzielle Absicherung, sondern auch einen Statusgewinn zu finden.

      Das Dienstmädchen Rosalia Schichtl, das bei den Hitlers gearbeitet hatte, schied aus dem Haushalt, weil man sie nicht mehr brauchte und sie im Sommer 1889 den Kaufmann und Hausbesitzer Georg Hörl heiratete. Ihren früheren Dienstgeber beschrieb Hörl, allerdings im Jahr 1940, einerseits als »ausgesprochen pflichtbewusst, arbeitsfreudig und strebsam, der ganz in seinem Dienst aufging«, anderseits als »gemütlich und sehr rücksichtsvoll«. »Er war kein Schuft«, sagte sie.96

      Für die Heirat mit seiner Großcousine Klara Pölzl war eine päpstliche Inzestdispens erforderlich: Abschrift des Schreibens an den Bischof.

      War bei ihrer Trauung mit Alois Hitler bereits hochschwanger: Klara Hitler, um 1885. Die nicht ganz klaren Verhältnisse gaben schon damals Anlass 68 zu Tratschereien.

      Alois Hitler wohnte damals bereits in dem später so bekannt gewordenen »Hitler-Haus«, damals »Gasthof zum Braunen Hirschen«. Noch vor der Eheschließung war das Paar von der Adresse »Außer der Stadt 291«, wo Hitler während der Ehe mit Matzelsberger gewohnt hatte, in den Gasthof Dafner, später bekannt als Gasthof Pommer, Vorstadt 219, übersiedelt. Bereits vier Monate nach der Hochzeit, am 17. Mai 1885, kam das erste Kind: Gustav Hitler, und am 25. September 1886 bereits ein weiteres: Ida. Aber das Schicksal meinte es nicht gut: Gustav verstarb als Zweieinhalbjähriger am 8. Dezember 1887 kurz nach Idas Geburt an Diphtherie und er hatte vorher auch noch Ida angesteckt, die ihm am 2. Jänner 1888 in den Tod nachfolgte. Ob es mit diesen geballten Schicksalsschlägen zusammenhing, dass Alois in Briefen sehr viel später von einer schweren psychischen Krise sprach, die er damals durchgemacht hatte, und fünf Tage nach dem Begräbnis am 7. Jänner 1888 ein sehr merkwürdiges Inserat in der Neuen Warte am Inn platzierte? »Elegante Wohnung, 1. Stock, 4 Zimmer, Küche, Keller, Boden, größerer Obst- und Gemüsegarten nebst Stallung zu beziehen. Mietzins sehr mäßig. Näheres bei Herrn Alois Hitler.«97 Was hinter diesem Inserat steckt, bleibt im Dunkeln. Wollte die Familie, die innerhalb eines Monats zwei Kinder verloren hatte, die zu große Wohnung abgeben? Dachte Alois an eine Übersiedlung, vielleicht ins Waldviertel? Wollte er vorzeitig in Pension gehen? Dachte er, keine Kinder mehr zu haben? Man muss das Inserat als Ausdruck tiefer Verzweiflung und Resignation interpretieren: Die Hitlersche Familienplanung schien gescheitert. Dass aus dem Wohnungswechsel dann doch nichts wurde, hat der Weltgeschichte eine tragische Wendung beschert.