eine Ausstellung von fünfzig und mehr seltenen Taubenarten besuchen wollte. Zu seinem größten Erstaunen wusste man dort nichts von einer dergleichen Veranstaltung. Da zog er eine gedruckte Anzeige aus der Tasche heraus, auf der in der Tat eine solche Ausstellung angekündigt und Fantastisches auf dem Gebiete der Taubenzucht versprochen wurde. Es sollten da alle bekannten und viele nie gesehene Rassen sein: nicht nur Trommel-, Schleier-, Hauben- oder Perückentauben, Pfauentauben, Tümmler, Möwchen und andere, sondern auch afrikanische und ostasiatische Arten, die man bisher noch nicht in Europa gesehen hatte.
Der Großbauer war einer Mystifikation1 zum Opfer gefallen, man hatte ihn aufsitzen lassen, ihn angeführt. Wochen hindurch war der Spaß von dem geselligen Kreise, mit dem er im Honoratiorenstübchen zusammenkam, vorbereitet worden, und man hatte den fanatischen Taubenfreund mit Schilderungen der zu erwartenden Wunder in immer größere Spannung versetzt und aufgeregt. Der gewagte, aber gelungene Scherz, der die Schwäche einer Tugend ausnützte, wurde von dem Ortsoriginal Doktor Richter angeführt. Man hatte sich dabei weidlich auf Kosten des armen Gefoppten amüsiert.
Auch der Taubennarr ist nicht immer nüchtern gewesen. Als ein Teil seiner Gutsgebäude und auch der mit den Taubenschlägen abbrannte, holte man ihn aus dem Wirtshause. Und als er vor dem brennenden Gehöft umhertaumelte und seine Tauben teils fliegend entkamen, teils mit brennenden Federn in die Flammen zurück oder tot auf die Erde schlugen, soll er nur immer empört gerufen haben: »Nu da saht ersch, nu da saht ersch, wo meine Tauba sein.«
Mein Vater, der für die Eigenart seiner Mitmenschen viel Interesse besaß, war Zeuge dieses Vorganges und erzählte ihn oft sowie auch die Fopperei mit der Taubenausstellung.
Nun überkam meinen Bruder Carl in gemilderter Form eine ähnliche Taubenleidenschaft. Er wünschte sich immer neue Sorten, die er auch nach und nach erhielt, schließlich besaß er auch in besonderen Käfigen Lachtauben. Er hatte die Besorgung des großen Taubenschlages unter sich, und ich habe ihm öfters dabei geholfen. Er trieb eine regelrechte Bewirtschaftung, deren materieller Ertrag ihm ausdrücklich gewährleistet wurde. Eier seltener Sorten wurden verkauft, Junge einfacher Rassen desgleichen, wo etwa Krankensuppen verlangt wurden. Wir stellten verwilderten Katzen nach, die sich mitunter an jungen Tieren vergriffen. Ein besonderes Kapitel der Taubenzucht waren die in andere Schläge Verirrten oder Verflogenen, die mein Bruder oft nur nach Kämpfen mit Bauern, Bauernknechten und Bauernweibern zurückerobern konnte, und Klagen über den Flurschaden, den Carls Tauben unter der Winter- und Frühjahrssaat wie gewöhnlich anrichteten. Es wurden sogar, weil sich die Flüge immer vergrößerten, Beschwerden bei der Ortsbehörde eingereicht.
Vielfach habe ich meinen Bruder begleitet, wenn es galt, verflogene Exemplare zurückzuholen, und bei dieser Gelegenheit die entferntesten Teile des Ortes kennengelernt, überhaupt meinen Vorstellungskreis bedeutend erweitert. Späher und Denunzianten, befreundete Jungens, die sich in Carls Dienst stellten, berichteten aller Augenblicke, wie sie beim Bauern Tschersich in Weißstein, beim Maurermeister Schmidt im Flammenden Stern, im Warschauer Hof, beim Gutsbesitzer Soundso im Niederdorf einen Mohrenkopf, einen Tümmler oder eine sonstige Seltenheit aus seinem Schlage unter den gewöhnlichen Tauben erkannt hätten. Dann brach Carl allein oder in meiner Gesellschaft auf, um der Sache mit Spannung nachzuspüren. Unser Beginnen, das wir mit Vorsicht und Umsicht, öfters mit Schleichen, Horchen und Auf-der-Lauer-Liegen durchführen mussten, hatte seinen besonderen Reiz. Naturhaftes an Instinkt wurde aufgerufen. Und schließlich war der Mut des offenen Hervortretens nötig, der Mitteilung unter den Augen des Bauern, dass ein fremdes Eigentum unter seine Tauben geraten sei. Bestritt er es, was fast immer geschah, so musste man in der meist immer heftiger werdenden Auseinandersetzung von Bitte zu Forderung aufsteigen.
Auch kleine Leute hielten Tauben, sogar die Bewohner vom Deutschen Haus, wie sich das Armenasyl von Salzbrunn bezeichnete, und dort konnten wir oft nur noch an den blutigen Federn das Schicksal einer Verflogenen feststellen.
In der Familie entstand eine üppige Legendenbildung über die unerschrockenen und sieghaften Rückeroberungszüge meines Bruders Carl, die besonders von Johanna gepflegt wurde, aber auch meines Vaters, ich glaube befriedigtes, Ohr gewann.
Meine Mutter war gar nicht kriegerisch, sie sah von dem allem nur die Kehrseite. »Weshalb«, sagte sie, »binden wir mit den Enkes an?« – Es waren unsere nächsten Nachbarn im Haus Elisenhof auf dem Kronenberg. – »Wir haben sie so schon oft genug auf dem Halse. Der Säufer Rudolf, mit dem sich Carl wegen einer lumpigen Taube gezankt hat, vergisst eine Kränkung nicht. Carl soll sich in acht nehmen, dass nicht die Leute vom Deutschen Haus ihm einmal im Dunkel übel mitspielen! Der Bauer Demuth hat gesagt: Ihr Junge nimmt den Mund sehr voll« – sein Gutshof war vom Gasthof zur Krone nur durch die Straße getrennt –, »Ihr Junge nimmt den Mund sehr voll, wir haben nicht nötig, Tauben zu stehlen!«
Die Tauben Carls machten große Aus- und Umflüge, denen wir gern mit den Augen nachfolgten, und nicht nur das, sondern auch mit den Füßen bei der erwähnten Suche nach Flüchtlingen. Einen weiteren Umkreis des Dorfes Salzbrunn genauer kennenzulernen, war das die beste Gelegenheit. So gerieten wir nach Adelsbach, nach dem nahen Konradstal, in dieses und jenes der Weißsteiner Bauerngüter, gerieten nach dem Ausflugsort Wilhelmshöh, ja einmal bis in den sogenannten Zips, ein liebliches Tal, das in den Fürstensteiner Grund mündete. In diesen Grund blickte von seiner felsichten Höhe das Schloss Fürstenstein, wo zuweilen der Fürst residierte, dem das Bad Salzbrunn gehörte und von dem so viel als dem Fürsten schlechthin die Rede war.
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Wenn das Taubeninteresse mich mit Carl in Berührung brachte, eine Spielgemeinschaft hatten wir nicht. Er besaß seinen eigenen Jungenskreis, und ich weiß nicht, was sie gemeinsam trieben. Dass es Spiele waren, wie ich sie liebte, glaube ich nicht. Wir haben uns, scheint mir, instinktiv voneinander ferngehalten, wobei allerdings der Unterschied im Alter, es waren vier Jahre, was in der Jugend viel bedeutet, mitgesprochen hat.
Schenken, nicht empfangen, war Carls höchster Genuss. Es mochte dabei schon damals ein Werben um Menschenseelen mitspielen. Mutter bekämpfte gelegentlich seine Freigebigkeit, aber er hatte eine schöne, eigenwillig moralische Art, abzuwehren. Er machte auf alle, die ihn hörten, auch Vater und Mutter, Eindruck damit.