Charles Fernyhough

Selbstgespräche


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in den zwei Sekunden nach meinem Lachanfall wurde mir klar, dass ich versuchte, soziale Signale auszusenden, die mein Verhalten entschuldigten. Man lacht in einem beinahe voll besetzten Zugabteil nicht laut los, ohne zumindest ein wenig Verlegenheit zu empfinden. Ich wollte nicht so tun, als hätte ich nicht gelacht, vielleicht indem ich versucht hätte, mein Lachen mit einem Hustenanfall zu kaschieren, aber ich bemühte mich dennoch, gewisse Botschaften auszusenden: Dass ich nicht verrückt bin, dass ich mich schnell wieder unter Kontrolle hatte, ja, dass es tatsächlich schon vorbei war – dass der Augenblick der Erheiterung jetzt vorüber war. Ich ertappte mich dabei, dass ich eine Miene aufsetzte, die so etwas wie ein Lächeln und eine Mischung aus Klugheit, Komplizenschaft und Verlegenheit ausdrückte. Ein anderer Gedanke ging mir durch den Kopf, eine Stimme, die sagte: »Die glauben doch nicht etwa, dass ich über sie lache, oder?« Lachen ist ein soziales Signal, aber dieser Spaß war privat. Ich hatte eine der Regeln des menschlichen Miteinanders verletzt und musste diese Tatsache durch irgendeine Bekundung einräumen.

      Ich brauchte mir keine Sorgen zu machen. Die Menschen in dem Abteil würden das verstehen, es sei denn, es handelte sich um kleine Kinder, Außerirdische oder eine bestimmte Art von Psychiatriepatienten. Unsere Überzeugung, dass unser Innenleben privat ist, ist so ausgeprägt, dass Alternativen dazu – Gedankenlesen, Telepathie und Gedankeninvasion – Anlass für Erheiterung oder Entsetzen bieten können. Fremde in einem U-Bahn-Wagen werden die Auswirkungen dieses Merkmals von Gedanken rasch erkennen. Schließlich werden sie selbst ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Ich wurde lediglich verblüffend an die Privatheit meiner Gedanken erinnert und mir ihrer direkten Wirkung auf mich deutlich bewusst. In diesem Augenblick war mein Gehirn in jedem Fall aktiv – anders hätte ich das Bild des schaukelnden Postlastwagens nicht heraufbeschwören können –, aber ich war mir darüber hinaus des inneren Ideenfeuerwerks bewusst. Und genau das bietet Ihnen das Gehirn: einen Logenplatz für eine Show nur für Sie allein.

      Es war diese lebhafte innere Vorstellung, die mich hatte laut loslachen lassen. Zwar läuft ein großer Teil unserer mentalen Aktivität unterhalb der Bewusstseinsschwelle ab, doch vieles wird der Person bewusst, in der es sich abspielt. Wenn wir mit einem Problem zu kämpfen haben, uns eine Telefonnummer ins Gedächtnis rufen oder an eine romantische Begegnung zurückdenken, ist uns klar, dass wir dies tun. Es ist unwahrscheinlich, dass es sich dabei um ein komplettes oder korrektes Bild der daran beteiligten kognitiven Mechanismen handelt – wir sind bei Weitem keine verlässlichen Zeugen dessen, was unser Gehirn vollbringt –, aber es führt zumindest zu einer stimmigen Erfahrung. In der von Philosophen bevorzugten Sprache ist »etwas vorhanden, dem es ähnelt«2, wenn man sich des arbeitenden Gehirns bewusst ist. Sich mit einer Gedankenfolge zu beschäftigen ist ein Erlebnis, das spezielle Qualitäten besitzt, wie das Eintauchen in einen Swimmingpool oder die Trauer um einen geliebten Angehörigen.

      Aber wir können noch etwas anderes Wichtiges über unsere innere Erfahrung3 sagen. In zahlreichen populärwissenschaftlichen Büchern wurde – häufig mit bewundernswerter Klarheit – dargestellt, was wir über das Funktionieren des Bewusstseins wissen. Allerdings neigen die Autoren dazu, sich auf das Wunder der perzeptuellen und affektiven Erfahrung zu konzentrieren: warum diese weiße Lilie diesen charakteristischen Duft verströmen kann; warum die Nachwirkungen eines Familienstreits so viele bittersüße emotionale Möglichkeiten eröffnen können. Mit anderen Worten: Die Betrachtung der mentalen Erfahrung konzentriert sich in diesen Büchern gewöhnlich auf die Reaktion des Gehirns auf Ereignisse der Außenwelt. Wenn wir anfangen, über das Denken nachzudenken, müssen wir erklären, wie das Bewusstsein seine eigene Show aufführen kann. Wir sind für unsere Gedanken verantwortlich, zumindest haben wir das starke Gefühl, dass es so ist. Das Denken ist eine Aktivität; es ist etwas, was wir tun. Das Denken treibt sich selbst an, erschafft etwas, wo zuvor nichts war, ohne von der Außenwelt irgendeine Richtungsvorgabe zu benötigen. Dies ist ein Teil dessen, was uns eindeutig zum Menschen macht: die Tatsache, dass ein Mensch sich in einem leeren Raum ohne jede äußere Stimulation zum Lachen oder Weinen bringen kann.

      Wie ist es, solche Erfahrungen zu machen? Die Tatsache, dass das Denken etwas so Gewöhnliches ist, könnte paradoxerweise bedeuten, dass wir nicht groß darüber nachdenken, wie es funktioniert. Die Gesetze der geistigen Privatsphäre sorgen darüber hinaus dafür, dass das Erlebnis dem Blick der anderen verborgen bleibt. Wir können anderen den Inhalt unserer Gedanken mitteilen – wir können ihnen erzählen, worüber wir nachdenken –, aber es fällt uns deutlich schwerer, anderen die Qualität eines Phänomens zu vermitteln, das nur für uns selbst bestimmt ist. Wenn wir den Gedankengängen anderer Menschen lauschen könnten, würden wir dann feststellen, dass sie unseren eigenen ähnlich sind? Oder besitzen Gedanken einen persönlichen Stil oder eine emotionale Atmosphäre, die für den Denker charakteristisch sind? Was wäre gewesen, wenn die Leute an jenem Tag in der U-Bahn meine Gedanken tatsächlich hätten lesen können? Was würde ein mentaler Lauscher in diesem Moment hören, wenn er in der Lage wäre, Ihre Gedanken zu belauschen? Der Philosoph Ludwig Wittgenstein stellte fest, dass wir nicht in der Lage wären, einen Löwen zu verstehen, wenn er sprechen könnte.4 Ich vermute, dass etwas Ähnliches für unseren alltäglichen

      Bewusstseinsstrom gilt. Selbst wenn wir unsere Gedanken irgendwie hörbar machen könnten, würden andere Menschen wahrscheinlich Schwierigkeiten haben, sie zu verstehen.

      Ein Grund dafür ist die Tatsache, dass wir beim Denken Wörter auf eine sehr spezielle Art und Weise nutzen. Stellen Sie sich zum Beispiel vor, ich würde Sie fragen, in welcher Sprache Sie denken. Ich vermute, dass Sie möglicherweise nicht in der Lage sein könnten, die Frage für jeden Ihrer Gedanken ehrlich zu beantworten, aber Sie würden einräumen, dass diese Frage sinnvoll ist. Viele von uns würden zustimmen, dass das Denken eine sprachliche Qualität5 besitzt. Falls Sie zweisprachig sind, könnten Sie sogar wählen können, in welcher Sprache Sie denken wollen. Nichtsdestotrotz gibt es vielerlei Gedanken, deren sprachliche Eigenschaften nicht immer offensichtlich sind. Es gibt Dinge, die Sie sich beim Denken nicht selbst mitteilen müssen, weil Sie diese bereits kennen. Die Sprache kann stark vereinfacht werden, weil die Botschaft nur für Sie selbst bestimmt ist.

      Ein weiterer Grund, weshalb unser Denken für andere Menschen unverständlich sein könnte, ist die Tatsache, dass daran gewöhnlich nicht nur Wörter beteiligt sind. In jenem Augenblick in der U-Bahn hatte ich neben allen anderen körperlichen und emotionalen Eindrücken einen Song aus dem Film High School Musical im Kopf. Während mein Blick ziellos auf die Kabel im Tunnel vor dem Abteilfenster geheftet war, war mein inneres Auge damit beschäftigt, das Bild des roten Postlastwagens heraufzubeschwören. Einige dieser Empfindungen hingen mit dem Denken zusammen, andere bildeten lediglich den geistigen Hintergrund. Entscheidend ist, dass das Denken ein multimediales Erlebnis ist. Die Sprache spielt dabei eine wichtige Rolle, aber sie ist bei Weitem nicht alles.

      In diesem Buch möchte ich der Frage nachgehen, wie es ist, wenn sich so etwas in Ihrem Kopf abspielt. Ich möchte herausfinden, wie es sich anfühlt, bei jener Flut von Eindrücken, Ideen und inneren Äußerungen ertappt zu werden, die unseren Bewusstseinsstrom bildet. Nicht alles, wozu unser Geist und Gehirn fähig sind, wird sich als diese Art von Erfahrung qualifizieren. Viele der wirklich klugen Dinge, die ein Mensch leisten kann, wie zum Beispiel, einen Kricketball zu fangen oder mithilfe des Sternenhimmels über den Pazifik zu navigieren, können ohne bewusste Wahrnehmung, wie sie zu vollbringen sind, erfolgreich durchgeführt werden. In gewissem Sinne bezieht sich »Denken« auf alles, was unser Bewusstsein (im Gegensatz zum Unterbewusstsein) tut. Aber diese Definition ist noch zu weit gefasst. Ich würde jene unglamourösen geistigen Leistungen, wie zum Beispiel das Zählen einer Handvoll Kieselsteine oder den Wechsel mentaler Bilder, die im Wesentlichen auf stark automatisierten, speziell entwickelten kognitiven Subsystemen basieren, nicht dazuzählen wollen. Ein Grund, weshalb diese Prozesse nicht einbezogen werden, ist die Tatsache, dass ihre Start- und Endpunkte eindeutig definiert sind. Der Zauber des Denkens liegt zum Teil darin begründet, dass es ziellos, im Kreis oder auf ein kaum definiertes Ziel gerichtet erfolgen kann.6 An jenem Tag in der U-Bahn wusste ich nicht, wie ich mit meiner Geschichte weitermachen sollte. Manchmal ist das Denken tatsächlich »zielgerichtet«, beispielsweise wenn es darum geht, eine bestimmte Art von intellektuellem Problem zu lösen. Aber der Bewusstseinsstrom kann sich auch ziellos dahinwinden. Häufig hat das Denken keinen