Daniel Siegel

MIND


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Teile eines grundlegenden Prozesses – nicht nur soziale Stimuli, die das Gehirn beeinflussen wie Lichtreize den Sehnerv beeinflussen, sondern ein fundamentaler Fluss von etwas. Aber was konnte dieses Etwas real sein, etwas, das beispielsweise ein kollaboratives, verbindendes Gespräch zwischen einem Neurologen und einem Anthropologen erleichtern würde?

      In unserer neu gebildeten Gemeinschaft von 40 gab es keinen Konsens. Ohne eine Definition dessen, was Geist tatsächlich war, war es kurzum nur „Gehirnaktivität“. Es war schwer, zu einem gemeinsamen Verständnis der Beziehung zwischen Gehirn und Geist zu gelangen, geschweige denn einen Weg zu finden, effektiv und respektvoll miteinander zu kommunizieren.

      Die Gruppe schien kurz davor zu sein, sich aufzulösen.

      Mit dem Fokus auf Krankheitsmodelle psychischer Störungen in jenen Tagen des Diagnostic and Statistical Manual of Disorders, des DSM [dt. „Diagnostisch und statistischer Leitfaden psychischer Störungen“, kurz DSM, A.d.Ü.], nebst der zunehmenden Bedeutung pharmazeutischer Interventionen und den wissenschaftlichen Erklärungen, dass Geist lediglich ein Ergebnis des Gehirnes sei, wurde die Diskussion des Problems in unserer Studiengruppe ziemlich intensiv: War Geist nur Gehirnaktivität oder war er mehr?

      Die Gruppe war angesichts der Ermanglung einer gemeinsamen Sichtweise des Geistes in einen Stillstand geraten. Als Moderator der Gruppe, der mit jedem Einzelnen im Raum, den ich persönlich eingeladen hatte, in Verbindung stand, verspürte ich die dringende Notwendigkeit, etwas zu unternehmen, das diese nachdenklichen Menschen in die Lage versetzen könnte, besser miteinander zu kommunizieren und zusammenzuarbeiten. Wenn die Gruppe sich weiterhin treffen sollte, musste etwas getan werden.

      Als Hochschulstudent 15 Jahre zuvor arbeitete ich in einem Biochemie-Labor, das nach einem Enzym forschte, das Lachse dazu befähigen könnte, aus dem Süßins Salzwasser zu wechseln. Nachts arbeitete ich bei einer Telefonseelsorge für Suizidgefährdete. Als Student der Biologie lernte ich, dass Enzyme unabdingbar für das Überleben waren; und als Freiwilliger auf dem Gebiet mentaler respektive psychischer Gesundheit lernte ich, dass die Natur emotionaler Kommunikation zwischen zwei Menschen während einer Krise den Unterschied zwischen Leben und Tod ausmachen konnte.

      Ich fragte mich, ob Enzyme und Emotionen einen gemeinsamen Grund teilten, einen gemeinsamen Mechanismus für das Überleben des Lachses und den Suizid; konnten das Gehirn und die Beziehungen nicht auch über ein gemeinsames Element verfügen? Mit anderen Worten, wenn die molekularen Prozesse der Energieaktivierung, welche die Enzyme ermöglichten, den Fischen erlaubten, zu überleben, und wenn die emotionale Kommunikation zwischen zwei Menschen die Hoffnung lebendig erhalten konnte, könnte das Leben selbst vor irgendwelchen grundlegenden Transformationen abhängen, die von enzymatischen Energieprozessen und der Energie emotionaler Verbindungen geteilt wurden? Könnten sich das Gehirn und die Beziehungen nicht einen konsilienten Grund ihrer Essenz teilen? Könnten sie nicht zwei Aspekte eines Systems sein? Und könnte diese Essenz, die Gehirn und Beziehungen verknüpfte die Natur des Geistes offenbaren? Könnte es etwas in dieser Essenz geben, das jedes Gruppenmitglied umfassen könnte, um die Gruppe vor dem Implodieren aufgrund der Spannung und dem Mangel an gegenseitigem Verständnis und Respekt abzuhalten?

      Eine Woche nach unserem ersten Treffen begab ich mich auf einen sehr, sehr langen Spanziergang am Strand, richtete meinen Blick auf die Wellen am Strand, wo ich aufgewachsen war, wanderte die Küstenlinie der Bucht von Santa Monica auf und ab und stellte mir Fragen. Über jenen Ort nachzudenken, an dem das Meer auf das Land trifft und an dem ich mein Leben gelebt hatte, dort auf jenem Sandstrand, erfüllte mich mit einem Gefühl der Kontinuität, etwas, das Damals und Jetzt, Wasser und Land miteinander verknüpfte. Ich hatte den Eindruck, dass Wellen, Energiewellen, ein Element darstellten, das Gehirn und Beziehungen gemeinsam war. Wellen verändern sich ständig, entfalten sich in jedem Augenblick auf neu auftauchende Arten und Weisen, bilden Muster, die dynamisch sind – das heißt, dass sie aufsteigen und fallen, sich verändern, sich gegenseitig beeinflussen.

      Energiewellen tauchen als Muster auf, als Veränderungen des Energieflusses von Moment zu Moment. Energie tritt in unterschiedlichen Formen auf, wie Licht oder Klang, als eine Reihe von Frequenzen und als Amplitudenverteilung. Selbst Zeit kann mit dem Auftauchen von Energiemustern in Verbindung gesetzt werden, wie moderne Physiker es nun aufgrund ihrer neuen Sichtweisen der Natur von Energie und Realität erforschen. Diesen neuen Sichtweisen zufolge beeinflussen die festen Energiewellen der Vergangenheit das Entstehen von Wellen in der Gegenwart und formen die Entfaltung der potenziellen neuen Wellen. Fix, entstehend und offen, könnte Zeit selbst die Veränderung von Energie entlang eines Spektrums zwischen Möglichkeit und Wirklichkeit mit sich bringen.

      Energie, sagen Physiker, wird am besten beschrieben als ein Potenzial, etwas zu tun. Dieses Potenzial wird gemessen als die Bewegung zwischen Möglichkeit und Wirklichkeit entlang eines Spektrums von Wahrscheinlichkeiten, was manchmal als Wellenfunktion oder Wahrscheinlichkeitsverteilungskurve bezeichnet wird. Wir erfahren diesen Energiefluss nicht als eine irgendwie magische, nicht wissenschaftliche Sache, sondern als fundamental für die Welt, in der wir alle leben. Wir mögen die Energiefelder, die uns umgeben, nicht sehen, wie es der berühmte Wissenschaftler Michael Faraday vor zwei Jahrhunderten bei seiner Entdeckung der Elektrolyse und des Elektromagnetismus beschrieb, aber sie sind real. Wir mögen desgleichen auch oftmals die Ursprünge der Energie als ein Meer des Möglichen nicht spüren, aber wir erfahren in unserem Gewahrsein die Herausbildung des Möglichen zum Wirklichen, Tatsächlichen. Das ist der Energiefluss, die Veränderung dieser Wahrscheinlichkeitsfunktion. Das Licht ist aus, nun ist das Licht an. Der Raum ist still, nun sprechen Sie. Sie sehen jemanden auf sich zukommen, einen lieben Freund, und werden Zeuge einer warmen Willkommensumarmung. Das ist die Transformation von Möglichkeit in Wirklichkeit. Es ist der Energiefluss, den wir jeden Moment unseres Lebens erfahren.

      Einiges an diesem eintretenden Energiefluss hat symbolischen Wert mit einer Bedeutung jenseits der Energiemuster selbst. Ich weiß von der Kognitionswissenschaft, dass solch eine symbolische Bedeutung „Information“ genannt werden könnte. Ich schreibe oder spreche Kauderwelsch, und es könnte keine Bedeutung haben. Aber ich schreibe oder sage, „Golden Gate Bridge“, und voilà, Energie besitzt Information – sie steht für etwas anderes als die reine Form von Energie, die sich aus einem Meer an Möglichkeiten in diese eine Wirklichkeit manifestiert hat. Nun sage ich „Eiffelturm“, und aus dem weiten Meer fast unendlicher Potenzialitäten taucht dieses eine Energiemuster auf, eine Information, die sich als sprachliches Symbol dieser architektonischen Struktur in Paris manifestiert.

      Doch nicht alle Energiemuster enthalten Informationen. Daher könnte das Element, das Gehirn und Beziehungen gemeinsam haben, Energie selbst sein; oder, um vollständig zu sein, jenes gemeinsame Element könnte einfach „Energie und Information“ genannt werden. Wenn sie danach gefragt werden, legen viele Wissenschaftler dar, dass alle Informationen von Energiewellen oder Energiemustern mitgeführt werden. Andere Wissenschaftler sehen das Universum als grundlegend aus Informationen bestehend an, wobei Energiemuster aus jener Basis der Realität auftauchen, ein aus Informationen konstruiertes Universum. Dergestalt drücken sich Informationen selbst in jeder Sichtweise mittels Energieumwandlungen aus, die Entfaltung des Potenzials, etwas zu tun, in ein reales Etwas. Das ist Energie in einer Nussschale. Beide Begriffe, Energie und Information, könnten eine brauchbare Grundlage der Betrachtung darstellen, vor allem dann, wenn beide Perspektiven zu einem einheitlichen Konzept zusammengefügt werden.

      Diese Muster oder Wellen entstehen, wenn sich Energie in der Zeit verändert, wenn sie fließt, sich jeder Augenblick in der Gegenwart entfaltet. Für unsere Erfahrung des geistigen Lebens, das sich ständig entwickelt und verändert, scheint der Begriff des Flusses [bzw. des Fließens, A.d.Ü.] gut zu passen. Selbst wenn der Vorschlag einiger Physiker, dass Zeit kein einheitlicher Prozess sei, wie wir ihn uns vorstellen, sich als wahr herausstellt, ist jene Zeit keine in sich verschiedene Entität in der Welt, die fließt, als vielmehr ein mentales Konstrukt unseres Gewahrseins der Veränderung; alle Wissenschaftler stimmen darin überein, dass die Realität von Veränderung erfüllt ist, wenn nicht durch die Zeit, dann durch den Raum oder durch die Wahrscheinlichkeitskurve. Veränderung entlang der Wahrscheinlichkeitskurve meint die Bewegung der Energie entlang des Spektrums zwischen offenem Potenzial und Realisation als Tatsächlichkeit. Daher können wir den Begriff Fluss verwenden,