Genehmigung des Autors).
Links und rechts
In Abbildung 2.2 konnten wir sehen, dass das Gehirn in eine linke und eine rechte Seite unterteilt ist. Bei der Betrachtung der Unterschiede zwischen linker und rechter Hemisphäre ist es wichtig, eine „Dichotomisierung“ zu vermeiden.
Im Laufe unserer Evolution als Wirbeltiere hatten die linke und die rechte Seite unseres Nervensystems unterschiedliche Funktionen inne (Halpern, Güntürkün, Hopkins & Rogers 2005). Der Vorteil dieser Asymmetrie, den wir Menschen mit Fischen und Fröschen, Eidechsen und Vögeln ebenso wie mit Ratten teilen, könnte darin liegen, dass wir durch stärkere Differenzierung eine größere funktionale Komplexität erreichen können. Warum sollten links und rechts oder oben und unten dasselbe sein? Wie an früherer Stelle bemerkt, entwickeln sich das Stammhirn und die limbischen Bereiche früher als der Kortex. Ihre Asymmetrien verweisen auf einen Unterschied in der Verbindungsfähigkeit der kortikalen Strukturen beider Hemisphären. Die sich herausbildenden strukturellen Unterschiede führen zu einigen relevanten und recht stabilen Funktionsunterschieden zwischen rechts und links. Die rechte Hemisphäre ist in den ersten zwei oder drei Lebensjahren aktiver und weiter entwickelt. Die linke tritt erst um den zweiten Geburtstag herum auf den Plan, dann kommt es in den folgenden Jahren zu periodisch unterschiedlich starken Entwicklungsschüben von links und rechts. Das verbindende Gewebe, der Corpus callosum, bekommt zu dieser Zeit ebenfalls seinen ersten Entwicklungsschub. Er dauert bis weit nach dem zwanzigsten Lebensjahr an.
Generell gesagt, kann man sich den Unterschied zwischen den Hemisphären so vorstellen, dass die kortikalen Säulen der rechten Hemisphäre mehr horizontale Verbindungen untereinander aufweisen, was die Repräsentationsprozesse stärker „kreuzmodal“ werden lässt in dem Sinne, dass die differenzierten Prozesse des einen Bereichs mit denen anderer Bereiche kommunizieren. Dies mag uns helfen zu verstehen, warum die rechte Gehirnhälfte leichter den Kontext und das Gesamtbild zu sehen vermag als die stärker detailorientierte linke Gehirnhälfte. In der linken Hemisphäre scheinen die Kortikalsäulen stärker eigenständig zu arbeiten, was die tiefer gehenden, analytischen, problemfokussierten, detailorientierten und Fakten akkumulierenden Prozesse dieser Hemisphäre ermöglicht.
Die Inputströme aus den subkortikalen Regionen speisen diese beiden Regionen mit verschiedenen Quellen sensorischer Daten, was uns ebenfalls zu verstehen hilft, warum solche Unterschiede auftauchen. Immer wieder wird nach Unterschieden zwischen den Geschlechtern gefragt, und so finden Sie hier eine allgemeine Aussage, die beide Geschlechter favorisiert. Die Entwicklung des weiblichen Gehirns scheint mehr Integration zu beinhalten, was auf eine größere Dicke des Balkens als Verbindung zwischen linker und rechter Hemisphäre zurückzuführen ist. Über das männliche Gehirn kann gesagt werden, dass es differenzierter und spezialisierter ist, so dass die getrennten Regionen intensiver eigenständig arbeiten können. Diese groben Verallgemeinerungen machen mich nervös, aber das ist meist die Art von Erkenntnis, die die Wissenschaft offenbart. In der klinischen Arbeit ist es wichtig, die Menschen so zu nehmen, wie sie sind, und nicht, wie sie der Statistik zufolge sein könnten.
Die Funktionen der linken Gehirnhälfte kann man sehr leicht im Gedächtnis behalten, weil die meisten von ihnen mit „L“ beginnen: Die linke Seite ist spezialisiert auf Linguistik, Linearität, Logik und literales (wörtliches) Denken.
Im Gegensatz dazu zeichnet sich die rechte Hemisphäre durch folgende Eigenschaften aus: Sie ist nonverbal, ganzheitlich, visuell-räumlich und weist schließlich noch eine ganze Reihe nicht zusammenhängender Besonderheiten auf wie das autobiografische Gedächtnis, eine ganzheitliche Landkarte des Körpers (Körperschema), rohe und spontane Emotionen, eine anfänglich empathische, nonverbale Reaktion, Stressmodulation und eine Dominanz des alarmierenden Aspekts der Aufmerksamkeit. Man geht davon aus, dass die rechte Seite bei Leid und unangenehmen Emotionen vermittelnd wirkt und dass sie mit dem Rückzugsverhalten gegenüber Neuem korreliert. Die linke wird stärker mit positiveren affektiven Zuständen und mit Annäherungsverhalten assoziiert. Die Koordination zwischen rechts und links könnte bei der Ausprägung unserer emotionalen Gesamtstruktur eine wichtige Rolle dabei spielen, wie das achtsame Gewahrsein unseren affektiven Stil verändert (Davidson 2000). Wie wir gesehen haben, scheint Achtsamkeit zu einem Annäherungszustand zu führen, der mit einer linksseitigen Verschiebung in der frontalen elektrischen Aktivität einhergeht.
Wenn Funktionen getrennt sind, dann kann das Gehirn sie zu einem Zustand der Verbundenheit zusammenbringen, um komplexere und besser angepasste Funktionen zu ermöglichen. Das ist der Sinn der neuronalen Integration und der Weg, auf dem die komplexen Systeme des Gehirns und des Geistes Flexibilität erlangen und neue Funktionskombinationen schaffen können. Mit einer linken und einer rechten Hemisphäre, die physisch voneinander getrennt und in funktionaler Hinsicht differenziert sind, haben wir die Möglichkeit, ein anpassungsfähigeres Funktionieren zu erreichen, wenn es uns gelingt, sie zu einem Ganzen zu integrieren. So entsteht meiner Überzeugung nach Kreativität nicht aus der einen oder anderen Hemisphäre, sondern aus ihrer Integration.
Wie wir sehen werden, könnte die linke Hemisphäre eine „Erzählerfunktion“ haben, bei der diese Region dazu dient, die fortlaufende Lebensgeschichte einer Person sprachlich zu artikulieren. Doch die Inhalte unserer autobiografischen Erinnerungen sind hauptsächlich in der rechten Hemisphäre angesiedelt, und so könnte die Schaffung einer kohärenten Erzählung des eigenen Lebens als Minimum diese bilaterale Form von Integration bedingen. Die Integration von linker und rechter Hemisphäre trägt dazu bei, dass wir einen Sinn in unserem Leben sehen (Weiterführendes hierzu in Anhang III, Lateralität).
Das Bewusstsein von der Gesamtheit der Erfahrungen unseres Körpers könnte es erfordern, dass wir die integrierte Ganzkörperlandkarte der rechten Hemisphäre mit der Aktivierung des seitlichen Präfrontalkortex verbinden. Beim achtsamen Gewahrsein konzentrieren wir uns häufig auf Aspekte unserer Körperfunktionen. Diese würden dann nicht nur die Interozeption der Inselrinde und des mittleren Präfrontalkortex, sondern die gesamte, auf der rechten Seite des Gehirns repräsentierte Körperlandkarte umfassen. Wenn unser Geist in der Achtsamkeitspraxis mit dem auf Worten basierenden linksseitigen Geplapper des Moments angefüllt ist, dann könnten wir sagen, dass es einen elementaren neuronalen Wettbewerb zwischen rechts (Körperempfinden) und links (Wort-Gedanken) um die begrenzten Ressourcen des Aufmerksamkeitsfokus jenes Moments gibt. Im achtsamen Gewahrsein den Fokus auf den Körper zu verlagern, könnte eine funktionale Verschiebung weg von sprachlichen und gedanklichen Fakten und hin zu nonverbalen Bildern und somatischen Empfindungen der rechten Hemisphäre bedeuten. Das könnte uns helfen, das Untersuchungsergebnis von Sara Lazar zu verstehen, die eine Verdickung in den Strukturen des mittleren Präfrontals und der rechten Inselrinde festgestellt hat (Lazar et al. 2005).
Wenn aber die fortlaufende Erzählung, vielleicht sogar ohne Worte, in Form eines bezeugenden Gewahrseins oder eines inneren Beobachters wirklich eine Funktion der linken Hemisphäre ist, dann würde es hierbei zu einer Aktivierung des Präfrontals auf der linken Seite kommen (exekutive Aufmerksamkeit mit aktiver narrativer Beobachtung), und vielleicht zusätzlich zu einer Aktivierung des rechten mittleren Präfrontals (nonverbale Selbstreflektion und Metabewusstsein im medialen Präfrontal) sowie einer Aktivität der rechten Inselrinde mit viszeraler Repräsentation. Das könnte uns helfen, die Ergebnisse der linksseitigen Annäherungsverlagerung zu verstehen, die Davidson und seine Kollegen festgestellt haben (Davidson et al. 2003), ebenso wie Lazars Untersuchungsergebnisse zum mittleren Präfrontal und der rechtsseitigen Inselrinde (Lazar et al. 2005). Die Implikationen dieser Argumentation müssen empirisch erforscht werden, um ihre Stichhaltigkeit zu bekräftigen. Doch dies ist ein Beispiel dafür, wie wir auf bestehendes Wissen über die Gehirnfunktionen (Lateralität) zurückgreifen können, um geeignete Fragen über Phänomene (achtsames Gewahrsein) und allgemeine Prinzipien (neuronale Integration und Wohlbefinden) zu stellen, mit deren Hilfe wir das Verständnis unseres subjektiven und neuronalen Lebens vertiefen können.
„Gehirn“ und „Geist“
Wenn in diesem Buch der Begriff Gehirn verwendet wird, dann bezieht er sich immer auf das Gehirn als einen integrierten Teil des gesamten Körpers. Diese Realität verändert die Art und Weise, wie wir über die Beziehung zwischen Gehirn und Geist nachdenken. Da der Geist selbst als gleichzeitig verkörpert und beziehungsbezogen