sicher, dass Sie atmen, während Sie das hier lesen. Aber nehmen Sie auch wahr, wie Sie atmen?
Welche Körperteile bewegen sich, während Sie einatmen? Spüren Sie eine Bewegung, wie groß oder klein auch immer, in Ihrem Brustkorb, Ihrem Bauch, Ihrem Nacken, Ihren Armen oder Beinen? Oder anderswo? Was ist mit ihrem Gesicht? Wo nehmen Sie die größte, wo die geringste Bewegung wahr?
Welche Körperteile bewegen sich, wenn Sie ausatmen?
Wie sind die Bewegungen des Ein- und des Ausatmens beschaffen – sind sie gleichmäßig, kontinuierlich, fließend?
Gibt es irgendwo eine Verlangsamung, ein Anhalten, einen Beginn oder Wiederbeginn in Ihrer Atmung? Gibt es einen Körperbereich oder einen Atemabschnitt, der sich entspannter oder angespannter anfühlt als andere?
Bevor Sie die folgenden Atem- und Entspannungsübungen erlernen, müssen Sie sich mit einigen Fakten darüber vertraut machen, wie Atmen tatsächlich funktioniert. Die erste dieser Tatsachen ist, dass nicht die Lungen die Atembewegung ausführen. Ihre Lungen sind zwei passive Beutel, die den Kontakt zwischen Blut und Luft erlauben, so dass Sie Sauerstoff aufnehmen und Kohlendioxyd abgeben können.
Wenn es also nicht die Lungen sind, die die Atembewegung ausführen, wer dann? Stellen Sie sich vor, Sie trennen den Boden einer Plastikflasche ab und ersetzen ihn durch einen Luftballon, den Sie durch ein Klebeband an der Flasche befestigen. Wenn Sie jetzt den Luftballon nach unten ziehen, wird Luft durch den Flaschenhals in das Innere der Flasche gesogen. Lassen Sie den Luftballon nun wieder los. Der Ballon zieht sich zusammen und die eingesogene Luft schießt wieder aus der Flasche heraus.
So funktioniert die Atmung: Es gibt an der unteren Grenze des Brustkorbs einen gewölbten Muskel, das Zwerchfell, der sich weitgehend so verhält, wie der auf die Flasche gespannte Ballon. Ein entspanntes Zwerchfell ist nach oben gewölbt. Wenn es sich anspannt, wird es fest, flach und drückt nach unten, ähnlich dem nach unten gezogenen Ballon. Es ist diese Bewegung des Zwerchfells, durch die Luft in unsere Lungen gesogen wird.
Entscheidend ist jetzt, dass sich unterhalb des Zwerchfells alle möglichen Weichteile – Magen, Därme und dergleichen – befinden, die irgendwo hin müssen, wenn das Zwerchfell nach unten drückt. Menschliches Gewebe ist nicht besonders komprimierbar, es lässt sich nicht beliebig zusammendrücken. Weder nach oben noch unten ist Platz zum Ausweichen: oben das Zwerchfell, unten das Becken und das Geflecht von Muskeln, die den Beckenboden bilden.
Haben Sie jemals gesehen, wie ein Baby atmet? Was passiert mit dem Bauch eines Babys, wenn es einatmet? Er dehnt sich aus. Wenn das Zwerchfell nach unten drückt, wird alles, was sich unterhalb befindet, nach außen verlagert, vorwiegend nach vorne, wo die Bauchmuskeln diese Bewegungsrichtung erlauben, aber auch zu den Seiten hin und nach hinten, wo der Brustkorb diese Ausdehnung ebenfalls in kleinerem Ausmaß zulässt. So atmen Säuglinge. Es entspricht auch unserer natürlichen Anatomie, so zu atmen, nur: Die meisten Erwachsenen atmen anders.
Steh gerade! Schultern zurück! Zieh den Bauch ein! Man bringt uns bei, falsch zu atmen! Wann zieht ein Mensch natürlicherweise die Schultern nach hinten und den Bauch ein, während er gleichzeitig den Brustkorb anhebt und einatmet? Wenn er erschrocken und verängstigt ist. Die westliche Welt hat die Angst-Schreck-Reaktion zum Haltungsideal erhoben und konserviert sie als kollektive Idee des richtigen Atmens.
Ich frage mich, ob das mit der Häufigkeit des Kindesmissbrauchs in unserer Gesellschaft zusammenhängt. Sehr zurückhaltende Schätzungen gehen davon aus, dass 25% unserer Kinder Opfer emotionalen oder körperlichen (sexuellen) Missbrauchs werden bzw. unter Vernachlässigung leiden oder in Armut leben. Es gibt andere Schätzungen, denen zufolge 50% der Mädchen und 30% der Jungen sexuell missbraucht werden, nicht gerechnet die geschlagenen und vernachlässigten Kinder, aber seien wir konservativ, gehen wir von insgesamt einem Viertel Geschädigter aus. Eine Menge! Und es gibt viele Erwachsene, die in sich – wissentlich oder nicht – den Schmerz und die Angst fühlen, Täter zu sein.
Die Angst-Schreck-Reaktion ist die Antwort des Körpers auf Angst und Schmerz. Menschen, die missbraucht werden, und Menschen, die andere missbrauchen, bleiben im Moment des Missbrauchs stecken. Mit anderen Worten: Ihre Körper konservieren den Zustand der Angst-Schreck-Reaktion, bis sie Heilung erfahren.
Vielleicht halten wir die Angst-Schreck-Reaktion schon für normal oder sogar erstrebenswert, weil um uns herum jeder diesen Ausdruck und diese Haltung einzunehmen scheint. Es sieht eben richtig aus…
Jetzt wissen Sie, warum wir damit begonnen haben, Ihre Aufmerksamkeit auf die Entspannung Ihres Bauches zu richten: Dieser Anfang ist wichtig, um die Spannung im gesamten Körper zu verringern und den Boden für die nachfolgende Übung zu bereiten.
Weich atmen Praxis
Stehen Sie auf. Legen Sie sich die Hände auf den Bauch und nehmen Sie wahr, ob Sie Ihren Bauch beim Einatmen einziehen oder ausdehnen. Legen Sie dann ihre Hände auf Ihren unteren Rücken und auf den Brustkorb. Dehnen sich diese Bereiche aus, wenn Sie einatmen?
Entspannen Sie Ihren Bauch. Lassen Sie ihn entspannt, während Sie einatmen. Erlauben Sie der Luft, während des Einatmens sanft nach unten in den Bauch zu fallen und lassen Sie ihrem Bauch sich ausdehnen. (Selbstverständlich bleibt die Luft in den Lungen, aber dieses Bild wird Sie beim Spühren der Bewegung bis hinunter in den Bauch unterstützen.) Beim Atmen sollte der Fokus Ihrer Achtsamkeit auf den Bauch gerichtet sein, aber Sie sollten beim Einatmen auch Brustkorb und Rücken sich sanft ausdehnen lassen.
Wenn Sie während des Einatmens den Bauch einziehen, verhärten Sie Brustkorb, Bauch und Rücken und erzeugen so eine erhöhte Anspannung des gesamten Körpers. Sollten Sie daran gewöhnt sein, beim Einatmen den Bauch einzuziehen, wird sich ein entspannteres Atmen für Sie zunächst etwas seltsam anfühlen. Vielleicht machen Sie sogar die merkwürdige Erfahrung, dass sich das entspanntere Atmen mit dem Bauch zwar physiologisch richtig anfühlt, es Ihnen aber der ungewohnten Empfindung wegen geradezu unangenehm ist, bequemer und weniger angespannt zu atmen.
Falls Sie Schwierigkeiten haben, beim Einatmen mit dem Bauch nachzugeben, können Sie anfangs Ihren Bauch bei jedem Einatmen bewusst nach außen drücken. Auf diese Weise gewöhnen Sie sich an den veränderten Bewegungsrhythmus. Nach einer Weile werden Sie diese zusätzliche Anstrengung nicht mehr brauchen.
Manchen Menschen bereitet beides Schwierigkeiten: herauszufinden, wie sie ihren Bauch ausdehnen und wie sie ihn nach außen drücken können. Um das zu ändern, legen Sie sich auf den Boden, ein Kissen unter dem Kopf, ein weiteres unter ihren Knien. Legen Sie sich jetzt einen faustgroßen Stein (oder einen ähnlichen Gegenstand) unterhalb des Nabels auf den Bauch und konzentrieren Sie sich darauf, den Stein durch Ihr Einatmen anzuheben. Manchmal ist es hilfreich, den Stein erst mit dem Bauch hoch zu drücken und den Bauch dann herausgedrückt zu lassen, während Sie einatmen. Das kann zunächst anstrengen, aber nach und nach werden Sie eine Möglichkeit finden, Ihren Bauch mit Leichtigkeit auszudehnen.
Gehen Sie jetzt ein paar Schritte und atmen Sie dabei aus dem Bauch heraus. Wie fühlt sich diese Bewegung an?
Bauchatmung
Brustatmung
Atmen und sich ausdehnen ist – richtig praktiziert – sehr entspannend. Das Atmen kann wie eine sanfte, innere Massage wirken und, wenn Sie es zulassen, sehr angenehm sein. Die meisten Menschen, die anfangen, mit entspanntem Becken und weichem Atem zu gehen und sich zu bewegen, empfinden ihre Bewegungen als leichter, balancierter, graziöser, koordinierter und erdverbundener als zuvor.
Ziel dieses Kapitels war es, Ihnen erste Erfahrungen zu ermöglichen, wie Sie Ihre eigenen Körperprozesse dazu nutzen können, sich selbst zu verändern. Sie haben mit einem Zustand von Souveränität und Ganzheit Bekanntschaft geschlossen, der Ihnen ermöglichen wird, auf dem Weg der Heilung Ihres Missbrauchs voranzuschreiten. Im Laufe des Buches wird es darum gehen, Sie mit weiteren Elementen