und zu mehr Empfindsamkeit gegenüber dem eigenen Kind führen.
Übungen von innen heraus
1. Sehen Sie sich noch einmal die Tabelle 2 auf Seite 56 an. Schreiben oder zeichnen Sie Beispiele aus Ihrer eigenen Erfahrung zu jedem Element in jedem Modus in Ihr Tagebuch, um Ihre Aufmerksamkeit gegenüber den verschiedenen Verarbeitungsarten zu trainieren. Wenn Sie zu einem besseren Verständnis Ihrer selbst gelangen, werden Sie vermutlich feststellen, dass Sie die links- und rechtshemisphärischen Verarbeitungsmodi deutlicher wahrnehmen. Achten Sie besonders auf die nonverbalen, unlogischen und oft nicht vorhersehbaren Empfindungen des rechtsseitigen Modus bei Ihnen und Ihrem Kind.
2. Wörter in ein Tagebuch zu schreiben kann den linksseitigen Modus überbetonen. Bitte unterstützen und respektieren Sie auch die Bilder des rechtsseitigen Verarbeitungsmodus, wenn Sie über Ihre Erfahrungen nachdenken. Wir sind uns des rechtshemisphärischen Modus oft so subtil bewusst, dass es sich nur schwer in Worten ausdrücken lässt! Notieren Sie im Bewusstsein dieser Vorstellungen die Bilder und Erinnerungen, die aufsteigen, wenn Sie versuchen, eine Geschichte über die Entwicklung und die Bedeutung einer bestimmten Angelegenheit zu erzählen, die Ihre Verbindung zu Ihrem Kind betrifft. Schreiben Sie auf, wann es angefangen hat, wie es Ihre Entwicklung beeinflusst hat und wie es sich auf Ihre Beziehung zu Ihrem Kind auswirkt. Welche Gesichtspunkte dieser Angelegenheit erscheinen Ihnen als besonders anstrengend? Stellen Sie sich vor, dass Sie etwas Unerledigtes oder Ungelöstes verarbeiten. Schreiben Sie eine neue Geschichte darüber, wie dessen Heilung aussehen würde. Inwiefern würden sich die Dinge in Zukunft vom jetzigen Zustand unterscheiden?
3. Überlegen Sie sich drei Wörter, die Ihre Beziehung zu Ihrem Kind beschreiben. Würden Sie ähnliche Wörter verwenden, um Ihre Erinnerungen an Ihre Kindheitserfahrungen mit Ihren Eltern zu beschreiben? Worin unterschieden sie sich? Fassen diese Wörter die Beziehungen korrekt zusammen? Erinnern Sie sich an Teile dieser wichtigen Beziehungen, zu welchen die Verallgemeinerungen nicht gut passen? Wie passen diese Ausnahmen in die größere Geschichte Ihres Lebens mit Ihren Eltern und Ihrem Kind?
IM LICHT DER WISSENSCHAFT
Die Wissenschaft der Erzählungen
Die Wissenschaft der Erzählungen greift auf eine Vielzahl unterschiedlicher akademischer Disziplinen zurück, von der Anthropologie und dem Studium der Kulturen zur Psychologie und dem Studium, wie Menschen einander ihre Gedächtnisinhalte nahe bringen. Unsere Erfahrungen innerhalb der Familie prägen, wie wir die Welt um uns wahrnehmen. Der Kulturkreis, in dem wir leben, hat ebenfalls großen Einfluss darauf, wie unser Geist Informationen verarbeitet und unserem Leben einen Sinn gibt. Neuere Erkenntnisse der Gehirnforschung tragen ebenfalls zu unserem Verständnis der wichtigen Rolle von Geschichten im menschlichen Leben bei.
Diese Wissenschaften zeigen uns mehrere Dinge:
• Geschichten sind universell – sie finden sich in jeder menschlichen Kultur dieses Planeten.
• Geschichten begleiten uns unser Leben lang – sie haben ihren Platz schon früh im Leben beim Austausch zwischen Eltern und Kindern und spielen ihre Rolle in Beziehungen bis zum Erwachsenwerden weiter.
• Geschichten sind möglicherweise eine rein menschliche Angelegenheit – kein anderes Tier scheint über einen Instinkt oder ein Bedürfnis zum Erzählen von Geschichten zu verfügen.
• Geschichten erfordern einen logischen Ablauf von Ereignissen, aber sie spielen auch eine wichtige Rolle für das Regulieren von Gefühlen; so sind sie ein gutes Beispiel dafür, wie Emotionen und analytisches Denken ineinander verflochten sind.
• Geschichten spielen sowohl für die alltägliche Kommunikation als auch für das innere Selbstbild eine Rolle. Diese Mischung aus Zwischenmenschlichem und Persönlichem, die so charakteristisch für den menschlichen Geist ist, zeigt, wie sozial wir tatsächlich sind!
• Geschichten spielen möglicherweise eine entscheidende Rolle bei Erinnerungsprozessen – eine Annahme, die aus der Untersuchung des expliziten Gedächtnisses resultiert und daraus, wie es in der Endverarbeitung durch Träume permanente oder „kortikal konsolidierte“ Erinnerungen erzeugt.
• Geschichten werden mit Gehirnfunktionen in Zusammenhang gebracht. Besonders die linke Hemisphäre scheint darauf ausgerichtet zu sein, Vermutungen über logische Zusammenhänge zwischen verschiedensten Teilen von Informationen anzustellen, während die rechte Hemisphäre den emotionalen Kontext und die autobiografischen Daten beisteuert, die notwendig sind, damit eine Lebensgeschichte einen Sinn ergibt.
Mentale Modelle: Wie unsere Erfahrung bestimmt, wie wir sehen, uns verhalten und unsere eigene Realität erschaffen
Die Wissenschaft hat gezeigt, dass das Gehirn selbst schon bei ganz kleinen Kindern aus wiederholten Erfahrungen sehr gut Verallgemeinerungen ableiten kann, so genannte mentale Modelle. Diese mentalen Modelle sind Teil des impliziten Gedächtnisses, und man nimmt an, dass sie aus den Mustern neuronalen Feuerns in den Sinnesmodalitäten von Sehen, Hören, Tasten und Riechen entstehen, die sich durch wiederholte Interaktionen ansammeln. Das im Gehirn erzeugte Modell dient als eine Art Gesichtspunkt, Perspektive oder Geisteszustand, das unmittelbar beeinflusst, wie wir etwas wahrnehmen und wie wir in Zukunft reagieren werden. Implizite Erinnerungen, und besonders die mentalen Modelle aus unseren vielfältigen Erlebnissen, erschaffen wahrscheinlich die Themen der Geschichten, die wir erzählen, und organisieren, wie wir Entscheidungen für unser Leben treffen.
Mentale Modelle dienen als eine Art Trichter, durch den Informationen gefiltert werden, als Linsen, mit deren Hilfe wir die Zukunft voraussehen und dadurch unseren Geist auf die entsprechenden Aktionen vorbereiten können. Diese Linsen befinden sich außerhalb unserer bewussten Sicht und verfälschen unsere Wahrnehmung, ohne dass wir uns ihrer Existenz bewusst sind. Sie entstammen unseren früheren Erfahrungen, werden auf eine bestimmte Weise aktiviert und formen dann schnell unsere Wahrnehmung der Wirklichkeit, unsere Überzeugungen und Einstellungen und die Art, wie wir mit der Welt um uns herum in Verbindung treten.
Wenn Sie zum Beispiel als kleines Kind von einer Katze gebissen wurden, kann eine spätere Begegnung mit einer Katze zur Folge haben, dass sich Ihre Gemütsverfassung schlagartig ändert und Sie plötzlich Angst bekommen: Sie sind wachsam gegenüber der Katze, fixieren ihre Zähne, verspüren ein inneres Gefühl von Panik und sind bereit, schnell zu reagieren, sollte sich die Katze auf Sie zubewegen. Die veränderte Wahrnehmung, der innere Gefühlszustand und die Aktivierung des Selbsterhaltungstriebes (kämpfen – fliehen – erstarren) geschehen automatisch. Sie sind von der Fähigkeit des Gehirns geprägt, schnell und ohne bewusste Aufmerksamkeit oder Planung einen Geisteszustand herzustellen, der so organisiert ist, dass er die Wahrnehmung bestimmt und den Körper darauf vorbereitet, zu reagieren. Prinzipiell ist das die Art und Weise, wie mentale Modelle dafür sorgen, dass eintreffende Informationen in die richtigen Bahnen gelenkt und gefiltert werden und dass sich die Stimmung plötzlich ändert.
Mentale Modelle und die Zustände, die sie hervorrufen, sind ein grundlegender Bestandteil des impliziten Gedächtnisses. Wir nehmen ihren Ursprung als solche nicht bewusst wahr, aber wir spüren deutlich ihre Wirkung (Katze beobachten, Angst verspüren). Angelegenheiten aus unserer Vergangenheit können uns in der Gegenwart beeinflussen und verändern, wie wir uns in der Zukunft verhalten, indem sie unmittelbar bestimmen, wie wir das, was um uns herum und in uns vorgeht, wahrnehmen. Die Schatten, die implizite mentale Modelle auf unsere Entscheidungen und unsere Erzählungen über unser Leben werfen, können durch zielgerichtetes Nachdenken über sich selbst explizit gemacht werden. Ein solcher bewusster Prozess kann unser Verständnis von uns selbst verbessern und ein Weg sein, mentale Modelle zu verändern. Ein Weg, der uns die Tür zu lebenslanger Entwicklung öffnet. Damit wir uns aus dem Gefängnis dieser Schatten aus der Vergangenheit befreien können, müssen wir einen Prozess der Selbsterkenntnis durchlaufen, in dessen Rahmen wir uns vor Augen führen, wie diese Muster von verfälschter Wahrnehmung und Verhaltensimpulsen als grundlegende Bestandteile tief verwurzelter mentaler Modelle und unflexibler Geisteshaltungen in uns wirken. Wenn man sich die Zeit zum Nachdenken nimmt, öffnet man damit die Tür zur bewussten Wahrnehmung und erhält damit die Chance zur Veränderung.
Untersuchungen über das Kodieren von Erinnerungen lassen vermuten, dass unsere Wahrnehmungen durch