verändernde Lebensumstände werden anpassungsfähigere Kreaturen dazu bringen, sich ihrer Umgebung entsprechend zu verändern und dadurch den Fortbestand ihrer Art zu sichern. Jahrhunderte von Versuch und Irrtum erlauben es den biologischen Organismen, die dabei nicht aussterben, sich den Umständen anzupassen und auch ihre Genetik entsprechend zu verändern. So verläuft der langsame, lineare Prozess der Evolution für alle Arten. Die Umwelt wandelt sich; das Verhalten sowie die Aktionen werden den neuen Umweltbedingungen angepasst; die Gene speichern die Veränderungen und die Evolution folgt, indem sie den Wandel für zukünftige Generationen aufzeichnet. Alle Nachfahren dieser Organismen werden ihrer Umwelt jetzt besser gewappnet entgegentreten können. Die jahrtausendelange Evolution der Arten hat dafür gesorgt, dass der körperliche Ausdruck eines Organismus in der Regel seinen Lebensbedingungen entspricht oder ihnen überlegen ist. In den Genen werden die Erinnerungen und die Weisheiten unzähliger Generationen gespeichert.
Der Preis dafür sind angeborene Verhaltensmuster wie Instinkte, natürliche Fähigkeiten, Triebe, Ritualverhalten, Temperamente und gesteigerte Sinneswahrnehmungen. Wir neigen zu der Ansicht, das, was in unseren Genen angelegt ist, entspräche einem automatischen Programm, dem wir nicht entrinnen können. Sobald es in unseren Genen aktiviert ist – sei es durch eine ihm innewohnende Zeitschaltung oder durch einen Auslöser in der Umgebung (Natur versus Erziehung/Bildung) –, sind wir so verschaltet, dass wir uns auf eine bestimmte Weise verhalten. Es ist richtig, dass unsere Gene einen starken Einfluss darauf haben, wer wir sind – als lenkte uns eine unsichtbare Hand dahin, vorhersehbare Gewohnheiten anzunehmen und zu erwartende Neigungen zu entwickeln. Die Herausforderungen unserer Umwelt zu überwinden, bedeutet deswegen: Unsere Willenskraft muss uns über unsere Umstände hinausheben; Erinnerungen an vergangene Erfahrungen und die daraus entstandenen veralteten Gewohnheiten, die nicht mehr zu unseren jetzigen Lebensumständen passen, müssen wir loslassen. Eine evolutionäre Weiterentwicklung erfordert daher den Bruch mit genetisch veranlagten Gewohnheiten: Wir müssen das Erlernte als »Bahnsteig« benutzen, von dem aus die Reise weitergeht.
Veränderung und Entwicklung sind für keine Spezies angenehm. Unsere inneren Neigungen zu überwinden, unsere genetischen Programme zu verändern und uns an neue Umweltbedingungen anzupassen – das verlangt Willen und Entschlossenheit. Seien wir ehrlich: Keine Kreatur verändert sich gerne, es sei denn, sie erkennt es als Notwendigkeit. Das Alte loszulassen und das Neue anzunehmen, stellt immer ein großes Risiko dar.
Das Gehirn ist makroskopisch und mikroskopisch darauf ausgelegt, neue Informationen aufzunehmen, zu verarbeiten und dann routinemäßig darauf zurückzugreifen. Wenn wir nichts Neues mehr lernen oder aufhören, unsere Gewohnheiten zu ändern, leben wir nur noch die Routine. Doch unser Gehirn ist nicht dafür gebaut, das Lernen einzustellen. Wenn wir es nicht mehr mit neuen Informationen »upgraden«, wird es fest verdrahtet und spult nur noch automatisierte Programme ab, die keine Entwicklung mehr zulassen.
Anpassungsfähigkeit ist die Fähigkeit zur Veränderung. Wir sind so klug und fähig. Wir können in einem Leben Neues lernen, mit alten Gewohnheiten brechen, unsere Überzeugungen und Wahrnehmungen ändern, Schwierigkeiten überwinden, Fähigkeiten erwerben und auf geheimnisvolle Weise zu anderen Wesen werden. Unsere großen Gehirne sind die Instrumente, die es uns ermöglichen, mit solchen Riesenschritten vorwärtszueilen. Es erscheint uns lediglich als eine Frage der Entscheidung. Unsere Evolution ist unser Beitrag zur Zukunft, doch liegt es im Bereich unseres freien Willens, wie wir den Prozess einleiten.
Evolution beginnt jedoch mit der Veränderung des Individuums. Damit Sie sich mit der Idee anfreunden, bei sich selbst anzufangen, können Sie sich das erste Geschöpf vorstellen – sagen wir, ein Mitglied eines Rudels mit einem strukturierten Gruppenbewusstsein –, das sich entschloss, mit dem gewohnten Verhalten der Gruppe zu brechen. Auf irgendeiner Ebene muss dieses Wesen den Impuls gehabt haben, eine andersartige Aktion und eine Abweichung vom normalen Verhalten dieser Art könnte seinem eigenen Überleben und vielleicht auch dem seiner Art dienlich sein. Wer weiß, vielleicht sind auf diese Weise ganz neue Arten entstanden? Das sozial anerkannte Verhalten hinter sich zu lassen und etwas Neues auszuprobieren, erfordert eine gewisse Individualität – bei jeder Art. Sich kompromisslos für die eigene Vision eines neuen, verbesserten Selbst zu entscheiden und das eigene alte Verhalten zu überwinden – das kann sich dem lebendigen Gewebe aller nachfolgenden Generationen einprägen. Individuen, die dieses Maß an Kultiviertheit aufgebracht haben, werden von ihren Nachfahren oft hoch geehrt. Wahre Evolution besteht also darin, das genetische Wissen aus vergangenen Erfahrungen als Rohmaterial für den Umgang mit neuen Herausforderungen heranzuziehen.
Dieses Buch bietet Ihnen eine wissenschaftlich begründete Alternative zu der Annahme, unser Gehirn bestehe im Wesentlichen aus unveränderlichen Neuronenmustern; wir hätten in unseren Köpfen eine Art Neuro-Rigidität, die sich in dem unflexiblen, gewohnheitsmäßigen Verhalten äußert, das wir so oft erleben. Tatsächlich jedoch sind wir Meister der Flexibilität, Anpassungsfähigkeit und Neuroplastizität und hervorragend darauf eingerichtet, unsere neuronalen Verbindungen umzustrukturieren und das erwünschte Verhalten zu erzeugen. Wir verfügen über sehr viel mehr Macht, unser Gehirn, unser Verhalten, unsere Persönlichkeit und letztlich unsere Wirklichkeit zu verändern, als wir bislang angenommen haben. Ich weiß das, weil ich es selbst erfahren und weil ich davon gelesen habe, wie einzelne Menschen über ihre Situation hinauswuchsen, sich dem Angriff der jeweiligen Realität stellten und zu bedeuteten Veränderungen beitrugen.
Die amerikanische Bürgerrechtsbewegung hätte zum Beispiel nie so weitreichende Auswirkungen gehabt, hätte nicht ein echtes Individuum wie Dr. Martin Luther King Jr. entgegen all seinen Lebensumständen an die Möglichkeit einer anderen Wirklichkeit geglaubt. Dr. King hat das in seiner berühmten Rede zwar als »Traum« bezeichnet, aber letztlich beschwor und lebte er eine bessere Welt, in der alle Menschen gleichberechtigt sind. Wie war ihm das möglich? Er entschied sich dafür, die neue Idee der Freiheit für sich selbst und für die Nation in seinen Geist zu implantieren, und diese Idee war ihm wichtiger als seine äußeren Lebensbedingungen. Und er stand kompromisslos zu seiner Vision. Dr. King war nicht bereit, seine Gedanken, sein Handeln, sein Verhalten, seine Worte oder seine Botschaft irgendwelchen äußeren Einflüssen unterzuordnen. Seinen äußeren Lebensumständen zum Trotz hielt er an seinem inneren Bild einer neuen Umwelt fest, selbst wenn das Beleidigungen oder körperliche Angriffe zur Folge hatte. Die Kraft seiner Vision war so groß, dass er Millionen von der Gerechtigkeit seiner Sache überzeugen konnte. Durch ihn hat sich die Welt verändert. Und er ist nicht der Einzige.
Unzählige andere haben den Verlauf der Geschichte durch einen vergleichbaren Einsatz beeinflusst. Millionen haben ihr persönliches Leben in ähnlicher Weise eingesetzt. Wir alle können uns selbst ein neues Leben erschaffen und es mit anderen teilen. Wir haben eine Hardware in unseren Köpfen, die gewisse Vorteile bietet. Allen äußeren Umständen zum Trotz können wir sehr lange Zeit an einem Traum oder einem Ideal festhalten. Wir haben auch die Fähigkeit, unser Gehirn neu zu programmieren, weil wir einen Gedanken in uns wirklicher werden lassen können als alles andere im Universum. Und darum geht es in diesem Buch.
Die Geschichte einer persönlichen Transformation
Ich möchte Ihnen ein wenig von Erfahrungen berichten, die ich vor 20 Jahren gemacht habe und die mich dazu bewegten, das Potenzial des Gehirns zu erforschen: die Macht des Gehirns, unser Leben zu verändern. 1986 war ich 23 Jahre alt. Ein knappes halbes Jahr zuvor hatte ich meine erste eigene chiropraktische Praxis in Südkalifornien eröffnet und verbuchte pro Woche schon eine beachtliche Menge von Patienten. Meine Praxis befand sich in La Jolla, einem Tummelplatz von Wochenend-Supermännern und Weltklasse-Athleten, die verbissen trainierten und sich mit derselben Intensität um ihren Körper kümmerten. Ich hatte mich darauf spezialisiert, sie zu behandeln. Während meiner Ausbildung in Chiropraktik befasste ich mich nebenher intensiv mit Sportmedizin. Nach meinem Examen hatte ich meine Nische gefunden und füllte sie aus.
Ich war erfolgreich, weil ich mit diesen getriebenen Patienten viel gemeinsam hatte. Ich war ebenfalls getrieben und höchst fokussiert. Wie sie hatte auch ich das Gefühl, jeder Herausforderung gewachsen zu sein. Ich hatte meine Ausbildung anderthalb Jahre früher als üblich – und mit sehr guten Noten – abgeschlossen. Jetzt führte ich ein klasse Leben, mit einer Praxis am La Jolla-Boulevard