vielleicht von dort, wo sie kurze Zeit vorher noch gewesen sind, Ahnungen mit.
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Ich hatte die Masern. Ich war glücklich darüber, denn ich brauchte ja nicht zur Schule zu gehen. Es war winters, etwa vier Wochen vor Weihnachten. Mein Krankenbett überstrahlte bereits der kommende Glanz. Aber es gab recht trostlose schlaflose Nächte. In einer habe ich am Zifferblatt der Uhr, die von Vaters Nachtlicht beleuchtet wurde, eine ganze Stunde lang die Sekunden aus verzweifelter Langerweile abgezählt.
Einmal dann gegen Morgen hatte ich einen kosmischen Traum. Es waren Größenverhältnisse der allerungeheuersten Art, die mir dabei anschaulich wurden. Nicht weniger sah ich als die im Raume rollende Weltkugel. Ich selber aber war hoffnungslos wie ein schwindelndes, todgeweihtes, minimales Leben darangeklebt, jeden Augenblick in Gefahr, in unendliche Räume abzustürzen.
Ich war erwacht, das Dienstmädchen kam, das Feuer im Ofen anzumachen. Ich glaubte, es müsste ebenfalls sehen und gesehen haben, was mir im Wachen fast noch wirklich vorschwebte, und fragte sie mehrmals in diesem Sinne. Ich glaubte, es werde mit mir in das gleiche, nicht endenwollende Staunen ausbrechen. Aber die Schleußerin hatte nur einen leichten Schreck davon.
Die Sonne ging auf, sie ging täglich auf. Sie brachte Farbe und Form und erweckte das Auge, beides zu sehen. Sie bildete beides in mich ein. Immer reicher und von immer größerer Vielfalt wurde auch meine nachtgeborene Traumeswelt. Auch der Wachtraum in seiner bewussten Form malt sich, entsteht auch wohl auf dem Urgrund der Nacht. Materie und Leere offenbarten sich mir zugleich in einer nie wieder gesehenen Furchtbarkeit.
Es wurde bereits gesagt, dass ich sowohl in der bürgerlichen Welt wie in der des damals so genannten niederen Volkes zu Hause war. In dieser Beziehung glich ich entfernt dem Euphorion, da ich mich immer wieder von der einen zur anderen hinab- und von jener zu dieser emporbewegte. In gewissem Sinne ging dies Auf und Ab immer höher hinauf, immer tiefer hinunter: etwa von der Réunion im kleinen Blauen Saal, wo sich die Elite der Badegesellschaft, Adel, Schönheit, Reichtum, Jugend, zusammenfand, irgendein namhafter Pianist sich hören ließ, von Beethoven, Liszt, Chopin und anderen großen Künstlern gesprochen und dabei Champagner, Mandelmilch, Sorbet und anderes getrunken wurde, bis zu einer gewissen Treppe Unterm Saal, wo arme Frauen, Töpfe im Arm, stundenlang anstanden bis zur Küchentür und auf Abfälle warteten. Und was die Breite meiner Euphorionbewegung betrifft und die Antäuspunkte ihrer Absprünge, so lagen diese bald in der vorderen, bald in der hinteren Welt, die durch den Hauptbau des Gasthofs getrennt wurden und von denen die eine die der glücklich Genießenden, die andere die der Arbeit, der Sorge, des Verzichtes, der Verzweiflung war.
Ohne die Sonnenseite des Daseins vor der Fassade des Hauses scheel anzusehen, rechnete ich mich doch durchaus zur anderen Partei, die gewissermaßen im Schatten lebte. Wieder und wieder stürzte ich mich ins Licht, doch nie, ohne bald in den Schatten zurückzukehren.
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Meine Träumereien, wachend wie schlafend, tags wie nachts, mochten vom Niederschlag meiner Erfahrungen gespeist werden, aber sie gingen weit darüber hinaus. Jägerszenen, Kämpfe mit Bären, Gegenwärtigsein bei sterbenden und gestorbenen Menschen, meine Eltern als Geister wiederkehrend, Fliegen ohne Flügel, wie ich oft im Traume tat, das konnte mit keiner meiner Erfahrungen irgendetwas zu tun haben.
Wer mir die ersten Märchen erzählt hat, weiß ich nicht, ich nehme an, meine Mutter. Ich selbst aber habe sehr früh den Kindern des Fuhrmanns Krause, Gustav und Ida, Märchen erzählt, und zwar in der Stube der Krauseleute, winters, zurzeit der Dämmerung. Wir hockten auf Fußbänkchen in der »Helle«. Das war ein gemütlich beschienener warmer Winkel zwischen Ofen und Wand.
Ida und Gustav wurden nicht müde, mir zuzuhören, selbst wenn ich Erfindungen auf Erfindungen stundenlang gehäuft hatte. Ich wurde von ihrem Hunger nach dem Wunderbaren ohne Gnade weitergepeitscht, bis meine Geisteskräfte den Dienst versagten, übermüdet und missbraucht.
Neuntes Kapitel
Vom Hof aus einige Sprünge schräg über die Straße wohnte in einem hübschen, villenartigen Hause der ältliche Apotheker Linke mit seiner jungen, schönen Frau. Alfred, ihr Sohn, war jünger als ich, und ich bin wohl noch nicht zur Schule gegangen, als er zum ersten Mal in meinen Gesichtskreis trat. Sein Gehabe erschreckte mich. Dinge, die schlechterdings nur imaginiert sein konnten, behandelte er als Wirklichkeit. Er habe, sagte er, eine Apotheke in Weißstein und eine Apotheke im Niederdorf. Sein Provisor in Weißstein mache ihm Sorge, sein Provisor im Niederdorf sei ein tüchtiger Mensch und arbeite zu seiner Zufriedenheit.
Diese krankhafte Art zu imaginieren hatte mit der meinen, wenn ich Märchen erzählte, durchaus nichts zu tun. Sie war mir ebenso neu wie unheimlich. Wirklichkeit blieb in meinem geistigen Haushalt Wirklichkeit, und Vorstellungen der Einbildungskraft wurden von mir nur als solche gewertet.
Alfred Linke war ein Knabe, den man mit jeder erdenklichen Sorgfalt betreute. Ausgesuchte Lehrkräfte leiteten seinen häuslichen Unterricht, der sich auch auf Musik erstreckte. Er erwies sich besonders klavieristisch als ein hochbegabtes Kind. Aber die Behauptung der Dorfjugend in solchen Fällen »Der ist ja aus Glas!« hatte auf ihn bezogen seine Richtigkeit. Ein natürliches Wort, ein Stoß vor die Brust, eine Prügelei hätte ihn, wie mir vorkam, in Scherben zerfallen zurückgelassen.
Alfred war gegen mich nicht abweisend. Seine Eltern erzeigten mir allenthalben viel Freundlichkeit, und doch hatte ich ihm gegenüber die Empfindung, wie man heute sagen würde, half-caste zu sein.
Dabei lag es durchaus nicht an meiner Mutter, wenn ich mit grauen, schlechten, fleckigen Kleiderfetzen und durchweichten Stiefeln vagabundierte. Sie sann sich die hübschesten Kittel aus, die ich jedoch, außer am Sonntag, mit Entrüstung ablehnte. Aber selbst sonntags, weil ich sie schonen musste und weil sie mich von meinen Kameraden, den Gassenjungen, unterschieden und von ihnen glossiert wurden, litt ich sie nur mit gemischten Gefühlen kurze Zeit.
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Es wird gesagt, dass die meisten Jugendspiele den Kampf nachahmen. Von einem gewissen Alter an vielleicht. Das Kapitel Kinderspiele verlangt ein Buch, das trotz einzelner Anläufe noch nicht geschrieben ist. In gewissen Jahren strebt das Kind, etwas anderes als es selbst zu sein. Es ist Hund, Pferd oder Dampfmaschine. Es kommt das einfache Fangespiel, worin sich Jäger und