Gabriele Rodríguez

Namen machen Leute


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muss dabei geachtet werden. Es können Vornamen abgelehnt werden, wenn diese im Zusammenspiel mit dem Familiennamen nicht passen. Zum Beispiel »Rosa Schlipfer/ Schlüpfer« (und diesen Fall hatte ich tatsächlich schon), »Claire Grube« oder »Axel Schweiss«. Auch bei der Kombination zweier Vornamen weisen wir zumindest darauf hin, dass es problematisch werden könnte: Marie-Johanna klingt eben schnell gesprochen wie »Marihuana«.

      Das Klingelschild sollte niemand an seiner Tür haben müssen.

      Das wichtigste Kriterium bei der Genehmigung von Vornamen ist mit Sicherheit das Kindeswohl. Denn das kann nachhaltig verletzt sein, wenn die gewählte Bezeichnung als Vorname sprachlich untauglich ist oder inhaltlich als Personenname ungeeignet erscheint. Dass als Vornamen benutzte Wörter über die Bezeichnung eines bestimmten Individuums hinaus einen allgemeinen Aussagegehalt haben, ist nicht nur üblich, sondern seit jeher geradezu Zweck der Namengebung (zum Beispiel bei Assoziationen zu Heiligen oder geschichtlichen Vorbildfiguren).

      Die Ausstrahlungswirkung des Namens auf die Person kann sich je nach inhaltlicher Bedeutung und Durchschaubarkeit jedoch auch in ihr Gegenteil verkehren. Der Schutz des Kindes, das sich gegen belastende Namen nicht wehren kann, muss deshalb ein besonderes Anliegen des Rechts sein.

      Es gibt aber kein festes Gesetz, sondern nur die oben genannten Regelungen, die allerdings auch interpretierbar und auslegbar sind. Und solche Auslegungen ändern sich im Laufe der Zeit. Früher einmal wurden Namen wie zum Beispiel Summer, Sunshine, Sky, Moon, Sonne, Brooklyn, Madison, Mackenzie, Tiger, Alaska, Woodstock, Junior, King, Prinz, Chelsea oder Emily-Extra abgelehnt. Mittlerweile werden sie aber als Vornamen eingetragen, dank entsprechender Gerichtsurteile. Oder dank unserer Gutachten.

      Ebenfalls von Eltern schon gewünschte Vornamen wie Crazy Horse, Porsche, Rumpelstilzchen, Schnuckel, Kirsche, Schröder, Pfefferminze, Joghurt, Whisky, Borussia, Kaiserschmarrn, Superman, Keks oder Flauschi wurden aber abgelehnt.

      Und das ist auch gut so.

      EIN PHÄNOMEN – DER »KEVINISMUS«

      Am 17. Januar 1991 lief der Film »Kevin allein zu Haus« in Deutschland an. Darin spielt ein zugegeben außerordentlich hübscher, niedlicher, smarter und extrem gewitzter Junge namens Kevin (dargestellt von Macaulay Culkin) die Hauptrolle. Vier Wochen später kam dann noch »Der mit dem Wolf tanzt« nach Deutschland – Regie und Hauptrolle: Kevin Costner. Ein Zufall, aber einer mit Folgen. Denn diese beiden Filme setzten etwas in Gang, das bis heute anhält. Und dessen Auswirkungen und Nachwehen gigantisch sind in der Welt der Vornamen.

      Es begann ganz harmlos und langsam. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs gelangten immer mehr Namen aus dem englischen Sprachraum zu uns: anfangs durch die britischen und amerikanischen Besatzer, dann auch durch die Medien sowie durch die Verbreitung des Fernsehens und der Ausstrahlung vieler Spielfilme (und den darin auftretenden Schauspielern) – und natürlich durch populäre Musiker. Kevin ist im Ursprung ein irischer Name, der so viel bedeutet wie »schön von Geburt, hübsches Kind«. Die Schreibweise »Caoimhín« lautete in der anglisierten Fassung dann Kevin.

      In Deutschland wurde der Vorname Kevin wohl zum ersten Mal im Jahr 1969 in Bökingharde in Schleswig-Holstein vergeben. In der DDR gab es 1966 die erste Anfrage zum Namen Kevin. In den folgenden Jahren blieb er zunächst noch extrem selten und war eher ein Name, den sehr gebildete Eltern ihren Kindern gaben. Menschen, die Freunde der keltischen Kultur waren oder im Urlaub nach Irland fuhren – was damals ein außergewöhnliches Reiseziel war –, brachten diesen damals noch sehr exotischen Namen mit. Meistens Akademiker. Vor 1975 wurde der Name in Berlin zum Beispiel nur neunmal vergeben, in den drei Jahren danach zehnmal.

      Erst als der damals extrem bekannte und populäre englische Fußballer Kevin Keegan 1977 in die Bundesliga zum Hamburger SV wechselte, wurde Kevin in Deutschland geläufig, und immer mehr Eltern wählten diesen Vornamen. Ende der 1980er-Jahre wurde dann der Schauspieler Kevin Costner auch in Deutschland immer bekannter und beliebter. Er brachte den »Kevin« 1989 erstmals unter die Top 20 der beliebtesten Vornamen in Deutschland. Und dann noch weiter nach oben, als im Herbst 1990 sein Blockbuster »Der mit dem Wolf tanzt« in den USA ins Kino kam. Schon hier wurde der Name Kevin immer häufiger in den Medien genannt: ein wichtiger Grund für die Entstehung von Modenamen.

      Aber so richtig verrückt wurde es dann mit »Kevin allein zu Haus«. Quasi aus dem Nichts wurde Kevin 1991 (und auch nur in diesem Jahr) mit Abstand zum beliebtesten Vornamen in Deutschland (vor den Dauersiegern Jan, Patrick, Philipp und Marcel).

      Der Erfolg erklärt sich leicht. Neben der sympathischen Filmfigur, weshalb viele Eltern mit dem Namen Kevin ein Kind assoziierten, das man selbst gern hätte, hat Kevin alles, was ein schöner männlicher Vorname braucht. Da ist der Klang, der in Deutschland extrem wichtig ist. Die Deutschen vergeben Vornamen ja schon lange nicht mehr nach der Bedeutung oder der Tradition, sondern vor allem wegen der Lautstruktur. Ein Name muss angenehm klingen, griffig und stimmig sein. Es werden heute in Deutschland vor allem Vornamen mit den Anlauten M-, L- und J- gewählt. Die häufigsten männlichen Endungen sind -n (-ian, -in, -an, -on), -s (-ias, -as, -us, -ius, -es, -is) und -(e) 1, -(e)r. Die weiblichen Vornamen sind vor allem durch die Endungen -a, -ia, -e und -i, -ie, -y gekennzeichnet. Kevin hat zwar mit dem »K« einen harten Anlaut, wird aber durch die Vokale »e« und »i« sowie durch die Endung weicher und wohlklingender. Zudem besteht Kevin aus zwei Silben. Kürzere Vornamen liegen seit einigen Jahren voll im Trend. Dabei ist Kevin im Irischen sowohl ein männlicher wie auch ein weiblicher Vorname. Es erfolgten in Deutschland auch schon Eintragungen als weiblicher Vorname, so zum Beispiel 1978. Mit dem Erfolg des Namens als männlicher Vorname ist die weibliche Form zurückgegangen.

      Bei Kevin kommt beispielsweise auch noch das Unterbewusstsein ins Spiel. Es ist nicht so, dass man aus dem Kino kommt und sagt: »So, und jetzt nennen wir unseren Sohn Kevin.« Es ist eher so, dass man den Namen erst einmal positiv besetzt, dann klingt er schön, dann hört man ihn immer öfter, in den Medien, in Gesprächen mit Freuden, und vielleicht nennen auch in der Nachbarschaft einige ihr Kind so. Und schon ist ein Name im Unterbewusstsein verankert. So geht das allen Modenamen: Ein kleiner Schneeball wird zu einer Lawine. Es war damals allerdings noch kein Ausschlusskriterium, wenn man den Namen öfters bei Freunden oder Nachbarn oder im weiteren Umfeld hörte. Heute will ja jeder extrem individuell sein, damals war es eher eine Bestätigung für eine gute Wahl, wenn auch andere diesen Namen an ihr Kind vergaben. Und so nannten in den 1990er-Jahren viele junge Eltern ihr Kind Kevin, völlig unabhängig von Schicht oder Bildungsgrad. Kevin war ein Name wie jeder andere auch, mit einem Hauch Exotik und Extravaganz. Aber irgendwann kippte es.

      ZOOTIERE FERN DES »KEVINISMUS«

      Zootiere scheinen eher altmodische Namen zu bekommen. Vielleicht fürchten die Namensgeber um den Ruf der Tiere?

       Antje, das Walross, wurde 1976 geboren und lebte im Hamburger Zoo Hagenbeck.

       Cornelius I., ein stattliches Nashorn, lebte im Granby Zoo in Québec.

       Heidi, ein Virginia-Opossum aus dem Leipziger Zoo, wurde durch ihr starkes Schielen bekannt.

       Karl Wilhelm, das Flusspferd, kam am 17. Juni 2015 im Karlsruher Zoo zur Welt.

       Knut, der Eisbär, wurde am 5. Dezember 2006 in Berlin geboren.

       Martha, die Wandertaube, war die letzte ihrer Art, die im Zoo lebte. Sie starb 2014.

      Der Prozess der Veränderung in der Bewertung eines Namens ist nichts Neues. Schon in früheren Jahrhunderten war es so, dass ein Name zuerst im Adel oder im gehobenen Bürgertum neu auftrat oder wiederkam. Manch einer, wenn er geeignet war, wurde zum Modenamen. Dann zogen langsam die unteren Schichten nach, die diesen Modenamen der »Oberen« mitbekamen. So begann der Name langsam »abzurutschen«, bis quasi ganz nach unten zu den einfachen Bauern. Für »oben« war er da längst abgegriffen und uninteressant, diese Herrschaften suchten sich wieder neue Namen. So ist der Name im wahrsten Wortsinn »nach unten« durchgereicht worden.

      Und auch heute sind die Mechanismen