Paul Linden

Das Lächeln der Freiheit


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frei von allen Vorannahmen, die meine Wahrnehmung der Situation verfälschen könnten. Wenn ich mich an die Details halte, wird das Gesamtbild schnell deutlich. Oft geschieht dies in einer Weise, die mit einem vorgefassten Urteil über das fragliche Ereignis nicht möglich gewesen wäre.

      Selbstverständlich bin ich empathisch und unterstützend, wenn Klienten durch schmerzhafte Prozesse gehen. Wenn ich aber auf die Gefühlsinhalte eingehen würde, könnte ich sie nicht dabei unterstützen, die verschiedenen Verhaltensanteile zu sortieren. Ich unterlaufe die Gefühlsebene und richte die Aufmerksamkeit auf den physischen Unterbau der Emotionen. So lässt sich ein Ausweg aus den Fesseln eingeschliffener Gefühsreaktionen finden und ich kann meine Klienten im Erlernen neuer, wirkungsvollerer Antworten auf schwierige Situationen unterstützen.

      Es ist mir wichtig, klarzustellen, dass die Aufforderung, angemessene von unangemessenen Emotionen zu unterscheiden nicht bedeutet, dass ein Gefühl oder eine Person schlecht sind. Ich empfehle auch nicht, alle Emotionen zu unterdrücken, im Gegenteil, ich halte Gefühle für die Essenz des Lebens. Und dennoch sollten Sie manche Gefühle sinnvollerweise kontrollieren. Es gibt Zeiten, in denen es effektiv und lebensrettend ist, sich nicht von seinen Gefühlen wegspülen zu lassen, und es gibt Gefühle, die so grenzenlos werden, dass sie ungesund sind. Der Kunstgriff besteht darin, eine unangemessene Reaktion so zu zerlegen, dass sie regulierbar wird, nur sind viele Missbrauchsüberlebende – verständlicherweise! – so sehr ihren Gefühlen ausgesetzt, dass sie sich deren Intensität nicht entziehen, also nicht gleichzeitig fühlen und evaluieren können.

      Während eines Missbrauchs werden die Gefühle eines Menschen entwertet und missachtet. Das führt einige Missbrauchsüberlebende zu der Interpretation, jede Bewertung eines Gefühls als unangemessen sei ebenfalls Missbrauch. Wenn Sie glauben, dass Sie nur in Ihren Emotionen Sie selbst sind, wird jede Vermutung, ein bestimmtes Gefühl könnte unangemessen sein, von Ihnen als Entwertung und Angriff ausgelegt werden. Wenn Ihre Gefühle das sind, was Sie sind, werden Sie deren Abschwächung und Relativierung wie die Abtrennung von Teilen Ihres Selbst erleben. Ruhiger zu werden kann sich dann anfühlen, als ob Sie nach und nach absterben.

      Denken Sie bitte kurz an die Sanierung eines Elendsviertels. Wenn Sie einen Slum als wesentlichen Teil der historisch gewachsenen Identität einer Stadt auffassen, wird sich Widerstand gegen den Abriss alter Baracken regen, auch wenn sie durch etwas Besseres ersetzt werden sollen. Der Abriss unangemessener Gefühle kann als Versuch erlebt werden, das Selbst zu zerstören, statt es zu stärken und zu heilen. Die Fähigkeit, sich selbst gegenüber verschiedene Blickwinkel einzunehmen und aufrechtzuerhalten, ist so wichtig, weil Sie dadurch die Möglichkeit haben, den nötigen Abstand zu ihren Gefühlen zu gewinnen. Dadurch werden Sie bereit und fähig sein, Ihre Affekte auf deren Nutzen hin zu untersuchen und bewusst zu regulieren. Darum geht es: Sprengen Sie die Fesseln alter, destruktiver Gefühlsgewohnheiten und leben Sie angemessen in der Gegenwart.

      Nun weigern sich Menschen oft, Verbesserungsvorschläge anzunehmen, und fühlen sich bedrängt, wenn man ihnen ein neues Verhalten nahe bringen möchte. Statt in einem korrigierenden Hinweis ein respektvoll angebotenes Geschenk zu sehen, das ihnen aus Hilfsbereitschaft gemacht wird, empfinden sie dies als demütigend. Sie glauben, eines Fehlers bezichtigt zu werden, und sie identifizieren (technisches) Fehler-Machen mit (moralischem) Schlecht-Sein. Das ist verständlich – in vielen Fällen mag die eine, mag der andere für vermeintliche oder echte Fehler beschämt oder gedemütigt worden sein. Eine Reaktion auf dem Hintergrund eindrücklicher Erfahrungen erklärt sich selbst, verfehlt aber ihren Zweck, den Selbstschutz, wenn angemessene, freundlich und unterstützend vorgebrachte Korrekturhinweise zurückgewiesen werden, die zu dauerhaften Verbesserungen führen würden.

      Es ist wichtig, dass Sie sich in Ordnung fühlen, wenn Ihnen Ihre Fehler gezeigt werden. Es ist normal, Fehler zu machen. Sie müssen sich nicht dafür bestrafen, und Sie brauchen Ihr Selbstwertgefühl auch nicht dadurch zu schützen, dass Sie sich vor neuem, hilfreichem Wissen verschließen. Der effektivste Weg, sinnvolle Korrekturvorschläge anzunehmen, besteht darin, sie als Geschenk anzusehen und dann die notwendigen Schritte zu tun, um etwas Fehlerhaftes durch etwas Besseres zu ersetzen.

      Sicherheit

      Lassen Sie mich die Leser ansprechen, die Missbrauchsüberlebende auf dem Weg der Heilung begleiten werden. Wenn Sie mit Überlebenden arbeiten, ist es wichtig, deren Sicherheit im Blick zu behalten.

      Bereit sein

      Sicherheit beginnt damit, zu entscheiden, ob jemand auf diesen Weg der Missbrauchsverarbeitung vorbereitet ist. Ich sehe sehr genau hin, wer in meine Stunden kommt. Wenn Überlebende durch ihre Therapeuten an mich verwiesen werden, kann ich einigermaßen sicher sein, dass sie von dieser Arbeit profitieren werden. Klienten, die eine umfangreiche Psychotherapie hinter sich haben und jetzt gezielt Erfahrungen mit dem Körper, mit Berührung und Selbstverteidigung suchen, sind in der Regel bereit für die Herausforderungen, denen sie in dieser Arbeit ausgesetzt sind.

      Zweifelsohne gibt es auch Missbrauchsüberlebende, die zu zerbrechlich sind, um unter dem Druck tiefer Körperselbsterfahrung heilende Prozesse zu durchlaufen. Ich arbeite nicht mit selbstmordgefährdeten oder sich selbst verletzenden Menschen und auch nicht mit Überlebenden, die aus anderen Gründen für das Erlernen der von mir unterrichteten Techniken des Zentrierens zu instabil und zu wenig im Gleichgewicht sind. Da Missbrauchsüberlebende normalerweise ihre Selbsterfahrungsarbeit nicht bei mir beginnen, gibt es in der Praxis damit keine Schwierigkeiten, zumal ich so langsam arbeite, dass die Klienten, sobald sie das Gefühl einer Überforderung bekommen, jederzeit die Möglichkeit eines Abbruchs haben, ohne dann alleine mit angefangenen Themen in Kopf und Körper dazusitzen.

      Die BIM-Methode der Traumaverarbeitung eignet sich besonders für verhältnismäßig gefestigte Missbrauchsüberlebende. Sind die Menschen, mit denen Sie arbeiten werden, am Anfang ihrer Missbrauchsaufarbeitung oder besonders instabil? Sind sie bereit, die Übungen, die Sie vorschlagen, und die damit einhergehenden Gefühle zu erforschen? Verfügen die Übungsteilnehmer über genügend Ich-Stärke, um den intensiven Kontakt mit dem eigenen Körper zu ertragen? Reichen Ihre eigenen Erfahrungen als Begleiter solcher Prozesse aus, um diese Fragen beantworten zu können? Wenn Sie unsicher sind, ob jemand genügend Stabilität für die somatische Traumaverarbeitung mitbringt, holen Sie die Meinung eines kompetenten Therapeuten ein. Falls es bereits einen behandelnden Therapeuten gibt, tauschen Sie sich aus.

      Sollten Sie sich fragen, ob eine einzelne Übung eine Überforderung darstellt, bleiben Sie auf der sicheren Seite, verzichten Sie darauf. Meine Devise ist: Langsam voran. Auch für Menschen, die alle Voraussetzungen für die somatische Traumaverarbeitung mitbringen, ist es wichtig, sich Zeit für die Erarbeitung grundlegender Ressourcen der Selbststärkung zu nehmen, bevor sie sich ihren persönlichen Themen zuwenden.

      Interpretieren

      Seien Sie sich der Gefahr bewusst, dass das Interpretieren der Erfahrungen ihrer Klienten deren Sicherheitsgefühl beeinträchtigen kann. Die Suche nach Sinn und der Versuch, Erklärungen für schwer Erträgliches, schwer Verständliches anzubieten, ist menschlich, kann aber gerade in der Arbeit mit Traumaüberlebenden destruktiv sein.

      Sehr oft sagen Interpretationen lediglich etwas über den Interpreten, nicht über das zugrunde liegende Ereignis, nämlich die Erfahrungen der Überlebenden, aus. Wenn Sie die Lücken in der Geschichte oder dem Denkprozess eines Missbrauchsüberlebenden durch ihre Interpretation zudecken, kann es passieren, dass Sie das tatsächlich Geschehene völlig missdeuten.

      Selbst wenn Ihre Interpretation zutrifft, kann sie zerstörerisch wirken. Erstens: Sie kappen den Lernprozess. Statt die eigene Urteilsfähigkeit zu entwickeln und eigene Wege zu tragfähigen Erklärungen zu finden, werden die Klienten davon abhängig, dass Sie ihnen die richtige Interpretation liefern. Zweitens: Angenommen, ein Überlebender lehnt Ihre – richtige – Interpretation ab, weil er sich diese Sichtweise nicht selbst erschlossen hat, es wird für ihn unmöglich werden, irgendwann einmal selbst zu dieser Erkenntnis zu kommen.

      Retraumatisierung